Jeremias Heppelers

Kunst kommt von Kotzen

Es gibt nicht viel, dass sich nicht in Worte fassen lässt. Zum Beispiel: Die Farbe Rot. Schon einmal versucht sie zu erklären, ohne ihren Namen zu nennen? Wie ist es mit der Überforderung? Dem Wahnsinn? Stress? Anstrengung? Chaos? Sind Gefühle wie diese überhaupt erklärbar? Schließlich könnten sie nicht persönlicher sein als die eigene DNA, setzen sie ich doch aus einer Vielfalt von subjektiven Faktoren zusammen.

Nichts desto trotz hat sich Jeremias Heppeler, 29, an einer künstlerischen Beschreibung des Chaos versucht, das als Produkt der reinen Überforderung im Kopf der Menschen wütet. Ein Projekt, dessen Inhalt sich eigentlich dem durch Worte fassbaren entzieht und dennoch seine Bühne im Kunstraum Kreuzlingen gefunden hat.

Jeremias Heppeler im Kunstraum Kreuzlingen

Die Besucher der Ausstellung „am eigenen Leib“, die vom 13.04.2018 bis zum 15.04.2018 stattfand, wurden hier zunächst in ein Tiefparterre geführt, das düsterer nicht hätte sein können. Es gab keine Fenster und auch sonst nur künstliches Licht. Drei Leinwände wurden aufgebaut, die wieder und wieder die gleichen wirren Animationen abspielten. In ihrer Mitte befanden sich Sitzgelegenheiten. Sie zeigten auf eine atypische Bühne, bei der unter anderem eine Stereoanlage mit einem Vogelkäfig verbunden wurde. Daneben lag eine Peitsche. Außerdem war sie mit einem Seil verkabelt, das quer über den Raum hing. Auf der anderen Seite fand sich ein Schlagzeug aufgebaut. Hört sich verrückt an? Es wurde noch besser.

Jeremias Heppelers Kunstwerk im Tierfparterre

Denn die Show begann. Die Stereoanlage fing an zu wummern und gab Laute von sich, die sich eigentlich nur als Lärm bezeichnen ließen. Der Mann dahinter griff zu Peitsche und knallte sie auf den Käfig, es schallte durch das Tiefparterre und die ersten Gäste wollten sich sichtlich die Ohren zuhalten. Gleichzeitig versuchte das Schlagzeug den Takt zu halten. Ein Rhythmus war nicht erkennbar und vor allem spürte man eines: Chaos.

Auch die Leinwände trugen ihren Teil dazu bei. Flimmernde Animationen, auf die bis heute man nur schwer klarkommt. Sie zeigten den Künstler, wie er sein Gesicht mit einem Kugelschreiber bemalt. Wie er ein Blatt Papier vollschreibt, es zerschneidet und die Papierschnipsel anschließend dem Staubsauger überlässt. Wie er ein Bild zeichnet und danach in der Badewanne ausspült. Wie er, gelinde gesagt, irgendwie durchdreht.

Hört sich verrückt an? Es wird noch besser.

Plötzlich ergriff er selbst das Mikrophon. Schrie einen Text hinein, den er von seinem Smartphone ablas. Verständlich war wenig, was hängen blieb ist: „Alles, alles, alles, alles gleichzeitig!“ Schweiß perlt auf seiner Stirn, die Fäuste sind geballt. „Ihr sagt Kunst kommt von Können, ich sage Kunst kommt von Kotzen.“ „Alles, alles, alles gleichzeitig.“ „Alles überkommt mich in einem Schwall.“

Hört sich verrückt an? Es dauerte 40 Minuten. Dann war die Show vorbei. Danach herrschte kurze Stille. Anschließend atmete das Publikum spürbar auf. Erst jetzt wurder applaudiert. Man blickte in erleichterte Gesichter, staunende, erschreckte, verwirrte, erschöpfte. Was zum Teufel war das? Es lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen.

Jeremias Heppeler, 29, geboren in Tuttlingen, preisgekrönter Nachwuchskünstler, ehemaliger Stipendiat der Sommerakademie Venedig. Filmemacher, Maler, Autor. „Intermedial“ nennt er es selbst, „erfolgreich“ schreibt der Südkurier.

Jeremias Heppeler

Für die Ausstellung „Am eigenen Leib“ gab es ein klares Ziel für den jungen Künstler. „Überforderung und Überschuss. Was passiert mit der Wahrnehmung, wenn so viel auf dich einprasselt, dass du es eigentlich nicht mehr auhältst?“ formuliert er. Die Herausforderung dabei sei gewesen, das eigene Ich ins Zentrum zu rücken. Das wäre ein unangenehmer und harter Vorgang gewesen. Künstlerisch ergänzt habe ihn dabei jedoch sein Vater Christoph Heppeler, der bei dem Konzert die Stereoanlage bediente. Die Arbeit vor Ort hingegen, habe ihm viel Spaß bereitet. Von der Koordination dees Raumes, die Organisation des Konzertes und die Zusammenarbeit mit Boris Petrovsky, dem mann hinter der Schlagzeug.

Jeremias Heppeler und Boris Petrovsky

„Guantanamo am eigenen Leib“, flüsterte eine Zuschauerin als sie das Tiefparterre verließ. Eine andere erklärte, sie müsse erst einmal raus zum Rauchen. Dort hörte man jemanden sagen: „Mit Ohrstöpsel wäre es erträglicher gewesen“. Und auch Jeremias Heppeler erinnert sich wenige Tage später an diverse Reaktionen aus dem Publikum: „Den Leuten wurde teilweise schlecht! das sind Assoziationen in Richtung Depression, die ebenfalls oft mit Überforderungen einhergehen.“

Äußerungen, die im ersten Moment nicht gerade nach Komplimenten klingen. Doch wie der Künstler selbst erzählte, kommt Kunst nicht von Können, sondern vom Kotzen. Betrachtet man die Hintergründe der Ausstellung wird außerdem klar, dass es tätig nicht ihr Zweck war. Im Gegenteil: Chaos sollte er sein.

Inmitten einer Tiefgarage schaffte es Jeremias Heppeler sein Publikum in einen Fiebertraum zu versetzen, der die allgemein bekannten Gefühle von Überforderung, Stress, Anstrengungen und Wahnsinn auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Er konnte nichts daran ändern, dass sich dieser Nenner nicht beschreiben lässt. Durch die sinnliche Wahrnehmung an Lichtern, Geräuschen, Texten und Bildern gab er ihm jedoch einen plastischen Zugang. Es gibt nicht viel, das sich nicht in Worte fassen lässt. Jeremias Heppeler jedoch, schafft es mit Kunst.

Infobox: Über Pfingsten ist Jeremias Heppeler in der Konstanzer Partnerstadt Suzhou in China. Anfang Juli präsentiert er gemeinsam mit seinem Vater und der Designerin Ines Fiegert in Ulm das Austellungsprojekt „Das Polygonalsystem“. Seit kurzem erst wurde er zum künstlerischen Leiter des Kunstfestivals „Das Richtfest“ in Radolfzell ernannt.

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