Mental What?

Wie geht es dir in diesem Moment mental? Wenn du diese Frage mit „naja“, „könnte besser sein“ oder „nicht so gut“ beantworten würdest, dann bist du mit deinen Gefühlen definitiv nicht allein.

Laut einer Statistik des Gesundheitsnetzwerks „TriNetX“ aus dem Jahr 2020, in der über 60.000 Covid-19-Patient:innen zu ihrer mentalen Gesundheit befragt wurden, hatten sogar knapp 20 Prozent eine psychische Erkrankung. Obwohl einer Studie der „YouGov Deutschland GmbH“ zufolge, die im Mai letzten Jahres erhoben wurde, 44 Prozent der deutschen Bevölkerung es im Moment der Befragung für unmöglich hielt, psychisch von den Auswirkungen der Pandemie betroffen zu sein, wurden mentale Belastungen für knapp 60 Prozent der befragten Personen zur Realität. In den Studien wird zwar darauf verwiesen, dass die Pandemie nicht der einzige Grund für die psychischen Probleme ist.

Doch sind wir mal ehrlich:

Bei weniger sozialer Interaktion, mehr Zeit in den eigenen vier Wänden, dem ständigen Wetterumschwung und dem Mitverfolgen der neusten Maßnahmen und Fallzahlen ist es nun wirklich nicht verwerflich, wenn es der Bevölkerung schlecht(er) geht. Expert:innen gehen sogar soweit, die aktuelle Pandemie als einen neuen, einzigartigen, multidimensionalen und potenziell toxischen Stressfaktor zu interpretieren.

Zwischen Schlagzeilen wie den geheimen Restaurantbesuchen von zahlreichen Politiker:innen in Paris, Anti-Corona-Verschwörungstheorien wie denen von Michael Wendler, die auf dem Nachrichtendienst Telegram verbreitet werden, Lockerungen der Corona-Maßnahmen in unseren Nachbarländern und einem erneuten Lockdown in Deutschland, zusammen mit härteren Maßnahmen, kann die mentale Gesundheit nur leiden.

Ich frage mich, wie lange wir die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie noch einhalten müssen, wann wir endlich einem Lichtblick begegnen werden.

Und entspanne dabei wie so oft auf meiner Couch, die ich wohlbemerkt während der zweiten Infektionswelle bestellt habe, um genüsslich meine Beine hochzulegen, während ich mich höchstbeschäftigt fühle.

Im April letzten Jahres war ich wie so viele in meinem Umfeld motiviert, die verstärkte Zeit daheim zu nutzen, um Projekte in Angriff zu nehmen, neue Hobbies auszuprobieren und mit vergessenen Beschäftigungen wieder anzufangen. Letztendlich haben sich diese euphorischen Vorstellungen in heiße Luft aufgelöst. Das Einzige, was bei mir an Skills seit Frühjahr 2020 rumgekommen ist, ist ein veganes Bananenbrot (und ganz eventuell auch ein Bärlauchpesto). Die vorgemerkten Sportvideos, der geplante Illustrations-Kurs über die Plattform „Udemy“ und so viele weitere Ideen sind in den Ritzen meiner Couch verloren gegangen. Auch meine Waage zeigt mir eine höhere Zahl an, doch das ist keineswegs schlimm.

Versteht mich nicht falsch, ich habe mich mit meinem neuen Lifestyle und den Vorzügen angefreundet:

Alles, was ich brauche, ist nur wenige Meter entfernt, ich muss keine Verspätungen der Deutschen Bahn mehr in Kauf nehmen, um mich mit Freund:innen zu treffen, und dank der Zoom-Hintergrundeffekte sieht meine Wohnung immer aufgeräumt aus. Dennoch leidet meine mentale Gesundheit, und ich bin mit Sicherheit nicht die einzige Person, der es so geht.

Um die Vorhaben vom letzten Jahr in Angriff zu nehmen und meiner inneren kritischen Stimme entgegenzuwirken, habe ich mir überlegt, euch via Instagram zu fragen, was ihr euch für pandemische Zeiten vorgenommen, aber letztendlich nicht umgesetzt habt. Die Antworten erstrecken sich von Kreativbereichen wie dem Malen und Basteln bis hin zum Musizieren und Kickboxen.

