Streit Mann und Frau

Der gefährlichste Moment im Leben einer Frau

„Wenn ich nach der Trennung von meinem Ehemann Bekannte traf und sie sich nach mir erkundigten, wie es mir ginge, lautete meine Antwort meist: sehr schlecht, weil mein Mann mir ein Messer an den Hals gehalten und mich fast getötet hat. Anders hätte ich es nicht ausdrücken können.

Frauen, die Partnerschaftsgewalt erlebt haben, schweigen oft. Für mich war es erst fünf Jahre nach der Tat möglich, mit der Öffentlichkeit meine Geschichte zu teilen“, erzählt mir Dr. Christine Finke via Skype. Ihre beiden jüngsten Kinder, ein Mädchen und ein Junge, litten lange unter Albträumen, in denen fremde Männer ihre Mutter ermorden wollten. Die Tochter war bei der Trennung 2009 gerade einmal elf Monate alt.

Die promovierte Sprachwissenschaftlerin, Journalistin und Stadträtin in Konstanz hat sich mit ihrem Blog „Mama arbeitet“ einen bekannten Namen in der Blogger-Szene gemacht und war Gast in Talkshows wie Maybrit Illner und Stern TV. Die alleinerziehende Mutter schreibt, manchmal ernst, manchmal lustig und oftmals sehr persönlich, über ihren Alltag, politische Diskurse und gesellschaftliche Tabus. Ihre Antworten während des Interviews sind wohlüberlegt. Sie lässt, nachdem sie eine Frage beantwortet hat, lange Pausen. Fast so, als ob sie absichtlich Zeit für Notizen lassen möchte.

Der Corona-Lockdown im März und April 2020 sollte die Bevölkerung vor einer Ansteckung mit dem gefährlichen SARS-CoV-2-Erreger schützen. Die zuallermeist weiblichen Opfer häuslicher Gewalt waren in dieser Zeit ihren Peiniger_innen in den eigenen vier Wänden noch mehr als sonst ausgeliefert. Die Täter_innen kontrollierten und isolierten sie von der Außenwelt. In über 80 Prozent der Fälle sind die Opfer weiblich. Laut Auswertung des Bundeskriminalamts starben im Jahr 2018 insgesamt 122 Frauen in Folge von Partnerschaftsgewalt. Im gleichen Jahr wurden mehr als 114.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, Bedrohungen oder Nötigungen durch ihre (Ex-)Partner_innen.

Vor allem die Sichtbarkeit von Institutionen und Hilfsorganisationen sei wichtig, betont Finke immer wieder. Sichtbarkeit bedeute aber auch, Geld in solche Vereine auf Bundes- und Kommunalebene zu investieren, da diese sich oftmals zu großen Teilen durch Spenden finanzieren müssen. Sie selbst suchte sich als erste Anlaufstelle Beratung in dem Selbsthilfeforum des Vereins ‚re-empowerment! e.V. – Frauen gegen Partnerschaftsgewalt‘. Zunächst als Userin im Forum unterwegs, war sie nach einer Weile dort als Online-Moderatorin tätig: „Viele Geschichten waren ungemein krass, einiges habe ich verdrängt“, gesteht sie mir. „Beim Lesen solcher Schicksale ruhig zu bleiben und dem Opfer bewährte Tipps in derlei Notsituationen an die Hand zu geben – das musste ich erst einmal lernen.“ Ungefähr drei Jahre arbeitete sie ehrenamtlich für das Forum. Als es mit ihrer eigenen Trennung ernst wurde, half der dreifachen Mutter insbesondere die nur 300 Meter von ihrem eigenen Haus entfernte Beratungsstelle ‚Frauen helfen Frauen in Not e.V.‘. Heute befindet sich das Beratungszentrum in der Austraße 89 nahe des Kulturladens und Zebra Kinos.

„Ich trennte mich von meinem Mann in unserem damaligen Zuhause, was, wie ich jetzt weiß, ein Fehler war.

Trenne dich niemals unter vier Augen von einem Mann, der zu Gewalt- oder Wutausbrüchen neigt. Das ist der gefährlichste Moment im Leben einer Frau.

Verlasse das Haus und die Beziehung, ohne deinen Partner mit deiner Entscheidung zu konfrontieren. Schaff stattdessen unbemerkt dein eigenes Geld beiseite, mach Kopien von deinen Papieren und pack eine Tasche, mit der du jederzeit aus dem Haus gehen kannst.“

Ihre eigene Geschichte erzählt sie durchweg sachlich. Nur an einer Stelle lacht sie spöttisch auf: „Man liest über Trennungen mit Kindern, dass man sich gemeinsam aufs Sofa setzen und den Jüngsten erklären soll, dass alles wie vorher bleibt. Mama und Papa haben euch weiterhin lieb und so weiter.“ Nach dem Übergriff saß Finke stattdessen verstört im gemeinsamen Wohnzimmer. Sie rief die Beratungsstelle an. Diese riet ihr, ihre Verletzungen bei einem Vertrauensarzt oder einer Vertrauensärztin dokumentieren zu lassen: Was genau ist passiert, wo sind die Verletzungen, wie schätzt der/die Ärzt_in den Zustand des Opfers ein? Der Opferbogen kann später, falls es zu Gerichtsverhandlungen kommt, noch wichtig werden. Ohne diese Dokumentation kann es im schlimmsten Fall zu einer Anzeige wegen Falschanschuldigung im Zuge einer Trennung kommen.

