Wenn man in diesem Leben noch eine Kunst erlernen sollte, dann ist es ganz gewiss die „Kunst des Nichtstuns“. „Warum denn das?“, fragt frau sich im einundzwanzigsten Jahrhundert. Einem Zeitalter, das von rasant wachsenden technologischen Entwicklungen, reizüberflutenden Informationsfluss und der Vorstellung endloser Möglichkeiten geprägt ist. Darüber hinaus von Übermenschen wie Elon Musk (Chief Executive Officer von Tesla), der am laufenden Band Autos mit Spitzengeschwindigkeiten von 348 km/h produziert und manchmal auch Raketen Namens „Falcon Heavy“ ins All schießen lässt. Der Spiegelverlag verrät, seinen eigenen kirschroten Sportwagen soll er in die Rakete mit eingepackt haben. Er meint es wohl verdammt ernst damit, den Mars ab 2028 besiedeln zu wollen.
Ich hingegen träume derweil – irgendwo zwischen Uni, Arbeit und Vorweihnachtsstress – eher von Sonne, Strand und Palmen. Gerade zur Adventszeit, dessen Sternstunde sich ursprünglich auf die Geburt Jesu Christi zurückführen lässt, hetzt man meist irgendwo umher: zwischen Glühweinstand, jährlichen Klassentreffen, Lebkuchen backen, Silvester-Planungen und der Entscheidung zwischen Gans mit Knödeln und Rotkraut oder doch lieber Wienerle mit Kartoffelsalat. Anstatt Spaß und Freude ist am Ende doch alles zu viel und es wird sich lieber kurzfristig abgemeldet, weil der Stress unter die Haut geht…
…oder man sich beim Glühweinbesäufnis auf dem Weihnachtsmarkt leider eine Erkältung eingefangen hat. Der Körper dankt es einem tatsächlich sehr, mal wirklich „Nichts zu tun“. Gerade unser Nervensystem könnte sich daran erfreuen, denn ohne den andauernden Einstrom äußerer Reize und dem daraus resultierenden Stress, kann sowohl unser Hormon- als auch Immunsystem am besten arbeiten. Unser Geist, dem die „Leerheit“ mittlerweile leider recht fremd geworden ist, könnte zur Abwechslung aus dem Strom der Gedanken auftauchen und sogar ein bisschen klarer werden. Bei den positiven Aussichten für das Wohlbefinden, stellt sich dann die große Frage: „Wie macht man denn am besten Nichts“?“. Insbesondere in einem kapitalistischen System, das kontinuierlich einwandfreie Leistungen von der Bevölkerung sowie grenzenloses Wachstum auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen einfordert. Dem Nichts-Tuenden wird in dieser Weltordnung schnell eine phlegmatische Persönlichkeit unterstellt. Dabei sind bekannte Begleiterscheinungen des (zu viel…?) Tuns mitunter die Volkskrankheit Depression oder zeitgemäß ausgedrückt „Burn Out“. Hier zwingt der Körper den Menschen dann radikal in das „Nichtstun“.
Phlegmatisch = negativ konnotierte Bezeichnung für einen besonders trägen und schwerfälligen Menschen. Der Ursprung der Bezeichnung geht zurück auf Hippokrates „Vier-Säfte-Lehre“, ein medizinisches Konzept, das aus der Antike (ca. 400 vor Christus) stammt.
