Campuls: Herr Knoll, im Jahr 1998 stiegen Sie mit ihrem Gründer-Kollegen Harri Butsch noch während des BWL-Studiums an der HTWG-Konstanz in den Fischhandel ein. Seit 2007 setzen Sie sich zusammen mit Ihren Produkten für einen zu 100 Prozent nachhaltigen Fischfang ein, inzwischen auch für eine 100 Prozent-nachhaltige Landwirtschaft. Wie kam es zu diesem ökologischen Engagement? Waren Sie schon immer am Thema Nachhaltigkeit interessiert oder hat sich diese Passion im Laufe Ihrer Unternehmerzeit erst entwickelt?
Jürg Knoll: Als mein Partner Harri Butsch und ich 1998 anfingen, Zander nach Deutschland zu importieren, war das schnell ein gutes Geschäft. Uns kam jedoch nach einiger Zeit die Sinnfrage. Das Thema Überfischung der Weltmeere gewann zunehmend an Brisanz. Das hat uns beschäftigt und so entstand zunächst die Idee zu „followfish“, der ersten nachhaltigen Fischmarke. Als wir unsere Produktpalette im Laufe der Zeit ausweiteten wurde „followfish“ zu „followfood“.
C: Welche Produkte existieren momentan von „followfood“ und planen Sie in Zukunft eine Erweiterung Ihrer Produktpalette?
K: Neben unseren Tiefkühlfisch- und Fischkonserven-Produkten bieten wir auch Räucherlachs an. Seit 2013 gibt es außerdem Bio-Pizzen, hier sind wir sogar marktführend. 2019 kamen dann Bioweine und Tiefkühlgemüse aus nachhaltigem Anbau hinzu. Erst letztes Jahr haben wir Bio-Frucht-Gemüse-Eis und vegane Bio-Tiefkühlgerichte auf den Markt gebracht
Wir denken eigentlich immer über neue Produkte nach, insofern kommt bestimmt noch etwas dazu.
Jürg Knoll
Ein besonderer Fokus liegt momentan auf dem Thema „regenerative Landwirtschaft“. Hier möchten wir Vorreiter sein für einen neuen Trend, der eine Landwirtschaft unterstützt, die nicht nur nachhaltig ist, sondern sogar regenerativ wirkt, also kaputten Ökosystemen bei der Gesundung hilft. Aus einem großen Pilotprojekt in Brandenburg möchten wir im Laufe des Jahres erste Produkte herausbringen.
C: Wie sah das Projekt zu seiner Anfangszeit aus und wie wurde es finanziert?
K: Angefangen hat es als Schlafzimmerfirma am Schreibtisch in Harris Kinderzimmer bei seinen Eltern und die erste Investition war ein Faxgerät im Jahr 1997. Geld im größeren Stil brauchten wir zunächst für den Einkauf von Fischen, zudem wollten wir uns an einer russischen Fischverarbeitung beteiligen. Die Banken schüttelten hierzu den Kopf, im Gegensatz zu Investor_innen, die wir für unser Unternehmen gewinnen konnten. Sie vertrauten unserer Idee und liehen uns die ersten 300 000,- DM. für 24 Prozent Zinsen. Das klingt viel, war damals aber unserer Rettung und der Startschuss unseres Geschäftes. Verrückt, wenn ich heute daran denke.
C: Sie legen ja besonderen Wert auf das „follow“ in „followfood“, sprich auf die Nachverfolgbarkeit Ihrer Produkte. Wie muss man sich dieses Konzept genau vorstellen?
K: Als wir uns zum Ziel setzten, die erste nachhaltige Fischmarke zu werden, wollten wir einerseits den ersten Fisch anbieten, der mit einem seriösen Siegel dafür versehen ist, dem MSC-Siegel (vergeben vom Marine Stewardship Council, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in London). Andererseits sollten Käufer_innen die Sicherheit bekommen, unser Produktversprechen überprüfen zu können. Deshalb haben wir den Tracking-Code erfunden, der maximale Transparenz über Lieferketten, Hersteller und Fanggebiete liefert. Am Anfang standen die Großen der Branche dem sehr skeptisch gegenüber. Wir haben aber an unsere Idee geglaubt und konnten so in der Lebensmittelbranche neue Standards zum Schutz der Meere etablieren. Die Verbraucher_innen haben unser Konzept sofort verstanden. Mittlerweile lassen sogar Discounter ihren Fisch auf Nachhaltigkeit zertifizieren und verwenden stolz den Tracking-Code, den wir 2007 weltweit erfunden haben. Irgendwie schon cool.
