Journalismus als großes Gemeinschaftsprojekt: Ein Interview mit den Gründerinnen des NUN!-Magazins

In unserem vorherigen Artikel hat Charlotte Krause den ehemaligen Chefredakteur Marc-Julien Heinsch zu seinem bisherigen journalistischen Werdegang interviewt. Es wurden unter anderem Möglichkeiten, die Heinsch durch das Mitwirken am Hochschulmagazin eröffnet wurden, angesprochen. Dieser Artikel schließt an das Interview an und widmet sich einem weiteren Konstanzer Magazin und zugleich dem Potenzial des jungen grenzüberschreitenden Journalismus:

Mit dem NUN-Magazin kreieren Annabelle Höpfer und Miriam Stepper seit 2018 zwei Mal jährlich ein Stadtmagazin für die deutsch-schweizerische Grenzregion Konstanz-Kreuzlingen. Das Besondere: Jede Person, die Lust hat, egal ob als Redakteur_in, als Fotograf_in oder als Illustrator_in, kann bei einer Ausgabe mitwirken.

Da alle Mitwirkenden ehrenamtlich und unentgeltlich an dem Projekt arbeiten, erscheint das Magazin für die Leser:innen kostenlos und ist an ausgewählten Auslageorten in Konstanz, Kreuzlingen und dem Umland erhältlich.

Campuls hat exklusiv mit den beiden NUN-Gründerinnen gesprochen, die mit ihrem journalistischen Open-Source-Projekt ein Stück gemeinsame Kultur zwischen Deutschen und Schweizer_innen schaffen und die größte Stadt am Bodensee „erlebbar“ machen wollen.

Hallo Annabelle und Miriam, schön dass ihr euch Zeit genommen habt. Wie seid ihr dazu gekommen, ein Magazin zu gründen und welche Idee steckt hinter NUN?

Annabelle: Miriam und ich haben das Projekt NUN 2017 ins Leben gerufen, weil wir etwas Kulturelles für die Grenzregion Konstanz-Kreuzlingen schaffen wollten. Dabei wollten wir über Themen berichten, die hier vielleicht sonst weniger im Vordergrund stehen: Geschichten von Menschen und Orten erzählen, die, wenn man so will, einen Blick hinter die Kulissen des Lebens in der deutsch-schweizerischen Grenzregion bieten. Die ursprüngliche Idee zu dem Projekt kam mir durch mein Studium als Kommunikationsdesignerin. Da ich es schon immer spannend fand, Orte zu erforschen, stellte ich mir für meine Bachelorarbeit die Frage, wie man eine Stadt erlebbar machen kann und entwickelte ein Stadtmagazin für Konstanz.

Ich hatte große Lust das Ganze auch praktisch umzusetzen und zu schauen, wie es bei den Kreuzlinger und Konstanzer Bürger_innen ankommt. Genau zu dieser Zeit ist Miriam zurück nach Konstanz gezogen. Da habe ich sie gefragt, ob sie Lust hätte, bei so einem Projekt mitzumachen, weil ich für den redaktionellen Schwerpunkt noch Unterstützung brauchte.

Ihr habt euch also vorher schon gekannt?

Miriam: Das ist eine ganz witzige Geschichte. Wir haben zwar beide Kommunikationsdesign an der HTWG studiert, hatten vorher aber nicht groß miteinander zu tun. Deswegen habe ich keine Ahnung, wie Annabelle darauf kam, dass ich gerne schreibe. Zufälligerweise habe ich mich während meines Studiums ebenfalls mit einem ähnlichen Projekt befasst, wie sie im Zuge ihrer Bachelorarbeit – einer Art interaktivem und ortsneutralem Reiseführer mit Kreativmethoden zur Stadtentdeckung. Annabelle muss rein anhand unserer Textnachrichten, die wir diesbezüglich ausgetauscht haben, irgendwie eine Eingebung gehabt haben. Ich habe nicht lange überlegt und spontan zugesagt.

Wie sieht es mit dem Aufwand und der Zeiteinteilung für das Magazin aus, schließlich arbeitet ihr noch nebenbei?

A: Für die erste Ausgabe von NUN haben wir sehr viel Zeit investiert und ein bis zwei Monate Vollzeit an dem Projekt gearbeitet. Das lag daran, dass wir zunächst in der Findungsphase vieles ausprobiert und das meiste zum ersten Mal gemacht haben. Inzwischen haben wir eine gewisse Routine, eine klare Rollenverteilung und versuchen, die Tätigkeiten für das Magazin bei ein bis zwei Tagen pro Woche zu halten, wobei das nicht immer einfach ist (lacht).

NUN erscheint zwei Mal im Jahr. Wie muss man sich den Ablauf einer Ausgabe von den ersten Planungen bis zum fertigen Magazin vorstellen?

A: Zunächst überlegen wir uns den Themenschwerpunkt und veröffentlichen das kommende Titelthema schon in der aktuellen Ausgabe, sodass sich Leute, die Lust haben, mitzuwirken, Gedanken dazu machen und bei uns melden können. Am Anfang einer jeden Ausgabe organisieren wir ein Dankesessen und Kick-off-Event, zu dem alle aus der aktuellen Ausgabe sowie diejenigen, die gerne einen neuen Beitrag leisten wollen, eingeladen werden. Also potenzielle Textautore_innen, Illustrator_innen und Fotografe_innen. Bei einem entspannten Apéro geben wir das Feedback auf das aktuelle Heft und erläutern kurz das Thema und den Zeitplan für die kommende Ausgabe.

