Bevor einer Band auf der Festivalbühne zugejubelt werden kann, fließt einiges an Arbeit in die Auswahl und Anfrage der Bands, das Booking. Werner Rietzschel ist beim Campus Festival für die Programmgestaltung verantwortlich und erklärt, wie diese funktioniert. Booking bezeichne dabei natürlich nicht nur Bandbooking, sondern alles, was auf den Bühnen passiert, zum Beispiel auch die Herzblattshow des Hochschulradios.
Beim Bandbooking schaue man zuerst, wie viele Bühnen man habe, wie lange man die Bands spielen lassen wolle und wie viele Slots es entsprechend zu füllen gibt. „Danach überlegt man, wie lange diese Slots sein sollen, da gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Dieses Jahr gab es zum Beispiel vierzig, aber auch fünfunddreißig Minuten Slots“. Man müsse aber auch überlegen wie viel Kapazitäten der Backstagebereich habe, wie viel Bands man also unterbringen könne.
„Wenn dieser Rahmen steht“, meint Werner, „überlegt man sich, wie möchte ich das füllen? Im Festivalbereich arbeitet man sich von oben nach unten. Das bedeutet, erst werden Headliner angefragt, weil die die größeren Touren haben. Die muss man sich zuerst sichern, weil andere Festivals auch um sie buhlen.“ Dabei stehe das Campus Festival auch vor der Herausforderung, dass es eines der ersten Festivals im Jahr ist und nicht noch abwarten und beobachten könne, was andere Festivals ausprobieren und wie gut es funktioniert.
Talentsuche auf Spotify?
Wie findet man nun die Bands? Hört er als Booker den ganzen Tag Spotify? Tatsächlich. „Es ist echt einfach Arbeit, sich durchzuhören, das Gespür dafür zu haben, was funktionieren könnte und was nicht.“ Er beobachte natürlich, was in der Branche gerade gut funktioniere, spannend ist und zum Booking-Charakter des Festivals passe. Der Booking-Charakter lässt sich vielleicht am besten als Zielgruppe beschreiben. Das Campus Festival ist auf junge Leute zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren ausgerichtet und bedient auch bestimmter Musikrichtungen. „Deutschrap, Pop, Indiepop, also in dem Dunstkreis bewegen wir uns. Elektro haben wir auch noch mit drin. Alles, was tanzbar, feierbar ist, trifft es ganz gut. Wir sind offen für Neues und schließen nichts kategorisch aus, aber Musikrichtungen wie härterer Rock, Metal, das ist bisher nicht in unserer DNA.“
Regionale Acts würden sie gern noch häufiger buchen, meint Werner: „Wieso nicht? Wenn wir gute Musik hier haben, warum sollten wir jetzt in die Großstadt schauen.“ Explizit als Nachwuchsförderung verstehe das Campus Festival sein Programm aber nicht. Kleinere Bands und Newcomer bekommen ihrer Bekanntheit entsprechend eher die frühen Slots. Das ist mitunter eine wirtschaftliche Entscheidung. Trotzdem versuche das Festival auch mal Bands mit Potential etwas besser zu platzieren und damit kleine Akzente zu setzen. „Irgendjemand muss halt immer anfangen, das tut halt weh. Es ist immer bitter, weil die Leute noch nicht alle da sind. Es wäre schön in einer idealen Welt, dass alle denken: Geil, Festival macht auf, wir strömen alle rein. Das ist halt nicht so.“ Bei den ersten Slots könne man dafür auch mal ein bisschen rumprobieren, die Produktionsqualität müsse noch nicht die Beste sein. Bei späteren Slots laufe man mit regionalen Acts leider ein bisschen Gefahr, dass die Zuschauer:innen dann die Bühne wechseln, weil sie die Künstler:innen noch nicht kennen. Am Anfang bestehe schon die Hoffnung, dass die Leute da sind, um sich treiben zu lassen, auch mal bei unbekannten Acts stehen zu bleiben. „Später wird die Konkurrenz größer und die Regio-Acts haben es schwerer.“
Das Booking-Team schreibt auch proaktiv regionale Bands an, deren Musik es cool findet. Danebnen kann man sich übrigens direkt per Mail beim Campus Festival bewerben, auch als Newcomerband.
