Zwei Zimmer, Küche, Bad und Schläge

Der Lockdown hat auch gute Seiten, sagen die einen. Nun sei mehr Zeit für sich selbst und die Familie. Für die anderen wird aber genau das zur Gefahr.

Denn gerade Familien, bei denen Konflikte in Gewalt ausarten können, treffen die Konsequenzen dieser neuen Normalität besonders hart. Noch ist schwer abzuschätzen, was sich hinter den Fassaden genau abgespielt hat und immer noch abspielt. Für von Gewalt bedrohte Menschen, besonders Frauen und Kinder, bedeutet die derzeitige Kontaktreduzierung und Isolation auch: weniger kritische Augen, die die vielseitigen Spuren von Missbrauch bemerken. Und weniger Ohren, die in einem unbeobachteten Moment um Hilfe gebeten werden können.

„Die Situation ist auch in jenen Familien mit einer funktionierenden Konfliktbewältigung schwierig“, findet eine, deren Beruf es ist, in einem Frauenhaus den Betroffenen zu helfen.

Gehört werden ihre Bedürfnisse in der Öffentlichkeit allerdings kaum. Repräsentative Zahlen sind erst mit einigem zeitlichen Abstand zu erwarten. Aber die Erfahrungen zweier Mitarbeiterinnen von Konstanzer Hilfsorganisationen sind eindeutig: Die Pandemie hat die Situation für Betroffene verschärft, und nicht nur das, sie macht es auch den Hilfsangeboten auf vielfältige Weise schwer zu helfen. Beide berichten am Telefon ausführlich über ihre Arbeit. Nur nähere Informationen zu ihnen selbst und ihrem Privatleben müssen zur Vorsicht außen vor bleiben. Frauen, die anderen Frauen helfen, sich und manchmal auch ihre Kinder vor Gewalt in Sicherheit zu bringen, werden schnell selbst zur Zielscheibe für Gewalttaten. Claudia Nicolay von „Frauen helfen Frauen in Not“ und eine Mitarbeiterin des Frauenhauses, die anonym bleiben muss, sind schon seit vielen Jahren im Bereich der Hilfe für von Gewalt bedrohte Frauen tätig.

Das Virus für die Übergriffe verantwortlich machen, wollen beide nicht: „Corona schafft keine neuen Gewalttäter, die waren schon da. Nur die externen Faktoren werden eben stärker“, so die Mitarbeiterin des Frauenhauses. Handlungen auf die Pandemie zu schieben, gegen dieses Erklärungsmuster wehrt sie sich. In der Öffentlichkeit werde die Gewalt zu oft fast wie eine direkte Folge des Virus dargestellt. Die schwierige Situation mag die Täter näher an ihre Hemmschwellen bringen, aber eine Entschuldigung sei sie nicht.

Bereits vor Corona waren die Kapazitätsgrenzen erreicht.

Genauso wenig ist Corona für die Auslastung der Frauenhäuser und verwandter Einrichtungen der Umgebung bis an deren Kapazitätsgrenzen verantwortlich. An Unterbringungsmöglichkeiten mangelte es bereits zuvor: „Ich muss mehrmals in der Woche einer Frau absagen“, sagt die Helferin. Ihrer Stimme ist anzuhören, dass ihr die Ablehnungen nicht leichtfallen. Aber schließlich kann sie nur zehn Plätze in ihrer Einrichtung belegen, 20 weitere gibt es in Radolfzell und Singen. Sind diese Plätze belegt, könne sie die Frauen nur weiterverweisen, an andere Einrichtungen in anderen Landkreisen. Immerhin könne sie dabei auf Kapazitätsmeldungen der Frauenhäuser zugreifen, zumindest in Baden-Württemberg sind diese für die Frauen selbst aber nicht zugänglich.

