Warum Awareness mehr als nur Achtsamkeit ist: Die Initiative Nachtlicht

2023 stand der Wunsch im Raum sich aktivistisch zu engagieren. Nur ein Problem gab es für Cilia und Samira: Keine Gruppe in Konstanz verkörperte den Ansatz, den die beiden frisch aus dem Auslandssemester zurückgekehrten Studentinnen wünschten. Man wünschte sich einen aktivistischen Ansatz, der „recht praktisch ist und recht schnell Leuten etwas zurückgibt“ erzählt Cilia.

Eine Initiative, die Licht ins Dunkele bringt

Co-Gründerinnen Samira und Cilia engagieren sich beide durch das Mahagoni Kollektiv im Nachtleben. Der Gedanke, eine Struktur zu schaffen, die eben dieses schützt, lag da nicht weit entfernt. Das reine Beobachten der Missstände und fehlenden Awareness-Strukturen kombiniert mit persönlichen Erfahrungen, brachte letztendlich den Stein ins Rollen: Die Party-Care und das solidarische Miteinander des eigenen Freundeskreises habe Samira und Cilia inspiriert, die selbst aufgebauten Strukturen zu vergrößern und so vor allem auf andere auszuweiten, erklärt Samira.

Die Gesichter hinter der Initiative Nachtlicht. Bild: Rawan Ibrahim.

Awareness ist nicht gleich Awareness

„Awareness“ bedeutet Achtsamkeit“. Awareness stellt aber auch das Bewusstsein über Grenzen und Diskriminierungsverhältnisse dar:

„Über sich selbst und das Umfeld bewusst zu sein. Aber auch bewusst über bestehende Machtstrukturen zu sein und damit sensibel umzugehen und diese zu hinterfragen.“

Zu der Awareness-Arbeit gehöre weitaus mehr als Achtsamkeit an sich, erklärt die zukünftige Finanzerin des Vereins Lisa. Es gehe eben auch darum, Menschen zu verstehen, sich mit Diskriminierungsformen und Intersektionalität auseinanderzusetzen, fügt sie hinzu.

Wenn viele zusammenkommen, entsteht eine Initiative

Zum inneren Kern der Initiative zählen acht Personen. Das heißt konkret: Workshops und Schulungen geben und Veranstaltungen koordinieren. Die Mitwirkenden in den WhatsApp-Communities, sowie fertiggeschultes Personal „Schichties“, wie sie liebevoll von den Gründerinnen genannt werden, tragen gemeinsam die Initiative. Letztere durchlaufen eine allgemeine Schulung unter der Leitung der Gründerinnen. Diese besteht aus Schulungsvideos und Leitfäden zum Umgang mit Veranstaltungsbesucher:innen. Auf den entsprechenden Events gibt es dann noch eine zusätzliche Einweisung für die Awareness-Teams.

Die Arbeit der Initiative Nachtlicht besteht nicht nur daraus, Veranstaltungen zu betreuen. Es geht auch darum, Konzepte zu schreiben, Schulungen zu planen und zu geben. Andere Aktionen, an denen sich die Initiative beteiligt, zu verwalten, gehöre ebenfalls dazu, erklärt Samira. Die Seminare, die von Nachtlicht an der Universität und an der HTWG angeboten werden, spielen dabei eine zentrale Rolle: Durch Lehraufträge können Schlüsselqualifikationen angeboten werden, bei denen sich die Studierenden drei ECTS dazuverdienen können. Die Kombination aus Theorie, Praxis und Gastbeiträgen von Expert:innen bietet den Studierenden dabei einen Einblick in das Awareness-ABC. Diskriminierungsmechanismen, bestehende Machtstrukturen und Gewalt zu erkennen, gehört ebenfalls zum dreitägigen Programm der „Intensivschulung“, genauso wie eine Reflektion über das eigene Auftreten. Es gehe eben nicht nur darum, den Seminarteilnehmer:innen die Arbeit der Initiative näherzubringen, sondern auch ihre Grundhaltung zu reflektieren, erklärt Samira.