Diese Chance hat zum Beispiel die Nachwuchsband Kili genutzt, deren Bühne trotz des frühen Auftritts kurz nach 14 Uhr sehr gut besucht war. „Das liegt einfach daran, dass sie gute Musiker:innen sind, sehr ausproduziert klingen und wirklich schon extreme Qualität liefern. Sie können da gut mithalten“, fasst Werner zusammen. Bei ihnen bleibe eher die Frage, ob sie weiter versuchen, nebenher Musik zu machen oder sich jetzt für die Musik entscheiden, erstmal alles auf diese Karte zu setzen und schauen, ob es funktioniere, überlegt Werner.
Der erste Festivalauftritt: Ein unvergessliches Erlebnis
Kili, das sind Kim und Lia, zwei Musikerinnen aus Konstanz, die deutsche Indie-Popmusik produzieren. Mit ihren persönlichen Texten und eingängigen Melodien möchten sie die Menschen auf eine emotionale Reise mitnehmen. Ihre Musik beschreibt das Leben, die Liebe und die alltäglichen Herausforderungen, die sie in ihren Songs aufgreifen und verarbeiten.
Ihr erster Auftritt auf einem Musikfestival war für Kili ein bedeutendes Erlebnis. „Es hat sich gut angefühlt“, erzählt Lia im Interview. Der Unterschied zu vorherigen Auftritten war spürbar – die große Bühne, das Publikum und die Atmosphäre haben für einen Adrenalinschub gesorgt. „Der gesamte Tag war eine emotionale Achterbahnfahrt“, erinnert sich Lia. Von nervöser Anspannung am Morgen bis zu einem sicheren und selbstbewussten Gefühl während des Auftritts war die Erfahrung durchweg positiv.
Trotz kleinerer Schwierigkeiten, wie einer Verzögerung beim Einlass, meisterten Kili ihren Auftritt souverän. „Wir standen wie geplant um 14 Uhr auf der Bühne, zitterten und waren aufgeregt, wann die Leute reinkommen können. Spontan mussten wir unseren Auftritt um 10 Minuten verkürzen. Am Ende konnten wir dennoch alle Lieder spielen“, berichtet Kim. Besonders in Bezug auf die Betreuung der Künstler:innen waren Kim und Lia positiv überrascht: „Wir wurden super herzlich in Empfang genommen und über den ganzen Tag hinweg unterstützten uns zwei Betreuerinnen“, erzählt Kim. „Man wird insgesamt sehr an die Hand genommen, falls irgendwelche Probleme auftauchen“, fügt Lia hinzu.
Der Weg zum Campus Festival
Die Bandgeschichte von Kili hat im Studium begonnen. Kim und Lia lernten sich kennen und haben ihre gemeinsame Leidenschaft für Musik entdeckt. Vor zwei Jahren haben sie ihr gemeinsames Projekt gestartet und erste Lieder zusammen geschrieben. Ihr Song „Stadtlandfluss“ hat den Beginn ihrer musikalischen Reise markiert.
Ein besonderer Meilenstein war ein Auftritt beim Filmfestival Cinema Paradiso in Konstanz. „Wir wurden vom Filmfestival angefragt, ob wir dort einen halbstündigen Auftritt machen wollen – das war für uns richtig besonders.“ Spontan haben sie sich dann entschieden, sich beim Campus Festival zu bewerben – mit Erfolg. Der Moment der Zusage war für die beiden unvergesslich. „Wir saßen beide an unserer Bachelorarbeit, als die E-Mail kam“, erinnert sich Lia. „Kim war gerade total beschäftigt, als ich sagte: ‚Du musst jetzt kurz mit mir rauskommen!‘“ Mit dieser Zusage stand fest: Sie würden an ihrem Klang arbeiten und die Chance nutzen, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Sie sind in die Produktion von Musik eingetaucht und verbesserten ihre Fähigkeiten, um professioneller und vielfältiger arbeiten zu können. Vor einigen Monaten fassten Kim und Lia einen mutigen Entschluss: Sie entschieden sich, sich voll und ganz auf ihre Musik zu konzentrieren. Die Monate vor dem Festival haben sie intensiv genutzt, um neue Songs zu produzieren und ihre Musik weiterzuentwickeln.
Für Kili ist das Campus Festival ein wichtiger Meilenstein in ihrer Karriere. „Wir selbst waren schon oft als Besucherinnen auf dem Festivalgelände unterwegs. Wenn man dann die Chance bekommt, mal auf der Bühne zu stehen, anstatt im Publikum, ist das beeindruckend“, sagt Kim.