Bild: Lena Auer

Sowieso empfehle sie gerade Hochgefährdeten, denen schwerste Übergriffe drohen, dringend, möglichst viel Platz zwischen sich und dem übergriffigen Partnern oder der sie bedrohenden Personen zu schaffen. Frauen aus Konstanz können generell nur für wenige Tage aufgenommen werden. Alles andere sei nicht nur für die Betroffene selbst gefährlich, sondern für die gesamte Einrichtung. Zu leicht könne der Standort nach einer Zufallsbegegnung ausgerechnet in die Hände derer fallen, die eine Bedrohung darstellen.

Auf die Flucht vor dem Partner folgt also die Integration in eine völlig neue Umgebung – was Corona deutlich erschwert. „Vieles von dem, was stärkt und Halt gibt, findet nicht statt“, beklagt die Expertin. Statt öffentlichem Leben und den Angeboten die eine neue Region neben der Sicherheit bietet, müssen die Frauen meist auf engem Raum leben. So bedauert sie insbesondere das Fehlen der Still- und Krabbelgruppen, die für Mütter mit kleinen Kindern normalerweise ein Raum seien, in denen sie sich ein Stück Normalität schaffen können.

Doch nicht nur für die Frauen selbst ist die Situation schwierig, durch die Pandemie sind Vollbelegungen in den Unterkünften kaum möglich und die Fördergelder reichen nicht.

Daneben macht die Pandemie gerade in Baden-Württemberg auch den Einrichtungen selbst zu schaffen. So bekommen sie in diesem Bundesland keine Basisfinanzierung, also kein Geld für ihre Arbeit als Institution selbst. Lediglich für die Unterbringungen gibt es eine Tagespauschale pro Kopf. So betont die Mitarbeiterin: „Von diesen sind wir absolut abhängig.“ Aber der Infektionsschutz macht eine Vollbelegung schwierig, die Einnahmen damit unsicher. Zwar gebe es für die vielen zusätzlichen Anforderungen Fördermittel. Mit diesen wird beispielsweise eine Quarantäne und Testung der Frauen vor der eigentlichen Unterbringung finanziert. Für die Personalkosten muss das Frauenhaus aber weiterhin mit den Pauschalen aufkommen.

Allerdings erzielen die mit den zusätzlichen Mitteln bezahlten Maßnahmen durchaus Wirkung. So ist es der Verantwortlichen wichtig, klarzustellen: „Wir sind offen und kein Hotspot, wir sind das strikt und sicher angegangen.“

Bild: Lena Auer

Auf keinen Fall solle das Virus Frauen davon abhalten, hier Hilfe zu suchen.

Auch für Claudia Nicolay bedeutet Infektionsschutz einen erheblichen Mehraufwand. Wie in jeder Einrichtung mit Publikumsverkehr haben bei ihr und ihren Kolleginnen von „Frauen helfen Frauen“ regelmäßige Desinfektion und Trennwände Einzug gehalten und wie überall vermeiden sie persönliche Kontakte. Viele Themen, mit denen die Frauen den Kontakt suchen, sind so intim, dass Telefon und E-Mail-Kontakt das persönliche Gespräch kaum ersetzen können. „Das spielt weniger eine Rolle, wenn ich jemanden schon persönlich kenne. Bei einer Erstberatung wird es dagegen schwieriger, besonders bei Gesprächen über sexualisierte Gewalt. Nur ganz wenige können sich am Telefon besser öffnen“, erzählt Nicolay. Die veränderte Gesprächssituation, die die Psychologin wissenschaftlich beschreibt, muss ohne nonverbale-Signale auskommen. Dies hat für sie ganz konkrete Auswirkungen auf die subtilen Nuancen ihrer Arbeit.

