Fasching, Fastnacht, Karneval – der gleiche Müll überall

Normalerweise ist unsere Redakteurin Jamie-Lee stolz darauf, mütterlicherseits schwäbische Wurzeln zu haben, nur einmal im Jahr beruft sie sich auf ihre väterliche Nordhessischkeit. Wenn man jemanden für die Verfilmung des Karneval-Grinchs bräuchte, würde sie diese Rolle mit Bravour meistern. Bis es so weit ist, muss sie sich ihren Frust jedoch von der Seele schreiben und die Welt darüber aufklären, warum diese Festlichkeiten auch nach Corona abgeschafft gehören.

Disclaimer: Diese Glosse ist nicht zu ernst zu nehmen, nicht dass sich jemand durch diese exaltierte Meinung auf den Schlips vom Kostüm getreten fühlt.

Als Karneval, Fastnacht, Fassenacht, Fasnacht, Fasnet – für alle Kon[sch]tanz Neulinge merkt euch diesen Ausdruck! – Fasching, Fastabend, Fastelovend, Fasteleer oder als fünfte Jahreszeit bezeichnet man die Zeit, in der man sich keinen Wecker stellen braucht, weil man ohnehin um halb sieben von einem bunten und überaus lauten Umzug geweckt wird – egal ob in der Altstadt, in Petershausen oder in Allmansdorf. Vorzugsweise an dem einzigen Tag in der Woche, an dem man hätte ausschlafen können oder genau an dem Tag, an dem man eine wichtige Klausur schreibt, man aber bis vier Uhr morgens noch gelernt hat. Mit Pauken und Trompeten – und das ist wörtlich zu nehmen – wird man geweckt und steht sogleich senkrecht im Bett.

Foto: Giorgio Krank

Besonders während des Karnevals im Rheinland und während der schwäbisch-alemannischen Fastnacht rennen die Leute wie die Narren durch die Straßen. Dabei fragt man sich, ob man es überhaupt noch mit Menschen oder schon mit Papageien zu tun hat, so wie die sich ihre Festtagsgrüße nachplappern. Dabei sollen die Bäckereiangestellten mit Pappnasen mir einfach nur Brot verkaufen und mich nicht für dumm. Die Busfahrer sollen gefälligst genauso grimmig dreinschauen wie an ihren anderen Arbeitstagen und mich beim Ticketkauf nicht durchwinken, nur weil sie mich bemitleiden, da ich offensichtlich kein Kostüm habe und wie sie arbeiten muss. Nein, dieses Mitleid habe ich nun wirklich nicht nötig. Schließlich bin ich diejenige, die Mitleid mit all diesen verlorenen Seelen hat, die sich zu einer homogenen Masse vereinigen.

Horrorszenario: Das bunte Treiben vor Corona, Foto: Giorgio Krank

„Ho Narro!“, tönt es durch die Straßen und sogar in den Tiefen der Unibibliothek ist man nicht sicher vor ihnen. Wenn man es am wenigstens erwartet, ganz unten auf BG2 oder BS2, taucht plötzlich aus dem Augenwinkel die schlechteste Kermit der Frosch Imitation auf, die man sich vorstellen kann. Wahrscheinlich soll es noch nicht einmal Kermit darstellen oder überhaupt einen Frosch, aber die Ähnlichkeit ist bei diesem saloppen Gang nicht zu übersehen. Unbehelligt schmeißt er dabei auch noch fröhlich mit Konfetti um sich – es reicht schließlich nicht, dass wir schon unter Wasserschäden zu leiden haben, nein die armen Reinigungsfachangestellten müssen jetzt auch noch umweltschädliches Plastik aufkehren.

Wenn man ihm dann jedoch den „Gefallen“ tut, ihm zu einem authentischeren, animalischen Kostüm zu verhelfen, kommt nicht mal ein Danke. Der wachrüttelnde Schlag ins Gesicht hat neben dem farbwechselnden Veilchen stattdessen noch den Vorteil, dass die puterrote Visage vor Wut dem eines Feuerlöschers gleicht. Ein besseres Kostüm als das eines Chamäleons kann es doch gar nicht geben, denn die Möglichkeiten sind damit grenzenlos. Von Frauen begrapschenden Perversen bis zum Clown, der in der Menge der Clowns nicht mehr aufhält, ist mit so einem anpassungsfähigen Kostüm alles möglich. Alles bis auf das Verstecken vor einer Pandemie.
Als wäre es nicht schon traurig genug, dass es grundsätzlich während des Karnevals in Köln, aber leider auch in jeder anderen Stadt zu mehr sexuellen Übergriffen kommt als an jedem anderen Tag im Jahr, müssen die Jecken ihren Verstand offensichtlich mit ihrer Alltagskleidung im Schrank hängen lassen.

Denn neben den Anzeigen von sexuellen Übergriffen steigen zu dieser Zeit auch die Zahlen der Corona-Infektionen. Das hat zuletzt die Zeit nach dem 11.11.2021 in NRW gezeigt, auch dieses Mal bereiten sich die Karnevals- und Fastnachtshochburgen mit ortsspezifischen Auflagen auf das Infektionsgeschehen vor. Denn auch wenn die Leute zu dieser Zeit nicht ganz sie selbst sind, schützt das Kostümieren nicht vor Corona.