C: Auf Ihrer Homepage sprechen Sie davon, dass jedes Ihrer Produkte einen „ökologisch einwandfreien Ursprung“ hat und treten zudem mit dem Anspruch auf, die nachhaltigsten Fischprodukte der Welt anzubieten. Wie genau werden Sie dem gerecht? Welche Schritte müssen dafür unternommen werden?
K: Wenn wir ein Produkt einführen, machen wir uns sehr viele Gedanken, wer die besten Partner dafür sein könnten. Vor allem die richtigen Lieferanten zu finden, ist für uns enorm wichtig und ein Kernstück unserer Arbeit. Aber natürlich kontrollieren wir auch, ob unsere Standards, die wir bei Fisch als die strengsten auf dem Markt sehen, eingehalten werden – durch externe Zertifizierungen und durch internes Qualitätsmanagement. Das Wichtigste sind und bleiben jahrelange, enge und teilweise schon freundschaftliche Beziehungen zu unseren Lieferanten.
C: Halten Sie es für möglich, dass irgendwann all unsere Lebensmittel aus 100 Prozent-nachhaltiger Landwirtschaft, respektive Fischerei stammen, oder ist das eine Illusion?
K: Für unsere Produkte kann ich das sagen. Auch insgesamt konnten wir schon viel Positives bewirken, weil wir immer wieder mit Innovationen die Konkurrenz ein Stück weit dazu zwingen, nachzuziehen. Es gibt noch einen weiten Weg zu gehen beim Meeres- und Umweltschutz. Von 100 Prozent träumen darf man aber und irgendwann wird das auch der Fall sein. Wir werden in zehn, 20 Jahren eine völlig andere Konsumwelt sehen, davon bin ich überzeugt. Der starke Trend zur Nachhaltigkeit ist eben mehr als nur ein Trend, es ist ein Zeichen einer tiefen Transformation.
C: Wie können Sie der wachsenden Konkurrenz standhalten und wie erkennen Konsument_innen beim Einkauf, ob ein Lebensmittel wirklich nachhaltig produziert wurde?
K: Die entscheidende Frage für Erfolg beim Handel mit nachhaltigen Produkten ist, wie das Geschäftsmodell aussieht: Wie korrespondiert die Kultur des Unternehmens zum Angebot? Was sind die Werte und was das Alleinstellungsmerkmal der Produkte? Viele Mitbewerber_innen beobachten uns und unseren Erfolg und sagen: „Hey, das Produkt ist erfolgreich, das kopiere ich mal.“ Ich glaube, dabei unterschätzen sie oftmals, warum unsere Produkte erfolgreich sind. Kund_innen kaufen nicht nur die Attribute unserer Produkte, sondern die ganze Philosophie, die hinter dem steckt, was wir machen.
Unser glaubhaftes und tief gelebtes Engagement für eine bessere Lebensmittelwelt in all ihren Facetten ist nicht einfach nachzuahmen. Für viele Unternehmen bedeutet dies eine komplette Umstellung ihres Geschäftsmodells, sprich eine weitreichende Veränderungen ihres Angebots und ihrer Unternehmenskultur.
Ein wichtiger Teil von dem, was wir tun, ist die Tatsache, dass wir ganz viel eben nicht tun: Darunter Fleisch verkaufen, konventionelle Produkte vermarkten, bestimmte Lieferwege nutzen und Produkte über den Preis vermarkten.
Jürg Knoll
Im Normalfall ist es deshalb bestehenden Unternehmen nicht möglich, uns zu kopieren. Höchstens Start Up-Unternehmen, nur da haben wir einen großen Vorsprung und sind sehr bemüht, diesen auch zu behalten.
