Welche Veränderungen hat das Coronavirus für Seezeit mit sich gebracht?
Ich halte es für eine Katastrophe, dass die Basis unserer Arbeit – nämlich die Studierenden – nicht mehr so auf dem Campus sind, wie wir es gewohnt waren. In diesem Zusammenhang war es interessant, die Mitarbeiter_innen zu beobachten. Wir betonen seit Jahren: Die Studierenden sind wichtig, weil sie unsere Kund_innen sind. Jetzt sind wir in Kurzarbeit und gerade im Bereich der Hochschulgastronomie haben unsere Mitarbeiter_innen nicht jeden Tag was zu tun. Plötzlich kommt da die Erkenntnis: „Da ist ja wirklich was dran. Finanziell kommen wir zwar über die Runden, aber der Sinn unserer Arbeit ist weg.“
Wie hat sich die Corona-Situation auf die Arbeitsprozesse, gerade im Kontakt zu den Studierenden, ausgewirkt?
Das war eine große Herausforderung. Uns wurde am 17. März gesagt: „Ab morgen ist die Universität zu.“ Wir vermuteten, dass die Schließung kommt, aber wann genau wussten wir natürlich nicht. Es war klar, dass wir die wichtigsten Dinge am Leben erhalten müssen – wie zum Beispiel die Psychologische Beratungsstelle (PBS) von Seezeit, die auf telefonische Beratung aus dem Home-Office umgestellt hat. Mit der Abteilung studentisches Wohnen ging das noch problemloser, die zog „einfach“ in die Hausmeisterbüros. Aber die Mitarbeiter_innen aus der Mensa mussten wir sofort nach Hause schicken.
Wie bereitet sich Seezeit auf das Wintersemester unter Corona-Bedingungen vor?
Natürlich gibt es im Moment noch viel Ungewissheit. Wir stehen in engem Kontakt mit den Hochschulen an allen Seezeit-Standorten, aber auch die wissen nicht genau, was auf uns zukommt. Wir fliegen täglich auf Sicht, vorallem mit Blick auf die Unternehmens- und Infektionszahlen. Gerade bei der Mensa können wir gar nicht so kurzfristig reagieren. Die Essens-Produktion kann nicht mal so eben von 200 auf 4.000 Essen pro Tag gesteigert werden. Inzwischen wissen wir, dass das Wintersemester später beginnt und zumindest die Erstis wahrscheinlich im Präsenzbetrieb lernen werden. Aber eine volle Mensa mit Studis, die in großen Gruppen nebeneinander an den Tischen sitzen – das ist einfach passé, solange es keinen entsprechenden Impfstoff gegen das Virus gibt. Wir werden versuchen, einen Betrieb mit zwei oder drei Essen anzubieten, damit es nicht jeden Tag Nudeln mit Soße gibt und die Gäste auch eine kleine Auswahl haben. Aber die Mengen, die wir gewohnt sind, können wir natürlich nicht erreichen.
Wohnanlagen, in denen viele Menschen zusammen leben, haben das Potenzial, sich zu Infektions-Hotspots zu entwickeln. Was wird getan, um dort das Ansteckungsrisiko in den Seezeit-Wohnanlagen zu senken?
Das ist nicht einfach. Natürlich sind wir Betreibende der Wohnanlagen, aber rein rechtlich sind wir ausschließlich Vermietende. Das ist eine grenzwertige Sache. Wir haben eine gefühlte Fürsorgepflicht, aber rechtlich haben wir das nicht. Dies versuchen wir diplomatisch zu lösen. Wir haben Aushänge zu Infektionsschutzmaßnahmen in den Wohnanlagen angebracht, die Hausmeister und der Mietservice sind vor Ort. Allerdings sind wir natürlich auf die Besonnenheit und das Mitwirken der Bewohner_innen angewiesen.
Was passiert, falls in einer Seezeit-Wohnanlage eine:r der Bewohner:innen positiv auf Corona getestet wird?
Auf diese Situation bereiten wir uns aktuell vor. Wir denken darüber nach, zum ersten Mal Räume nicht zu besetzten, um im Falle einer Infektion die Möglichkeit zu haben, Studierende zu isolieren. Eine Wohnanlage, die mit Bauzäunen von der Polizei abgeriegelt wird, das will ich nicht erleben müssen. Aber sollte es tatsächlich zu Infektionen kommen, wird uns als Betreibenden ohnehin das Heft aus der Hand genommen. Ab dann bestimmt das Gesundheitsamt, wo es lang geht. Trotzdem wollen wir auf dieses Szenario bestmöglich vorbereitet sein.
