Sexpositivität

Die seit ein paar Jahren eher im Untergrund veranstalteten Sex-positiven Partys sowie der Begriff der Sexpositivität an sich werden aktuell immer lauter und finden ein breiteres und diverseres Publikum als bislang. Was Sexpositivität ist, woher der Begriff und die Bewegung kommen und was es mit Partys aus diesem Kontext auf sich hat, erklärt Serafina Strömsdörfer.

Ich bin positiv. Sex positiv.

Neben Ergebnissen von Corona- und Schwangerschaftstests und einer lebensbejahenden Einstellung klingt dieses Wort nun auch immer häufiger im Kontext von Sexualität und Intimität an. Dabei ist diese Vokabel schon ein in der Feminist:innen-Bewegung der 1970-er Jahre entsprungener Oldie, der in einer neugierigen und für sexuelle Themen offener werdenden jungen Generation zu neuem Leben erwacht

Sexpositivität ist ein Ja zur Sexualität, in welcher Ausdrucksform auch immer sie sich manifestieren möchte. Es geht um Anerkennung von Sexualität und Intimität als Teil des Menschseins, darum, sich erleben zu dürfen, so, wie man ist und um Augenhöhe. Der Satz „Consent is key“ beschreibt einen der Grundpfeiler des sex-positiven movements sehr präzise. Dem Ausleben der eigenen Sinnlichkeit sind nur die Grenzen gesetzt, die ein:e Partner:in als die ihren/seinen definiert. Dort, wo „Stopp“ gesagt wird, geht es nicht weiter. Dort wo „Ja“ gesagt wird, darf etwas entstehen. Die frühen Feminist:innen der 1970-er Jahre verteidigten letzteren Aspekt vor allem unter dem Gesichtspunkt der hohen Fallzahlen häuslicher Gewalt, deren Opfer zu großem Teil Frauen waren und immer noch sind. Laut statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2019 in etwa 141.000 Opfer häuslicher Gewalt, von denen wiederum 81Prozent durch Frauen vertreten wurden. Zu beachten ist ebenfalls, dass die Dunkelziffer mit Sicherheit die angegebene Zahl erhöhen würde. Als Ausdruck des Aufstrebens gegen patriarchale Machtstrukturen, die sich nicht nur im öffentlichen Leben sondern auch im privaten Bereich und im Schlafzimmer widerspiegeln, entstand der Ansatz der Sexpositivität, der Frauen darin bestärken wollte, sowohl ihre körperlichen und psychischen Grenzen zu halten und zu kommunizieren, als auch für ihre sexuellen Bedürfnisse einzustehen und diese einzufordern.

Und heute?

Heute geht es bei der Sexpositivität längst nicht mehr nur um Frauen, es geht um alle. Und sie ist offen für alle. Unabhängig von Gender, sexueller Neigung, speziellen Interessen oder Fetischen. Solange sich alle wohl in ihrer Haut fühlen und Einvernehmlichkeit herrscht, sind alle Menschen frei, einfach sie selbst zu sein.

Disco Disco, Party Party

Der Techno-Herzschlag, mal Downtempo, mal schnell und düster, klopft in den Locations der sex-positiven Partys. Wie auf anderen Partys auch, wird hier getanzt, nur, dass die Crowd, die ein Fraktal aus einer Vielfalt bunter und verschiedener Menschen zu sein scheint, zum Teil sehr ungewöhnlich oder kaum bekleidet ist. Im Vergleich zu herkömmlichen Clubs zumindest.

„Ich war anfangs sehr skeptisch, was das Zeigen und Sehen von so viel nackter Haut angeht“, erzählt mir eine junge Frau mit Pony, die in Wien zu Gast bei einer sex-positiven Party war. „Das Environment war aber so wertschätzend und ich habe mich gar nicht sexualisiert gefühlt, sodass ich mich richtig wohl gefühlt habe, mich weiter auszuziehen“, erzählt sie weiter.