Dazu kommen Hürden, die sich direkt auf ihre Arbeit auswirken. So haben Behörden ihre Zugangsregeln verschärft, was die Begleitung durch „Frauen helfen Frauen“ erschwert oder unmöglich macht. Genauso verhält es sich vor Gericht, wo Nicolay Frauen, die Gewalt erlebten, während des Prozesses gegen die Täter unterstützt: „Wir dürfen nicht mehr zu zweit in den Wartebereich. Die Frauen müssen jetzt allein warten und bei Verzögerungen das Gebäude sogar möglichst wieder verlassen.“ Dabei sei es gerade in diesen Situationen sehr wichtig, nicht allein zu sein.

Nicht alle Frauen, die nun zusätzlich in die Beratungsstelle kommen, haben durch die externen Faktoren eskalierende Gewalt erlebt: „Für manche ist das weggebrochen, was ihre Situation in schwierigen Verhältnissen noch stabilisierte.“ Nun, da die Angebote und die Struktur außerhalb der eigenen vier Wände wegfielen, sei für manche Frauen der Druck gestiegen, sich Hilfe zu suchen.

Und manchmal treten auch Spuren längst vergangener Gewalt durch Dinge oder Anlässe wieder zu Tage, die für die allermeisten Menschen kein echtes Problem darstellen. Nicolay berichtet von Fällen, in denen Täter ihre Opfer würgten, ihnen den Mund zuhielten. Die Wahrnehmung einer Maske mag den meisten eher harmlos vorkommen. In diesen Fällen kann sie Erinnerung wieder hervorholen, die Maske wird zum alltäglichen Trigger.

Durch die Pandemie ist die Anzahl von Stalking-Fällen gestiegen und obwohl der neue „Stalking Paragraph“ Besserungen verspricht, gibt es noch zu viele unabgeschlossene Korrekturen im System, die durch Corona noch langsamer geschlossen werden.

Weiterhin werden auch mehr Menschen zu Tätern, die eigentlich das Umfeld der Betroffenen nach einer Beziehung längst verlassen hätten sollen. So verstärkt sich laut Nicolay der Trend zu immer mehr Fällen von Stalking. „Die Steigerung der gemeldeten Fälle ist offensichtlich“, berichtet sie. Ihrer Ansicht nach verstärke die Pandemie den Eindruck des Alleinseins und das Bedürfnis nach Kontrolle. Beide Bedürfnisse versuchten Stalker durch den einseitigen Bezug zu Menschen zu befriedigen, die diesen eigentlich ablehnen.

Zwar begrüßt die langjährige Beraterin die Neuerungen, die der sogenannte „Stalking-Paragraph“ in Bewegung gesetzt hat. An anderer Stelle kommen wichtige Schritte jedoch nur langsam in Gang, unter Corona-Bedingungen sogar noch langsamer. So war bereits für April letzten Jahres die Einführung einer vertraulichen Spurensicherung im Landkreis für Vergewaltigungsopfer angesetzt. Hiermit könnten Spuren mit den nötigen Fachkenntnissen sichergestellt werden, ohne dass automatisch sofort Ermittlungen eingeleitet werden müssen. „Das wurde schon oft versprochen, ist aber immer noch nicht passiert“, beklagt Nicolay. Weiterhin stehen in Baden-Württemberg nur drei Standorte hierfür zur Verfügung, der nächstgelegene zu Konstanz befindet sich in Ulm. Den jüngsten Termin für eine Änderung verhinderte nun Corona.

Trotz der stetigen Konfrontation mit Gewalt und Nöten anderer blicken die Frauen sehr positiv auf ihren Beruf.

Für beide sind es die Fälle, in denen es Frauen gelingt, ein neues Leben in einer gewaltfreien Umgebung aufzubauen, die sie motivieren. Sie erzählen von Begegnungen, bei denen das Leben der Hilfesuchenden sich dramatisch verbesserte. Und bei beiden schwingt außerdem die Hoffnung mit, neben den akuten Problemen, die gerade durch die Pandemie verschärft werden, an einer Welt zu arbeiten, in der Unterdrückung, Gewalt und Missbrauch durch institutionelle Veränderungen immer seltener werden.

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