Dabei ist Schutz zur Zeit so ein großes Thema und das nicht mehr nur, wenn man an die Pandemie denkt. Menschen müssen sich in Sicherheit bringen, während in der Ukraine bomben fallen. Es scheint absurd zu sein am selben Tag wie der Krieg in Europa offiziell ausbricht (denn seien wir mal ehrlich, Krieg gab es davor auch schon, nur vergessen das leider viele) sich mit geschminkten Gesichtern volllaufen zu lassen. Es wirkt taktlos, aber gleichzeitig ist Normalität in Zeiten wie diesen schon immer das Gerüst des zerbrechlichen Friedens gewesen – auch wenn es noch so närrisch ist. Während das Konfetti durch die Straßen fliegt, fallen anderswo Bomben. Das ist nicht das erste Mal so. Nur weil es jetzt näher ist als jeder unsägliche Trommelschlag von jecken Paraden, dürfen wir eben dies nicht vergessen.

Bringen wir die Narrenzeit hinter uns, ohne begrapscht zu werden oder sich mit Corona zu infizieren, hat man mit ziemlicher Sicherheit eine Alkoholvergiftung, nachdem man sich dieses bunte Treiben erträglich gesoffen hat. Doch mit all der Folter während der fünften Jahreszeit ist es nicht getan. Der Zwang zu viel zu dünnen, kalten Kostümen lädt sämtliche Erkältungssymptome ein, die sich dann wochenlang bei einem einnisten. Im schlimmsten Fall hat man, während man das Bett hütet, dann auch noch Schlagerlieder als folternde Ohrwürmer im Kopf.  

Und das alles nur, weil ein paar Hamperle einmal im Jahr ihr trauriges Dasein aufpolieren wollen, das nebenbei bemerkt nicht auf magische Weise besser wird, nur weil man an ein paar Tagen im Jahr mal plötzlich sein bierernstes Gesicht gegen Bier in der Hand tauscht. Vor allem dann nicht, wenn man sich die örtlichen Karnevalsvereine mal etwas genauer anschaut. Dann merkt man nämlich, dass es nichts verbissen Spießbürgerlicheres gibt als straff organisierte Umzüge mit lustig Sein auf Kommando. Den Sinn von strengen Regeln folgenden Wahlen von Dreigestirnen, die je nach Ort anders aussehen, habe ich noch nie verstanden, schließlich wollten wir bereits 1919 nichts mehr mit Monarchen in unserem Land zu tun haben, aber zur Karnevalszeit wählen wir plötzlich Könige, Prinzen, Königinnen und Narren als Repräsentanten.

Dabei wollen sich die meisten Leute einfach nur haltlos volllaufen lassen, ob es jetzt diese oder jene Tradition hier im Süden oder im Nordwesten ist, ist nebensächlich. Die Geschichte des Karnevals und auch der Fastnacht sind den wenigsten Menschen bekannt. Dass es dabei einst um die Vorbereitung auf die Fastenzeit und somit religiös konnotiert ist, ist für viele Feierwütige vermutlich ein völlig neuer Aspekt. Denn im Grunde sind Maschkerl, Hexen und Elfen doch alles nur verkleidete Spießbürger, die dem Alltag entfliehen wollen. Möglichst werden dabei noch große Distanzen in die Hochburgen per Fernverkehr überwunden, sodass mit Kinderschminke vollgeschmierte Gesichter und die Verspätungen der Deutschen Bahn selbst die letzte Möglichkeit von Flucht vereiteln (und dazu noch beide Horrorszeneariern zusammenführen).
So warte ich sehnsüchtig auf den Montag danach, an dem wir alle Montage wieder einstimmig hassen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Posts
Lesen

Hier fallen alle Hüllen: Im ersten Konstanzer Unverpackt-Laden bereits seit fünf Jahren  

Als erster Unverpackt-Laden der Stadt besteht „Unverpackt Konstanz“ nun seit mehr als fünf Jahren. Das Besondere am Laden ist, dass die Menschen hier verpackungsfreie und biologische Lebensmittel kaufen können und dabei keinen Plastikmüll produzieren. Welche Hürden das Geschäft überwinden musste und welche Meilensteine die Betreiber:innen schon erreichen konnten, erzählt Inhaberin Sladja Peerebooms.
Lesen

“Journalist:innen tragen eine wahnsinnig große Verantwortung”

Campuls hat sich auf die Suche nach einstigen Redaktionsmitgliedern begeben und sie gefragt, wie es nach der Uni für sie weiterging. Den Anfang macht Marc-Julien Heinsch, inzwischen Schüler an der Deutschen Journalistenschule in München (DJS). Campuls hat mit ihm darüber gesprochen, wie und warum er Journalist werden wollte und welche Rolle der Journalismus in unserer Gesellschaft heutzutage noch spielt.