Der Weg zu ihrem ersten großen Auftritt hat viele neue Erfahrungen und Herausforderungen mit sich gebracht. „Man lernt total viel und nimmt viele wichtige Erfahrungen mit: Man muss einen Technical Rider und einen Festival Rider schreiben, überlegen, wen und was man alles mitnehmen darf und wie das System und der Ablauf funktioniert“, berichtet Lia. Ein Technical Rider beschreibt dabei die technischen Anforderungen einer Band oder einer Künstler:in für eine Live-Performance, einschließlich Bühnenplan, Audio- und Lichttechnik. Ein Festival Rider hingegen umfasst allgemeine Bedürfnisse und Erwartungen, wie Backstage-Anforderungen, Verpflegung, Transport und Unterkunft. Diese organisatorischen Aspekte sind entscheidend für einen erfolgreichen Auftritt und bieten wertvolle Einblicke in das professionelle Musikgeschäft. Für Kili war das Campus Festival der Startschuss, sich voll und ganz der Musik zu widmen.
Karriere Kickstart?
Besonders freut sie, dass in diesem Jahr viele lokale Musiker:innen vertreten waren. Trotz des Wachstums des Festivals bleibt die Unterstützung von lokalen Musiker:innen ein wichtiger Bestandteil der Veranstaltung. Gleichzeitig schätzen Kim und Lia es sehr, dass auch weibliche lokale Künstlerinnen gezielt gefördert werden. Die Vorbereitung auf einen großen Festivalauftritt erfordert vor allem eines: Zeit. „Wir hatten viele Song-Skizzen, aber wir wollten mit einem richtigen Set auftreten“, erklärt Kim. Das erste halbe Jahr haben sie deshalb damit verbracht, Songs zu produzieren und anschließend intensiv zu proben. Die Musik allein nimmt viel Zeit in Anspruch, doch dazu kommt noch eine Menge organisatorischer Aufgaben. „Man steht in Kontakt mit vielen Menschen und muss den ganzen Festivalauftritt von vorne bis hinten durchplanen. Diesen Teil der Arbeit haben wir total unterschätzt“, gibt Lia zu. Ein besonderes Ritual, das ihnen hilft, die Anspannung und Nervosität direkt vor dem Auftritt zu mildern, ist das Springen. „Ganz doll springen, um das Adrenalin im Körper zu verteilen, ist fester Bestandteil der Vorbereitung“, verrät Kim. Ein weiterer hilfreicher Tipp ist das sogenannte „Lax Voxen“ – eine Art Stimmtraining, bei dem man durch einen Schlauch in eine Flasche Wasser pustet und dabei ein Lied oder einzelne Töne summt. „Das hilft dabei, die Stimme voluminöser und klarer zu machen“, erklärt Kim.
Die Monate vor dem Festival waren für Kim und Lia eine Zeit intensiver Selbstreflexion und Entscheidungsfindung. „Die Zukunft ist so ein Thema, über das wir uns noch nie so oft unterhalten haben wie in den letzten Monaten“, sagt Kim. Nach ihrem Bachelorabschluss standen sie vor der Wahl: Sollen sie mehr Zeit in die Musik investieren oder sich anderen Projekten widmen? Schließlich haben sie sich dafür entschieden, die Musik in den Vordergrund zu stellen. Der Auftritt beim Campus Festival war dabei ein wegweisender Schritt in ihrer Karriere, auf den sie stolz sind und der sie in ihrer Entscheidung bestärkt hat. Dennoch bleiben sie ihrem akademischen Weg treu und sind beide für den Master in Psychologie eingeschrieben. Diese Doppelbelastung stellt sie oft vor große Herausforderungen.
Das Campus Festival ist mehr als ein Ort für große Headliner – es bietet Perspektive für junge Talente und neue musikalische Geschichten. Kilis Weg von der Bewerbung bis zur Festivalbühne ist ein Beispiel dafür, wie diese Plattform junge Musiker:innen fördert und inspiriert. Für Kim und Lia war der Auftritt ein Wendepunkt – eine Gelegenheit, die Musik in den Vordergrund ihres Lebens zu stellen und herauszufinden, was wirklich möglich ist.