Eine Zoom-Debatte. Flugschämt euch!

Sollten wir uns schämen, in ein Flugzeug zu steigen?

Unsere Redakteurin Hannah trifft sich mit diskutierfreudigen Studierenden auf Zoom, um über „Flugscham“ zu sprechen. Der aus Schweden stammende Begriff („flygskam“) bezeichnet die Scham, ein Verkehrsflugzeug zu nutzen. Diese Scham resultiert aus dem eigenen Bewusstsein der klimaschädlichen Folgen des Fliegens, gemischt mit dem gekonnten Ignorieren dieser Fakten beim Einstieg ins Flugzeug. In der Zoom-Debatte geht es um Fragen wie: Wann erlebt der oder die Einzelne Flugscham? Ist diese Scham bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen und beeinflusst sie dadurch unser Handeln? Sollte der Einzelne sich überhaupt schämen?

Zu Beginn der Diskussion erzählt jede:r kurz wohin er/sie am liebsten gerade reisen würde (angenommen es gäbe keine Pandemie):

Es fallen ferne Orte wie der Iran, Kalifornien und Australien, die nur mit dem Flugzeug erreichbar sind. Aber auch Norwegen und Estland, welche explizit mit dem Zug oder Bus bereist werden sollen. Das Fliegen spielt also schon bei dieser Einstiegsfrage eine konkrete Rolle.

Hannah: „Ich stelle die entscheidende Frage gleich zu Beginn: Fühlt ihr euch selbst von Flugscham betroffen?“

Luca: „Ich weiß, das Fliegen unglaublich klimaschädlich ist und ich hatte auch schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich im Flieger saß.“

Anna: „Ich bin bisher in meinem Leben sehr selten geflogen. Deswegen war Fliegen für mich immer etwas Besonderes und ich habe mich eher nicht dafür geschämt.“

Sophia: „Bei mir war das so gemischt. Ich hatte früher einen sehr positiven Bezug zum Fliegen. Mittlerweile schäme ich mich auch ein Stück weit. Dieses Gefühl ist aber nochmal viel stärker, wenn ich an einen Ort fliege, den ich auch mit einem anderen Verkehrsmittel erreichen könnte.“

Paul: „Für mich spielt der Preisaspekt eine große Rolle. Bevor ich 300 Euro für ein Zugticket zahle, habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich mich dann doch für den 50 Euro Flug entscheide. Bei gleichem Preis und ähnlicher Distanz und Dauer würde ich aber auf jeden Fall den Zug nehmen.“

Jeden Tag gibt es mehr als 200 000 Flüge und mit ihnen die Frage nach der Umweltbelastung. Bild: Jamie-Lee Merkert.

Hannah: „Würdet ihr dann auch allen davon erzählen, wenn ihr vorhättet zu fliegen? Fühlt ihr einen gesellschaftlichen Druck, wenn es um dieses Thema geht?“

Franzi: „Es kommt immer auf die eigene Blase an. Uns Studierenden ist das meistens bewusst. Aber in manchen Kreisen ist das eher das Gegenteil: Da ist es richtig cool nach Malle zum Saufen zu Fliegen. Natürlich haben wir das Gefühl, dass das der Gesellschaft die Problematik allmählich bewusst wird, aber ich frage mich, ob das wirklich so ist.“

Sophia: „Ich würde immer erzählen, wenn ich fliege, aber automatisch versuchen mich zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigungshaltung finde ich aber nicht schlecht, weil das ein Zeichen davon ist, dass man ein Bewusstsein für das Thema besitzt und sich diesem auch stellt. In den letzten Jahren ist ein Wertewandel spürbar geworden. Vor 5 Jahren war so ein Wochenendtrip nach Barcelona noch cool. Jetzt ist es kein Statussymbol mehr.“

„Das Schamgefühl ist also allgemein nicht so schlecht, wenn man einen gesellschaftlichen Wandel erzeugen will.“

Luca: „Ich bin mir da nicht so sicher. Ich stelle mir die Frage, ob es so gut ist sich auf individuelles Fehlverhalten zu konzentrieren. Wir sollten uns bewusst sein, dass es ein kollektives Problem ist. Es bringt ja auch nichts, wenn ich als Einzelner aufhöre zu Fliegen und mich für meine ersehnte Reise nach Australien schäme, aber Menschen aus der Consultingbranche um die Welt jetten, um irgendwelche PowerPoint Präsentationen vorzustellen.“

Hannah: „Das ist ja dann aber die große Frage, die wir auch in der aktuellen Nachhaltigkeits-Debatte haben: Wo setzten wir an? Bei dem Einzelnen? Oder muss das der Staat alles regeln und regulieren, damit alle Menschen gezwungen sind zu handeln? Natürlich sind die Auswirkungen des Individuums gering, aber es geht ja trotzdem ein Stück weit um die Message. Wie Sophia auch gerade gesagt hat: Da entsteht ein Bewusstsein. Und politische Entscheidungen kommen von solchen Bewegungen, die von einzelnen Individuen angetrieben werden.“

Sophia: „Gerade deswegen sind so polarisierende Begriffe wie „Flugscham“ vielleicht gar nicht schlecht. Natürlich gibt es dann viele Leute, die sich darüber aufregen, aber man redet wenigstens darüber. Dadurch wird das Thema allgemein präsenter. Trotzdem finde ich Scham nicht das richtige Wort. Man sollte Menschen nicht dafür verurteilen, dass sie sich einfach mal einen Urlaub leisten wollen und können. Das ist auch eine Frage der Privilegien. Wir als Studierende haben relativ viel Zeit zum Zugfahren, aber das können „normale“ Arbeitnehmende und sozial benachteiligte Familien einfach nicht. “