„Awareness versteht sich eben nicht nur (…) als die Arbeit an sich, sondern auch als Grundhaltung. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Grundhaltung zu entwickeln, um dann die Arbeit weiterzumachen.“

Das Bildungsangebot zu erweitern und so viele Menschen wie möglich zu sensibilisieren sind dabei die Hauptziele der Veranstalterinnen. Dazu gehört auch größere institutionelle Verankerungen für Awareness-Themen und Gruppen zu schaffen, sagt Cilia. Die Gründerinnen reflektieren, dass die Personen, die sie mit dem Seminaren erreichen, überwiegend aus Frauen aus den Sozialwissenschaften bestehen: eine Zielgruppe, die sie gerne demographisch ausbauen würden, damit auch „Fachfremde“ einen Einblick in die Arbeit der Initiative und die Relevanz ihres Themas bekommen können.

Awareness-Arbeit bei der Jugendfastnacht am Stephansplatz. Bild: Rawan Ibrahim.

Das Feedback ist vielfältig

„Am Anfang waren die Leute interessiert, aber auch etwas skeptisch.“ Die Neugierde und Ungewissheit über die Präsenz der Awareness-Teams im Konstanzer Nachtleben entwickelte sich mit der Zeit weiter, erzählt Samira. Positives Feedback bekamen die Awareness-Teams anfangs vor allem von Menschen, von denen sie gar nicht erwartet hatten, dass sie sich dafür interessieren würden.

„Ich glaube in dem Moment, wo die Menschen realisieren, dass wir nicht irgendwie eine Party-Polizei oder so darstellen, ist der Moment, wo sie checken: Ah, das ist wirklich was nices.“

Das positive Feedback halte auch noch bis heute an, erzählt Lisa. Viele Party-Besucher:innen freuen sich sehr darüber, dass die Teams vor Ort sind. Vor allem, wenn sie mit ihnen in den Dialog treten und erklären, was die Initiative eigentlich erreichen will: dass sich alle im Nachtleben wohlfühlen. „Dann sind super viele dankbar und das ist total schön, dass man merkt, dass es auch erwünscht und wichtig ist“, freut sich Lisa.

Gleichzeitig gibt es aber auch Interaktionen mit Besucher:innen, die weniger schön sind. Da ein großer Teil der Nachtlicht-Arbeit auch Aufklärungsarbeit ist, kommt man auch in Gespräche, die nicht so angenehm sind. Wenn die Leute etwas unverständlich reagieren oder nicht so viel mit der Arbeit anfangen können zum Beispiel, fügt Lisa hinzu. „Generell setzen wir uns für Safe Spaces, also für sicherere Orte ein und davon profitieren ja die meisten Menschen“, erklärt Cilia. Deswegen würden die meisten Menschen auch positiv auf die Präsenz der Teams reagieren. Die Menschen, denen das eben nicht passt, sind auch die Leute, die die Initiative bei den Veranstaltungen nicht will: Zwei Pole also. Gleichzeitig gäbe es aber auch noch eine Gruppe an Menschen im „Graubereich“, die sich noch nicht mit Awareness beschäftige – und das eigene Verhalten vielleicht noch nicht reflektiert habe. Genau dafür sei es gut, dass die Awareness-Teams vor Ort sind: Damit die Teams mit solchen Personengruppen in den Dialog treten könnten, wenn es gewollt ist, fügt Samira hinzu.

Wahrgenommen und ernstgenommen werden

Cilia spricht von zwei Ebenen der Wahrnehmung: Die der Besucher:innen und die der Veranstalter:innen. Die Initiative habe öfters damit zu kämpfen, dass sie nicht ernstgenommen werden würde, erklärt die Co-Gründerin Cilia. Zum Beispiel gäbe es auf der Ebene der Besucher:innen Vorfälle, bei denen Cilia auf männliche Besucher zugegangen ist und diese auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht habe. Beachtung geschenkt würde ihr dabei nicht, erzählt sie. Ernstgenommen wurde Cilias Appell erst, nachdem sie eine andere männliche Person gebeten hatte, den störenden Besucher auf sein Fehlverhalten aufmerksam zu machen.