Die staatlichen Soforthilfen, der Kredit vom Land und die Unterstützung vom Bund werden über Seezeit beantragt. Wie wird das angenommen?
Als das Land das zinslose Darlehen aufgelegt hat, war bereits klar, dass die Unterstützung vom Bund kommt, die nicht zurückgezahlt werden muss. Deshalb haben wir bei den Krediten nur etwa zwanzig Fälle, bei denen es wirklich so dringend war, dass die Studierenden nicht mehr auf die Hilfsmittel vom Bund warten konnten. Das Management der Anträge auf die Soforthilfe des Bundes war eine große Herausforderung. Wir haben in der Sozialberatung nur eine Mitarbeiterin auf jeder Seeseite und es war absehbar, dass sie den Ansturm nicht werden stemmen können. Wir haben deshalb sofort bei den Mitarbeiter_innen in Kurzarbeit angefragt, ob sie bereit wären, die Sozialberatung zu unterstützen. Und da war die Bereitschaft wirklich sehr groß. Innerhalb einer Woche hatten wir 20 Mitarbeiter_innen aus der Kurzarbeit in die Sozialabteilung geholt und Schulungen abgehalten. Was den Studierendenwerken jetzt nachgesagt wird: „Wir sitzen da auf dem Geld und bereichern uns“, das ist einfach nicht wahr. Diese Gelder verteilen wir nur, davon können wir nichts zurückbehalten. Wir freuen uns über jeden positiven Bescheid, den wir ausstellen können. Allerdings sind wir den Kriterien des Bundes verpflichtet und der führt im Nachgang Stichprobenkontrollen durch, ob wir auch alles richtig gemacht haben. Deshalb müssen wir bei der Antragsbearbeitung einfach sehr genau sein.
Bekommen alle Studierenden, die einen Antrag stellen, auch entsprechende Unterstützung?
Inzwischen können wir 67 Prozent aller Anträge bewilligen. Die Vorgabe des Bundes war eigentlich: Anträge mit unvollständigen Unterlagen werden sofort abgelehnt. Das konnten wir aber so nicht beibehalten, weil wir sonst deutlich mehr Absagen hätten erteilen müssen. Wir haben dann den Prozess umgestellt und begonnen, die Studierenden zu informieren, welche Unterlagen noch fehlen. Dadurch konnten wir die Zahl der positiven Bescheide deutlich steigern.
Die Kriterien der staatlichen Nothilfe werden von Studierendenvertretungen als zu streng kritisiert. Wie sehen Sie das aus Seezeit-Perspektive?
Ich kann ihnen da eigentlich nur zustimmen. Gerade die 500-Euro-Grenze, die zum Zeitpunkt der Antragsstellung auf dem Konto nicht überschritten werden darf – die wird vor allem aus administrativen Gründen derlei gehandhabt. Wäre das Antragsverfahren auf die Soforthilfen auch nur annähernd so komplex gewesen wie die BAföG-Anträge, dann hätten wir die Soforthilfe nie so schnell freigeben können. Es wäre auch nicht möglich gewesen, in der Kürze der Zeit zusätzliche Mitarbeiter_innen für das Prüfungsverfahren zu schulen. Der Dachverband der Studierendenwerke musste sehr schnell eine Lösung finden, die alle 57 Studierendenwerke umsetzen konnten. Da war ein Stichtagsbetrag auf dem Konto die einfachste Lösung – die Höhe des Betrags wurde allerdings vom Bund festgelegt.
Außerdem ist das Überbrückungshilfe-Programm des Bundes nur für die Monate Juni, Juli und August geplant. Die Notsituation der Studierenden ist ja nach der Sommerpause nicht einfach vorbei. Trotz der hohen Bewilligungsquote von 67 Prozent aller Anträge konnten wir nur ein Drittel des zur Verfügung gestellten Geldes an die Studierenden verteilen. Deshalb habe ich mit unserer Landesbildungsministerin Theresia Bauer gesprochen und darum gebeten, dass wir in den kommenden Monaten zumindest die restlichen Mittel noch an die Studierenden vergeben können. Mir wurde versichert, dass diese Entscheidung jetzt diskutiert wird.