Um uns nun „der Kunst des Nichtstuns“anzunähern, sollten wir sie zunächst von der studentisch renommierten „Prokrastination“ (lat: procrastinatio) begrifflich differenzieren. Sie setzt sich aus pro- (lat: „vor“, vorwärts-„) und crastinum (lat: „morgiger Tag“) zusammen und bedeutet etwa „Aufschub“ oder auch „Vertagung“. Eine geläufige Internetenzyklopädie beschreibt die Prokrastination als das Leiden an einer Störung, die insbesondere durch ein unnötiges Vertagen des Beginns oder auch durch etwaiges Unterbrechen von Aufgaben gekennzeichnet sei. Hervorzuheben sei hierbei, dass die Fertigstellung der Aufgaben entweder überhaupt nicht oder nur in Kombination mit sehr großem Druck zustande kommt. Allerdings sagte auch mal Jemand zu mir, dass „…unter großen Druck Diamanten entstehen“. Über meine letzte Matheklausur kann ich das leider nicht behaupten, die hätte ich auch einfach gar nicht schreiben können. Vermutlich schiebt man das dann der Prokrastination in die Schuhe – aber bloß nicht „der Kunst des Nichtstuns“! Denn meistens scrollte ich, anstatt fleißig Formeln zu lernen, lieber Katzenvideos auf Instagram oder rannte zum Kühlschrank, um mir einen zuckerhaltigen Snack als Muntermacher zu besorgen. Tatsächlich soll es neben der „Prokrastination“ auch die „Präkrastination“ geben, beschrieben als das Leiden an einer Störung, bei der man alle Aufgaben möglichst schnell erledigen möchte. Ich persönlich bin mir unsicher darüber, an welcher der beiden Störungen ich letzten Endes leiden möchte. Vielleicht ist es auch hier am besten den mittleren Pfad einzuschlagen, denn wie bereits Siddharta Gautama – der historische Buddha – 500 vor Christus meditierend unter einer Pappel-Feige sprach: „…für einen gesunden Geist gilt es die Extreme zu meiden.“
Neben Siddharta widmete sich auch Hermann Hesse in seinem Roman „Die Kunst des Müßiggangs“ ausgiebig der „Kunst des Nichtstuns“. Der Müßiggang soll insbesondere das Ausleben der „Muße“ hervorheben, also der Zeit, die man nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen gestalten kann. Dies kann sowohl das Nachgehen einer genussreichen Tätigkeit oder eben auch das reine „Nichtstun“ bedeuten. Letztlich dominiert wahrhaftig die Zeit über die Gestaltung unserer Lebensbereiche und das obwohl wir sie sowohl natur- als auch geisteswissenschaftlich noch gar nicht wirklich verstehen können. Nachdem die Menschheit sich lange an der Stellung der Himmelskörper am Nachthimmel und dem Schattenwurf der Sonne orientiert hatte, ersetzen uns heutzutage digitale Anzeigen von Smartphones die Frage nach der Zeit – und stehlen sie uns dabei durch Social Media und diverse andere Applikationen in unberechenbarem Ausmaß. Die Messung der Zeit gehört wohl zu den fundamentalsten Erfindungen und gleichzeitig unerklärlichsten Rätseln der Menschheit. Dabei wird von einigen Physikern und Philosophen das „Fließen der Zeit“ – von der Vergangenheit, über die Gegenwart, bis in die Zukunft – als scheinbares subjektives Phänomen oder gar Illusion postuliert. Vergleichbar sei es, mit der visuellen Wahrnehmung der Farbe Grün und ihrer zugehörigen Wellenlänge des Lichts. Vor Kurzem erinnerte mich Jemand an etwas: „…man könne sich doch alle Zeit der Welt nehmen. Denn viele von uns Menschen wissen es nicht, aber sie gehört nur uns.“ Oder wie Hermann Hesse es gleichermaßen in seinem Werk inspirierend zusammengefasst hat:
„Was ist der sorglose Zauber des Bacchus und die süße, schläfrige Wollust des Haschisch gegen die abgrundtiefe Rast des Weltflüchtigen, der auf dem Grat eines Gebirges sitzend, den Kreislauf seines Schattens beobachtet und seine lauschende Seele an den stetigen, leisen, berauschenden Rhythmus der vorüberkreisenden Sonnen und Monde verliert? Bei uns, im armen Abendland, haben wir die Zeit in kleine und kleinste Teile zerrissen, deren jeder noch den Wert einer Münze hat; dort aber fließt sie noch immer unzerstückelt in stetig flutender Woge, dem Durst einer Welt genügend, unerschöpflich, wie das Salz des Meeres und das Licht der Gestirne.“
Hermann Hesse
Und wie beginnen wir denn jetzt am besten mit der „Kunst des Nichtstuns“ in einer chaotischen Welt, die in einem oft den trügerischen Anschein erweckt, die Zeit würde eher gegen als für einen arbeiten?
…Vielleicht zwischendurch einfach öfter Mal innehalten, den Körper ablegen, die Augen schließen, in sich reinspüren und einfach nur tief ein- und ausatmen…
…richtige Erholung findet man erst dann, wenn man sich selbst erlaubt, Mal Alles ruhen zu lassen, während der Rest der Welt, zwischendurch auch ohne Einen auskommen darf…