Wäscheleine mit Kleidern

Weil Kleidung mehr als nur Kleidung ist

Kleidungsstücke dienen dem Menschen als Überzug, als Schutz vor Hitze und Kälte und auch vor den Blicken anderer Leute, könnte man meinen. Sich „zu kleiden“ ist aber primär ein soziales Konstrukt beziehungsweise das „sich kleiden“ hat je nach sozialem und kulturellem Kontext einen anderen Wert.

Disclaimer: In diesem Text wird explizit das unrealistische Körperbild in der Mode sowie die Wahrnehmung des eigenen Körpers thematisiert.

Seitdem ich denken kann, ist Kleidung politisch und religiös aufgeladen – der uns bedeckende Stoff war schon immer ein Statement. Dieser Planet beherbergt so viele verschiedene Länder und Kulturen mit Menschen, die sich entsprechend ihres Klimas, ihrer Figur, ihrer politischen oder eben religiösen Ausrichtung kleiden. Dabei vergessen einige Personen gern, dass kein Kleidungsstück „besser“ als das andere ist. Aktuelle Beispiele für die Politisierung beziehungsweise Problematisierung von Kleidungsstücken: Das Burkaverbot in Frankreich, AfD-Rassismus gegen Kopftuchträger:innen oder das sogenannte „Catcalling“, wenn beispielsweise Frauen aufgrund ihrer Kleidung von Männern mit Worten oder Lauten belästigt werden. Die Liste ist leider endlos lang.

Auch in den Tiefen meiner Erinnerungen finde ich zahlreiche Momente, in denen andere Personen, die ich kenne, oder ich aufgrund unserer Kleidung ausgegrenzt wurden.

Ein Beispiel, welches meine Perspektive auf Kleidungsstücke lange geprägt hat:

Ich erinnere mich zurück an das Jahr 2012, als ich in der achten Klasse war: In meinem niedersächsischen Dorf war die Marke „Hollister“ der absolute Hit und alle Personen, die entweder dem Trend nicht folgen wollten oder es sich nicht leisten konnten, wurden von den Hollister-tragenden Mitschüler:innen ausgeschlossen. Sie waren direkt uncool, so auch ich. Aber warum über 50 Euro für ein absolut unspektakuläres T-Shirt ausgeben, wenn es auch andere Teile gibt, die mehr den Stil meines 15-jährigen Ichs repräsentieren und mich zudem kostengünstiger einkleiden können? Die Konsequenz für meine Trendverweigerung: Der Verlust von Personen, die ich bis dato „Freunde“ nannte und mehr Profit für eine amerikanische Marke mit einer fragwürdigen Kleidergrößenpolitik.

Mehr als nur Trends: Kleidung ist politisch, religiös und gesellschaftlich aufgeladen. Quelle: pexels.com

Vielleicht erinnern sich noch einige an den Skandal der Marke „Abercrombie & Fitch“ sowie ihrer Tochterfirma Hollister. Kleidungsstücke wurden nur bis zu einer gewissen Größe produziert und alle Personen mit Größe 40 oder größer wurden somit automatisch ausgeschlossen. Auch wurde damit geworben, ein Polaroid-Bild mit oberkörperfreien „Fitnessboys“ zu erhalten, nachdem man im Abercrombie-Laden erfolgreich sein Geld ausgegeben hat. Was vermittelt das bitte unserer Gesellschaft? Dass nur Sixpacks und Size Zero ein angemessener Standard ist, den Hollister und Abercrombie einkleiden möchte?

Noch heute fühle ich mich manchmal schuldig, wenn ich nicht (mehr) in ein Kleidungsstück passe. Beispielsweise in meine Lieblingsshorts, da ich aufgrund der Corona-Pandemie ein paar Kilos mehr wiege. Aber anstatt meinen Körper zu akzeptieren, so wie er ist und dankbar für ihn zu sein, war mein erster Reflex: Abnehmen, damit ich wieder reinpasse.

Dabei muss ich doch gar nicht in meine Kleidung passen, im Gegenteil: meine Kleidung muss mir passen. Warum ist eine Kleidergröße, die mit einer vier beginnt, als „schlecht“ in meinem Denken verankert?!

Quelle: Pexels

In der gleichen Woche sah ich über die Plattform Instagram ein Statement der Nutzerin @dariadaria, in dem sie einen Ausschnitt eines Interviews mit der österreichischen Modemacherin Lena Hoschek teilte. Hoschek äußert in besagtem Interview, dass nur Personen Haut zeigen sollten, die auch eine „präsentierwürdige Haut“ hätten. Sie spricht sich mit dieser Aussage gegen kurvige Körper, faltige Körper und Körper mit Narben oder Cellulitis aus. Es hagelt daraufhin Kritik – unter anderem von Mode-Aktivistin Madeleine Alizadeh. Diese merkt in ihrer Instagram-Story an, dass der Kleidungsdurschnitt der deutschen Frau bei Größe 42 liege, jedoch werde diese Größe noch immer nicht adäquat von der Modeindustrie inkorporiert, sodass das Bild verbreitet wird, Frauen mit dieser Kleidergröße seien übergewichtig.

Ich bin wütend.

In dieser Gesellschaft muss noch einiges getan werden, das ist kein Geheimnis. Wir können damit beginnen, unseren eigenen Körper und die Körper der anderen Personen zu akzeptieren – und ihre Kleidungsentscheidungen ebenso.

  • Den einen Typ auf der Straße mit seiner knappen Shorts und den lackierten Fingernägeln: So what.
  • Die Frau, die mit gewagtem Ausschnitt und hochhackigen Schuhen früh morgens zur Arbeit geht: Ihre Entscheidung, was sie trägt.
  • Das Mädchen mit Burka am Strand: Muss man sie wirklich fragen, ob ihr warm ist oder kann man nicht vielleicht einfach ihre Kleidungswahl akzeptieren?

Kleidung ist mehr als nur Kleidung. Sie ist ein Fashion-Statement, doch genauso vermittelt sie politische, religiöse und persönliche Entscheidungen, welche die Personen betreffen, die die Kleidung tragen, und nicht die anderen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts
Lesen

Film ab! Das Lumière Unikino 

Das Unikino lädt jeden Dienstag im Semester zu einem Filmabend ein – der Eintritt ist kostenlos. Die Hochschulgruppe Lumière, die seit den 1970er Jahren besteht, zählt aktuell sechs engagierte Mitglieder. Paul Stephan stellt im Gespräch mit ihrem zweiten Vorsitzenden die Gruppe vor.
Lesen

Gemeinnütziger Journalismus: Das Karla Magazin

Mit einer breit angelegten Kampagne, die sogar das Foyer der Universität erreichte, gelang es dem Karla Magazin per Crowdfunding über 100.000 Euro zu mobilisieren. Unsere Redakteure sind dem Projekt nachgegangen und haben mit dem Redaktionsleiter, Michael Lünstroth, gesprochen.
Lesen

Buchvorstellung: „Vom Ende der Einsamkeit“

Mit der Corona-Pandemie sind viele junge Menschen mit dem Problem der Einsamkeit konfrontiert worden. Tobt ein Krieg in Europa, so kann dieses Gefühl noch intensiver empfunden werden. Umso aktueller erscheint da der Titel von Benedict Wells' Roman „Vom Ende der Einsamkeit“. Ob das Buch das Versprechen auch halten kann, untersucht Paul Stephan.