Natürlich gäbe es auch hin und wieder unangenehme Blicke, aber weil normalerweise auf jeder derartigen Veranstaltung ein sogenanntes „Awareness-Team“ bereitsteht, das bei Belästigung oder wenn sich Tanzende aufgrund von Anfeindungen oder anderweitig respektlosem Verhalten durch andere unwohl fühlen, angesprochen werden kann. Personen, die die Regeln („Respekt und Consent“) nicht akzeptieren, können dann der Party verwiesen werden, sodass weiterhin eine angenehme, achtsame Atmosphäre auf der Feier erhalten bleibt. Das Klientel ist divers, früher sehr stark von homosexuellen Männern frequentiert, sind heute auf sex-positiven Veranstaltungen Paare, Gruppen von Freund:innen und Menschen, die mit sich selbst zum Event kommen, anzutreffen. Neben Lack und Leder, Spitzen und schlicht nichts, werden auch einfache Kleidungsstücke getragen. Das Motto „Alles kann, nichts muss“ betont, dass Fetishlooks und Freizügigkeit gern gesehen, aber definitiv nicht verpflichtend für die Besuchenden sind. Die Regeln für einen für alle Anwesenden schönen Abend sowie den Dresscode legen hier die Veranstaltenden fest. Demnach gibt es durchaus Events, bei denen eine bestimmte Garderobe angesagt ist.

Und was ist jetzt mit dem Liebe-machen?

Allgemein gilt: Sex-positive Party ≠ Sex-Party.

Was das tatsächliche Ausleben von Sexualität im Rahmen eben dieser Partys anbelangt, so haben die Veranstaltenden hier meist ihre eigenen Regeln. Einmal sind Geschlechtsverkehr und Masturbation auch auf der Tanzfläche erlaubt, ein anderes Mal dürfen sich Interessierte in sogenannte Darkrooms zurückziehen. Diese sind eine ebenfalls in der homosexuellen Szene entsprungene Art von Séparée, in dem auf entsprechenden Partys einer zutiefst menschlichen und natürlichen Sache nachgegangen werden kann – sexuell sein (was auch immer das für die/den Einzelne:n bedeuten mag).

Auf diesen Partys geht es nicht wie etwa bei Swinger-Partys primär darum, mit irgendjemandem oder in der Gruppe Sex zu haben, Partner:in zu tauschen oder besondere Vorlieben auszuleben. Auch grenzen sich diese Veranstaltungen von reinen Sex-Partys ab, bei denen traditionellerweise auch die sexuelle Aktivität innerhalb einer Gruppe im Vordergrund steht. Das sex-positive movement will Räume schaffen, in denen Sexualität sein darf, wenn sie denn in gegenseitiger Zustimmung entsteht, und in denen die Gäst:innen sich auch über diese offen austauschen können, um das große Schweigen um Intimität und Erotik zu brechen.

Ich mag Schokolade

Populär und mittlerweile fast schon als zugegebenermaßen junge Urgesteine der sex-positiven Locations angesehen werden zum Beispiel das „Berghain“ und der „Kit-Kat Club“ in Berlin, aber auch in Wien gibt es eine sex-positive Subkultur. Die Szene an sich ist freilich noch sehr klein, kommt aber immer häufiger zur Sprache. Dies könnte in der zunehmenden Offenheit und Experimentier-Lust junger Menschen und dem wachsenden Wunsch nach achtsameren zwischenmenschlichen Umgangsweisen begründet liegen.

Sex, der Akt, Bienchen und Blümchen, Liebe machen, Bumsen, Ficken, Miteinander schlafen, Buttern, „Es“ tun, sind immer noch bevorzugt hinter vorgehaltener Hand fallende oder von einem Räuspern begleitete Begriffe. Dennoch gibt es auch hier immer mehr Menschen, die beginnen, das, was wir über Sexualität und Intimität gelernt (beziehungsweise in den meisten Fällen nicht gelernt) haben, zu hinterfragen. Das wirft neue Fragen wie:

Was will ich eigentlich?

Was mag ich?

Bin ich glücklich in mir, mit meiner Sexualität, mit meinem Sexleben oder glaube ich nur, glücklich zu sein, weil ich alles so mache, wie es sich „gehört“?

Und wie gehört es sich eigentlich?

Wem gehört meine Sexualität? Eigentlich mir, oder…?

Sex-positive Partys sind sicherlich nicht für jede:n etwas, dennoch kann uns die Bewegung, hinter all diesen wie Nachtschattengewächse blühenden Partys, dazu einladen, die Themen Sexualität und Intimität für uns selbst und im gesellschaftlichen Kontext zu reflektieren und auf den Prüfstand zu stellen.

Weiterführende Artikel:
https://www.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/sexpositiv-sie-sind-so-frei-15504295.html

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/partnerschaftsgewalt-1809976

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