Eure Antworten auf die Frage vom 17. April 2021, was ihr euch zu Beginn der Lockdown-Zeit vorgenommen habt, aber nie umsetzen konntet.

Ursprünglich war geplant, diesen Artikel als „Selbst-Challenge“ zu gestalten und eure Antworten als Antrieb dafür zu nutzen, mich jeden Tag herauszufordern und all das Wirklichkeit werden zu lassen, wovon ich (und ihr) seit März letzten Jahres nur rede. Doch aus diesem Vorhaben wurde letztendlich nichts.

Weshalb, fragt ihr euch? Well, life happens.

Wahrscheinlich hat die eigene Antriebslosigkeit auch dazu beigetragen. Doch das ist meines Erachtens nicht verwerflich. Und man sollte sich auch nicht selbstkritisch betrachten, nur weil man dem eigenen Ideal nicht gerecht werden kann.

Wie der Zufall es will, bin ich bei meinem Freund in der Schweiz, als ich Howey Ou begegne, einer 18-jährigen Klimaaktivistin aus China, die von den Schweizer Medien auch als „chinesische Greta Thunberg“ betitelt wird. Howey reist für Protestaktionen zugunsten des Klimas seit einiger Zeit durch Europa. Sie sitzt, ausgerüstet mit ihrem knapp ein Meter großem Stand-Pappschild, auf dem ihre Botschaft auf Chinesisch und Englisch niedergeschrieben ist, ihrem Tablet und einer Flasche Wasser, den ganzen Tag über an einem Brunnen in der Innenstadt Lausannes. Ihre Mission: Mit einem Hungerstreik auf die Missstände und das Verhalten der Schweizer Polizei während einer Protestaktion aufmerksam zu machen.

Anfang April diesen Jahres protestieren hunderte von Aktivist:innen in der Schweiz gegen das Ausbeuten der Natur durch ein Unternehmen, darunter auch Howey. Ich unterhalte mich mit dem jungen Mädchen über ihr Fasten für das Klima und ihre mentale Gesundheit an Tag Sieben ihres Hungerstreiks, den sie übrigens auch auf ihrem Instagram-Profil festgehalten hat.

Ich biete ihr an, ihre technischen Geräte aufzuladen, bei uns zu duschen und auf unserem Sofa zu schlafen, falls sie sich in ihrem Schlafsack in Brunnennähe in der Nacht unwohl fühlt. Zu meinem Erstaunen lehnt sie alles ab und beharrt darauf, ihren Streik weiterhin fortzuführen. Ihr anfängliches Hungergefühl sei mit der Zeit verschwunden und die positiven Worte der Passant:innen geben ihr Hoffnung, dass ihre Nachricht in die Welt getragen wird. Wie es ihr an diesem Tag geht? – Einigermaßen gut, sagt sie. Doch auch sie hat schwierige Phasen, sagt sie leicht mitgenommen.

Das Gespräch mit ihr erweckt zunächst das Gefühl in mir, schwach zu sein.

Ich sprach mit einem 18-jährigen Mädchen, dass allein um die Welt reist, sich in einem völlig anderen Land befindet, seit einer Woche einen Hungerstreik führt und nachts allein auf der Straße schläft.

Nachdem ich über unser Gespräch noch einmal nachgedacht habe, bin ich dann zu dem Entschluss gekommen, dass ihre Worte und Taten Gegenteiliges in mir ausgelöst haben. Ich fühle mich bestärkt darin, dass es ok ist, sich schlecht zu fühlen, egal ob man große Taten vollbringt, oder „nur“ auf dem Sofa sitzt. Besser spät(er), als nie habe ich für mich aus der Pandemie mitgenommen, dass ich mit meinen deprimierten Phasen nicht allein bin und dass ich Corona nicht als Ausrede nutzen werde, um mir Dinge schönzureden. Auch dass ich keine Wunder bewirken muss, nur weil ich seit einem Jahr mehr Zeit auf meinem Sofa verbringe.

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