„Man fühlt sich nicht so allein, wenn man weiß, dass Hilfe in der Nähe ist. Ohne die Beratungsstelle wäre ich nicht zur Polizei gegangen. Der Beamte vor Ort war sehr einfühlsam und hat mich geduldig über meine Rechte aufgeklärt. Man muss den Täter oder die Täterin zum Beispiel nicht direkt anzeigen, sondern kann den Tathergang vorerst in einem Protokoll dokumentieren lassen.“ Abschließend durfte sie das Geschriebene gegenlesen, das nun in den Akten vermerkt war – ein für alle Mal. Sie habe sich danach sicherer gefühlt. Der Polizeibeamte gab ihr die Nummer von der Streife und versprach ihr, in zwei Minuten vor der Haustür zu sein, falls noch etwas passieren sollte. Ihr Mann wurde aufs Revier zitiert und erhielt eine Gefährderansprache.

Finke nahm sich fast eine Stunde Zeit für das Interview, das Thema lag ihr sichtlich am Herzen. Ich gestehe ihr, dass die Beiträge ihres Blogs und ihre Worte mich sehr berührt und nachdenklich gestimmt haben, und frage sie, ob es ihr nicht auch einmal zu viel werde: der ganze Trubel und die Aufmerksamkeit, aber auch der Hass, der ihr zum Teil im Netz entgegenschlägt. Nun wird sie doch kurz emotional, ihre Stimme zittert leicht, als sie am Ende unseres Gesprächs resümiert:

„Hasskommentare interessieren mich nicht mehr. Aber das, was zwischen uns hier passiert, das ist der Spirit. Uns verbindet etwas, Sie und mich. Vielleicht lesen meine Blogeinträge nur zwei Hansel. Vielleicht 20.000 Menschen. Aber ich schreibe. Weil ich es kann.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts
Lesen

Toleranz im Alltag: Kulturelle Vielfalt in WGs und wie sie mit Freiheit zusammenhängt

Wahrscheinlich haben alle Studierenden in ihrem Leben mindestens einmal in einer WG gelebt. Manche finden dort wahre Freunde, einige zukünftige Kollegen, andere die Liebe ihres Lebens, von der sie sich nie wieder trennen wollen. Aber läuft wirklich alles so gut? Schließlich kann das Zusammenleben mit Menschen, die man am Anfang kaum kennt, viele Herausforderungen im Alltag mit sich bringen. Vor allem, wenn man aus einer völlig anderen Kultur kommt. Auf welche Widersprüche stoßen benachbarte Studierende aus verschiedenen Kulturen und wie lösen sie mögliche Probleme?
Lesen

Kulturbetriebe und Corona: Torben Nuding von der „Kantine Konstanz“ im Gespräch über die Krise, Zusammenhalt und neue Chancen

Die „Kantine“ erfreut sich normalerweise großer Beliebtheit. Jetzt in Corona-Zeiten blieb der Club leer. Seit ein paar Tagen wurde jedoch wieder ein eingeschränkter Betrieb aufgenommen: Der Mittagstisch, der die Möglichkeit bietet, sich ein leckeres Mittagessen mitzunehmen oder vor Ort zu speisen. Laut Herrn Nuding wird aktuell die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens erzielt. Dies sei aber schon mehr als man in solchen schweren Zeiten erwarten könne.
Lesen

Das geldige Weihnachten

Weihnachten nervt. Frühestens, wenn die Schoko-Nikoläuse schon bei sommerlichen 30 Grad im Supermarkt stehen und Weihnachtsmusik aus den Lautsprechern dröhnt. Eigentlich wollte man sich doch nur ein kaltes Eis kaufen. Weihnachten nervt, wenn zum zehntausendsten Mal „Kevin allein zu Haus“ im Fernsehen läuft, beim Schrottwichteln wirklich nur kompletter Müll geschenkt wird und der Weihnachtsbaum doch nicht in die Wohnung passt. Und spätestens, wenn die Familie sich an Heiligabend anschweigt, weil mal wieder die falschen Geschenke gekauft wurden. Oder noch schlimmer – ein gequältes Lachen hervorbringt und vorspielt, eine amüsante Zeit zu verbringen.
Lesen

Demokratie auf Deckeln und in aller Munde

Wie viel Demokratie passt auf einen Bierdeckel? Ganz schön viel, sagt der Verein „Demokratiedeckel“. Mit kontroversen Fragen auf bunten Deckeln laden die Mitglieder Gäste in Restaurants und Bars dazu ein, ihre eigenen politischen Ansichten zu hinterfragen – bald vielleicht auch hier in Konstanz.
Die mobile Version verlassen