C: Wer als Konsument_in Wert auf nachhaltig produzierte Lebensmittel legt, tut dies meist mit der Absicht, der Umwelt, den Fischer_innen und den Landwirt_innen etwas Gutes zu tun und nimmt dafür einen höheren Preis in Kauf. Hängt der Erfolg Ihrer Produkte von einem Bedürfnis der Menschen zu moralisch korrektem Verhalten, vom Gefühl der guten Tat ab? Und was könnte gemacht werden, um potenzielle Käufer_innen auch anderweitig zum Kauf von ökologischen Lebensmitteln zu bewegen?
K: Sie stellen richtigerweise fest, dass es entscheidend darum geht, zu verstehen, warum Kund_innen Produkte von uns kaufen. Das ist letztendlich DIE Kernfrage, die wir und andere „grüne Marken“ uns stellen und vor allem beantworten müssen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Menschen, die Bio kaufen, gesünder essen möchten. Ich glaube, dass das bis heute ein nicht unwesentlicher Teil der Bedürfnisstruktur unserer Kund_innen ist.
Das Verständnis des Begriffs „gesund“ erweitert sich laufend, vergleichbar mit einem sich ausweitenden Bewusstsein.
Jürg Knoll
Die Grenzen zwischen „Was ist gesund für mich?“ und „Was ist gesund für unsere Umwelt?“ verschwimmen. Wir verstehen mehr und mehr, dass es keinen Sinn macht, das Ich und das Außen zu trennen. Etwas, das die Umwelt zerstört, kann im größeren Kontext nicht gut für mich als Konsument_in sein. Das ist ein Aspekt.
Der zweite Aspekt ist, dass Menschen mehr und mehr verstehen, dass Unternehmen, besonders durch das, was in ihren Lieferketten passiert, oftmals einen negativen Einfluss auf unsere Ökosysteme haben. Das Bedürfnis, in gesunden Ökosystemen zu leben, wird immer größer verbunden mit der Erkenntnis, dass ich als Konsument_in durch meinen Kauf hier entscheidenden Einfluss habe.
Das Portal „Utopia“ hat vor einiger Zeit eine Umfrage gemacht, in der 72 Prozent der Befragten angaben, Marken unterstützen zu wollen, die im Herstellungsprozess ihrer Produkte verantwortungsvoll mit den Arbeiter_innen und der Umwelt umgehen. Andere Studien bestätigen diesen Trend. Nachhaltigkeit ist DAS Thema des neuen Jahrtausends.
C: Ist es richtig, dass sich Ihr Unternehmenssitz momentan in Friedrichshafen befindet und könnten Sie sich vorstellen, das Unternehmen an andere Standorte auszuweiten, oder spräche das gegen Ihre Vorstellung von Nachhaltigkeit?
K: Mein Partner Harri Butsch und ich leben mit unseren Familien am Bodensee. Das Team, das für „followfood“ arbeitet, ist aber über ganz Deutschland verteilt. Einige arbeiten in der Zentrale in Friedrichshafen, andere in Hamburg, wo wir ein weiteres Office haben und unser Nachhaltigkeits-Direktor sitzt und arbeitet in Berlin. Wenn wir uns treffen, fahren wir mit der Bahn innerhalb von Deutschland. Aber im Moment sehen wir uns, wie alle, sowieso nur über Video-Calls.
C: „followfood“ versteht sich nicht nur als Lebensmittel-Unternehmen, sondern auch als Bewegung. Erzählen Sie unseren Leser_innen doch ein bisschen dazu: Was genau machen Sie in dieser Bewegung und kann sich daran jede_r beteiligen?
K: Nach unserem Selbstverständnis geht es nicht nur darum, Lebensmittel zu verkaufen, sondern mit unserem Tun die Branche zu verändern. Deshalb sehen wir uns nicht als klassische Marke, sondern eben als Bewegung. Ein Beispiel habe ich bereits angesprochen: 2007 haben wir einen online Tracking-Code für volle Transparenz erfunden.
Anfangs haben uns viele dafür belächelt, nach dem Motto: „Warum seid ihr so doof eure ganzen Lieferanten preiszugeben?“ Heute, 14 Jahre später, muss man nur bei Google die Stichworte „Tracking-Code Fisch“ eingeben und kann sehen, dass ganz viele Marken und große Bereiche des Handels damit werben. Wir wollen Märkte bewegen, das ist unsere ganz große Vision.