Seezeit hat den Nothilfefonds durch eigene Mittel und durch Spendengelder aufgestockt. Hat sich die Corona-Pandemie auf die Zahl der Anträge auf Notfallhilfen ausgewirkt?
Wenn die Fälle nicht außergewöhnlich dringend sind, diskutiere ich die Anträge für die Seezeit-Nothilfe regelmäßig mit der Leiterin der Sozialberatung. Normalerweise besprechen wir bei diesen Terminen drei bis vier Anträge. Als es dann mit Corona losging, hatten wir plötzlich 20 Anträge auf dem Tisch liegen und fast alle waren coronabedingt. Es war schnell klar, dass wir mit der Nothilfe die coronabedingten Notlagen nicht abfangen können. Das hätte unser Kapital innerhalb kürzester Zeit restlos aufgefressen. Wir haben dann nur die allerdringendsten Fälle bewilligt und auf die Hilfen von Bund und Land verwiesen, die langsam schon in den Startlöchern standen.
Welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat Corona bisher für Seezeit?
Es gibt in Deutschland sowieso keine Hochschulmensa, die keine Verluste schreibt. In der Regel ist die Mensa für alle Studierendenwerke der größte Verlustbringer und das ist jetzt natürlich noch schlimmer geworden. Wir haben einen laufenden Betrieb, Lagerbestände – die haben wir an Mitarbeiter_innen und Studierende unter dem Einkaufspreis verkauft. Was übriggeblieben ist, haben wir an die Tafeln verschenkt, um nicht alles wegwerfen zu müssen, aber das war natürlich eine Abschreibung. Die Mensa aktuell auf Sparflamme geöffnet zu halten, ist aus wirtschaftlicher Sicht sinnlos. Wir machen das, um „Flagge zu zeigen“ und unseren Kund_innen das Gefühl zu geben, dass wir auch in der Krise für sie da sind. Außerdem können wir unsere Mitarbeiter_innen so zumindest tageweise beschäftigen.
Wie lange kann Seezeit sich dieses „Flagge zeigen“ wirtschaftlich leisten?
Meine Prognose ist Ende 2021, bis dahin könnten wir so wie jetzt durchkommen. Aber das ist eine Frage der Abwägung und wir müssen einfach mit Augenmaß schauen, an welchen Standorten welche Angebote sinnvoll sind.
Wie gleicht Seezeit diese Verluste aus? Könnte das zu steigenden Preisen bei den Mieten der Wohnanlagen, dem Semesterbeitrag und dem Essen in der Mensa führen?
Wir schieben diverse Preiserhöhungen schon seit einer Weile vor uns her. Nach der Umstellung der Menülinien in der Mensa gab es viel Unmut, weil das als versteckte Preiserhöhung empfunden wurde. Das haben wir so nicht beabsichtigt und natürlich konnten wir dann nicht im nächsten Jahr mit einer wirklichen Preiserhöhung um die Ecke kommen. Auch die Erhöhung des Semesterbeitrags ist eigentlich mehr als überfällig, die haben wir die letzten sieben Jahren bereits aufgeschoben. Aber jetzt in einer Phase, in der wir mit unseren Leistungen nicht in vollem Umfang für die Studierenden da sind, können wir in beiden Fällen keine Preiserhöhung vertreten.
Im Moment können wir zum Glück vor allem im Bereich der Wohnanlagen Investitionen nach hinten schieben, weil wir dort in den letzten Jahren viel Geld investiert haben. Wir haben ein paar Wohnheime, bei denen die Möbel wirklich in die Jahre gekommen sind, aber die Bausubstanz in einem guten Zustand ist. Und natürlich die Kurzarbeit, ohne die hätten wir wirklich ein Problem.
Mit was für einem Gefühl schauen Sie ins kommende Wintersemester?
Mir tut es leid um die Studierenden. Neues Umfeld, neue Bekannte, weniger Kontakt zum Elternhaus und zu alten Freundinnen und Freunden. Gerade in so einer Phase des Umbruchs ist Präsenz wichtig. Die Studierenden schwimmen mehr als sonst und müssen noch schneller selbständig werden – das ist keine einfache Zeit. Für Seezeit selbst bin ich optimistisch, da habe ich keine schlaflosen Nächte. Wir sind Profis und haben den Beginn der Krise gut gemeistert. Wir haben gezeigt, dass der Zusammenhalt in der Belegschaft da ist. Ich habe fast das Gefühl: Da kann kommen, was will, wir schaffen das.