Anschließend werden erste Ideen ausgetauscht und das Team lernt sich untereinander kennen. Wenn ein paar Wochen später die Themenvorschläge bei uns eintreffen, besprechen wir zum Beispiel, wie die verschiedenen Beiträge zusammenpassen. Wir geben zunächst den Redakteur_innen Feedback, sodass sie zügig mit dem Verfassen ihrer Texte beginnen können. Sobald diese grob skizziert sind, wenden wir uns zur Abstimmung an die Fotograf_innen und Illustrator_innen, die für die Erschaffung einer passenden Bildwelt zuständig sind. Manchmal geben wir konkrete Ideen mit auf den Weg, manchmal lassen wir uns völlig überraschen. Die Texte durchlaufen im Durchschnitt zwei Lektorats- und zwei Korrekturrunden bis sie final sind.

Schließlich kommen diese zusammen mit den Bildern und Illustrationen ins Layout, wo aus den verschiedenen Beiträgen ein stimmiges Heft geformt wird. Wenn die Ausgabe erscheint, veranstalten wir einen Release – mal in kleinerem, mal in etwas größerem Rahmen (Oder 2020 auch gar nicht). Zeitgleich verteilen wir die Hefte an die Auslageorte in der Stadt.

Die aktuelle Ausgabe mit dem Thema „Lücke“. Quelle: instagram.com/nunmagazin.

Gibt es zwischen euch beiden eine feste Arbeitsaufteilung, sprich verschiedene Bereiche, für die jede zuständig ist oder stimmt ihr euch immer wieder spontan ab, wer was übernimmt?

M: Es gibt schon eine gewisse Aufteilung, die sich, wenn man so will, organisch ergeben hat. Zu Beginn des Projekts haben wir nicht groß vorausgeplant und einfach losgelegt. Ehrlich gesagt, war uns gar nicht bewusst, wie viel Arbeit bei der Entwicklung eines Magazins entsteht (lacht). Wir kommen beide aus der Design-Branche und das war es ursprünglich auch, was uns an der Herausgabe eines eigenen Magazins so gereizt hat. Dass da auch noch ganz viele andere Dinge anfallen, die einfach nötig aber meist auch schön sind, hat sich uns erst im Laufe der Zeit gezeigt. Deswegen ändert sich die Aufgabenaufteilung zwischen Annabelle und mir ständig etwas, je nachdem was zu tun ist. Inzwischen haben wir aber ein sogenanntes „Trello-Board“, auf dem wir grob festhalten, wer welche Hauptaufgaben hat, weil wir auch gemerkt haben, dass wir sonst durcheinanderkommen.

Die Themenfindung für eine Ausgabe machen wir immer gemeinsam. Für die Kommunikation mit möglichen Mitwirkenden bin meistens ich zuständig. Bezüglich der Beitragsideen stimmen wir uns gemeinsam ab, das Feedback zu den ersten Textentwürfen schreibe dann wieder ich. Annabelle wählt aus und kontaktiert mögliche Fotograf_innen sowie Illustrator_innen und ist insgesamt eher für die Bildwelt, also die grafische Komponente des Magazins zuständig, wohingegen ich mich eher um die redaktionelle Seite kümmere. Dementsprechend übernehme ich auch das Lektorat. Beim Korrektorat unterstützen uns vor allem Heike Meyer und Simone Warta.

Es ist ein spannendes Konzept, dass jede_r, der/die Lust hat, bei einer Ausgabe mitzuwirken, dies auch tun kann. Sozusagen ein Magazin von allen für alle. Habt ihr denn inzwischen trotzdem eine Art festen Stamm an motivierten „Hobby-Journalisten“, zu denen pro Ausgabe weitere Interessent_innen hinzukommen oder sind es für jede Ausgabe ganz neue Personen, die mit euch euer Magazin gestalten?

A: Ich würde sagen, es herrscht schon ein Kommen und Gehen. Es gibt drei bis fünf Autor_innen, die jedes Mal etwas schreiben wollen, es kommen aber immer wieder neue Leute dazu, dafür setzen andere aus. Es ist auch interessant, wo die Personen herkommen. Wir hatten auch schon eine Mitwirkende aus Innsbruck, die einfach mal Lust hatte, für ein Magazin zu illustrieren und über ihre Eltern mit der Region hier verbunden ist. Sie konnte deshalb auch persönlich vorbeikommen, um ihre Illustration mit uns zu besprechen. Das ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Wegen all der tollen Menschen macht die Arbeit an dem Magazin besonders Spaß.

Insgesamt sind es etwa 109 Menschen, die bisher aktiv an NUN mitgewirkt haben.

M: Darunter sowohl ausgebildete Journalist_innen als auch Leute, die einfach mal gerne etwas schreiben, fotografieren oder illustrieren wollen. Ich glaube, das ist schon ein besonderer Reiz an unserem Magazin, dass sich jede_r daran beteiligen und so in verschiedenen Bereichen ausprobieren kann. So interpretiere ich auf jeden Fall das große Interesse der Leute. Wir haben immer genug Mitwirkende für eine Ausgabe. Interessierte kommen immer von selbst auf uns zu. Das hat möglicherweise auch den Vorteil, dass diejenigen, die sich melden, durch und durch motiviert und mit viel Freude dabei sind. Das zeigt uns täglich, wie wertvoll unsere Arbeit rund um Organisation und Herausgabe ist.

Das fehlende Cover der aktuellen Ausgabe regt die NUN!-Leserschaft zum Ausleben der eigenen Kreativität an. Quelle: instagram.com/nunmagazin.

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