Paul: „Reisen ins Ausland sind auch oft günstiger als innerhalb Europas. Das Hotel in der Türkei ist für eine eher schlechter situierte Familie einfacher zu stemmen als der Urlaub auf Sylt.“

Anna: „Ich kann dieses Problem nicht ganz nachvollziehen. Das ist zwar nur meine subjektive Erfahrung, aber ich kannte Fliegen ganz lange nicht, um Urlaub zu machen und mir hat das nie gefehlt. Natürlich ist es trotzdem ein Problem, dass es preislich attraktiv ist in den Urlaub zu fliegen.“

Franzi: „Das kommt aber auch auf die Definition von Urlaub an. Wenn ich alles durchplanen möchte, um die Zeit optimal zu nutzen, zum Beispiel in Form eines klassischen All-Inclusive Urlaubs, ist Fliegen natürlich die scheinbar bessere Lösung. Aber so ein Konzept kann vielleicht auch überdacht werden.“

Hannah: „Genau, vielleicht haben wir als Gesellschaft einfach noch ein falsches Bild vom Urlaubmachen. Mit Corona kommt gerade immer mehr das Bewusstsein auf, dass man auch in der Nähe eine entspannte Zeit verbringen und coole Orte entdecken kann, ohne in den Flieger zu steigen. Ich finde es deswegen schwierig zu sagen, dass der Familienurlaub in der Türkei nicht kritisiert werden darf.“

Luca: „Aber bringt es uns was diese Familie zu kritisieren? Ich habe das Gefühl, dass es in dieser Debatte viel zu oft um Urlaub geht und viel zu wenig um Geschäftsreisende oder anderen unnötigen Frachtverkehr. Ich weiß nicht, ob das so förderlich ist immer nur auf dem Individuum rumzuhacken. Ich habe letztes Semester ein Seminar namens „Klimaethik“ besucht, wo wir genau über diese moralische Frage diskutiert haben. Eigentlich hat die eigene Handlung keine Auswirkungen. Ob jetzt 40 oder 41 Menschen im Flugzeug sitzen ist egal. Wir können das Individuum nicht mit diesem großen moralischen Fragen alleine lassen.“

Anna: „Das stimmt, das ist ein viel größeres Problem als Einzelpersonen. Da sollte jeder in Verantwortung gezogen werden: Berufsfliegende, der weltweite Frachtverkehr, aber auch Politiker:innen. Der Flug einmal pro Jahr ist kein Problem in Relation zu den ganzen anderen Bereichen, an denen angesetzt werden könnte.“

Hannah: „Also löst die Flugscham selbst nicht das Problem, dass wir zu viel Fliegen?“

Luca: „Ich stimme da auf jeden Fall zu. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht unsere Urlaubsreisen hinterfragen sollten. Man kann sich nie darauf ausruhen, dass es strukturelle Lösungen geben muss. Und natürlich sollte man selbst bei so einer Forderung immer ein Vorbild sein. Aber das bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass jeder sich total schämen sollte, wenn er/sie einmal im Jahr fliegt.“

Anna: „Ich finde es schwierig zu sagen, dass Flugscham an sich nichts bringt. Es stößt ja schon was an und sobald mich etwas persönlich betrifft fange ich auch an weiterzudenken, ob ich nicht Teil des Problems bin. Dabei sollte man sich trotzdem darüber klarwerden, wer denn eigentlich am meisten fliegt.“

Sophia: „Ich glaube jeder muss einerseits für sich selbst moralisch abwägen, ob und wohin er fliegt. Andererseits müssen politische Instrumente entwickelt werden, damit Fliegen nicht zum Verkehrsmittel erster Wahl wird, sowohl für Urlauber als auch für Geschäftsreisende. Fliegen sollte nicht zur Normalität gehören.“

Hannah: „Ich habe für euch noch einen kleinen „Fun-Fact“ zum Schluss. Neben der Flugscham hat sich in Schweden noch ein weiteres Wort in dieser Debatte um klimabewusstes Reisen etabliert: „tagskryt“ (Zugstolz). Zugegebenermaßen kann an der deutschen Übersetzung nochmal gefeilt werden, aber die Bedeutung ist klar: der Zug als neues Statussymbol des Reisens.“

Sophia: „Das finde ich interessant, weil das trifft total auf mich zu. Ich fühle mich so gut, wenn ich mit dem Zug irgendwo hinfahre. Man lobt sich dann selbst dafür, wie nachhaltig man eigentlich unterwegs ist.“

Anna: „Dazu passt auch das Stichwort „Interrail-Stolz“. So formiert sich langsam ein Gegengewicht gegen all die Backpacker, die nach Thailand fliegen.“

Trotz mancher Uneinigkeiten schauen alle Gesprächspartner:innen positiv in die Zukunft. Denn egal, ob der oder die Einzelne sich schämt und deswegen nicht mehr fliegt, oder der Staat uns Verhaltensregeln vorgibt:

Fest steht: Fliegen belastet unsere Umwelt.

Aus diesem Grund sollten nicht nur Urlaubmachende, sondern auch Geschäftsreisende und der weltweite Luftfrachtverkehr zur Verantwortung gezogen werden. In der hier wiedergegebenen Debatte ist deutlich geworden, dass das Bewusstsein für diese Problematik bereits vorhanden ist. In dieser Hinsicht hatte die Corona-Pandemie vielleicht auch eine gute Seite. Denn sie hat uns nochmal verdeutlicht, dass Urlaubmachen und Arbeiten auch ohne Fliegen geht!

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