Auf der Ebene der Veranstalter:innen würde sich ein ähnliches Bild zeichnen: Sicherheitspersonal, zum Beispiel in den Türbereichen sei bei Veranstaltungen verpflichtend, Awareness-Teams aber nicht. In vielen größeren Städten (wo die Präsenz von Awareness-Personal mittlerweile gang und gäbe sei) käme es des Öfteren zu einer Art „Pink-washing“: Darunter verstehen die Nachtlicht-Gründerinnen, dass Awareness-Teams nur „zum Schein“ aufgestellt würden, um einen positiven Eindruck nach außen zu vermitteln. Dass es diesen Teams dabei an einer fundiert fachlichen Ausbildung mangelt und dementsprechend die Arbeit des Personals an Qualität verliert, schadet wiederum der tatsächlichen Awareness-Arbeit. Für die Initiative Nachtlicht sei es wichtig, unabhängig zu sein und damit zu keiner spezifischen Veranstaltung gehören, betonen Cilia und Samira.

„Dadurch können wir erst diese kritische Brille aufziehen und die Veranstaltenden selbst oder die verantwortliche Person kritisieren.“

Von der „Bullshit-Box“ zur kollektivübergreifenden Zusammenarbeit

Nicht nur bei den Seminaren in der Universität arbeitet die Initiative mit anderen Kollektiven zusammen: Auf diversen Veranstaltungen findet sich zum Beispiel an den Infoständen eine kleine Box, die „Bullshit-Box“ genannt wird. Das ist eine Zusammenarbeit der Initiative Nachtlicht und den Catcalls of Konstanz, bei der Besucher:innen ihre schlechten Erfahrungen aufgeschrieben hinterlassen können. Diese werden dann über die Kanäle der Catcalls öffentlich gemacht, um auf Fehlverhalten aufmerksam zu machen. „Das ist ganz schön, weil sich die Menschen (…) vor Ort, wenn irgendwas passiert, dann direkt ein bisschen ihre Macht zurückholen können.“, führt Cilia aus.

Zum feministischen Kampftag, dem 08. März, organisiert die Initiative unter anderem mit den Catcalls und dem feministischen antifaschistischen Kollektiv (kurz: FAK) und anderen Kollektiven einen gemeinsamen Demonstrationszug durch die Stadt. Am gleichen Tag findet im Anschluss die Veranstaltung „Bloom“ statt, die das Awareness-Team von Nachtlicht mitbegleitet. Co-Gründerin Samira hält es dabei für wichtig weiterhin mit anderen Kollektiven zusammenzuarbeiten und im Gespräch zu bleiben. So könne man gemeinsam schauen, wo noch Handlungsbedarf bestehe und wo man gemeinsam ansetzen könnte. „Es schadet niemandem aware zu sein“, ist Lisas Appell an jede:n Einzelne:n. Sie wünscht sich, dass Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was andere Menschen beschäftigt oder hinter ihrem Verhalten steckt. „Wenn man das selbst im Nachtleben in seinem eigenen Umgang mit Menschen etabliert, dann spüren das vielleicht auch andere“, fügt sie hinzu. Auch Samira hält es für wichtig, ein Bewusstsein für ein solidarisches Miteinander zu schaffen. „Ich finde es wichtig nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen und sich gegenseitig zu unterstützen.“, plädiert sie abschließend.

Dass die Arbeit von der Initiative nicht unbemerkt bleibt und Früchte trägt, zeigt die Auszeichnung mit dem Applaus-Award des Bundeskulturministeriums aus dem Jahr 2024.

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