Windeln

In der Windel nichts Neues: Ein Gastbeitrag von Lucas Fröschle

Aus studentischer Perspektive teilt sich unsere Gesellschaft in zwei Gruppen: Die einen sind jung und dynamisch, die anderen weniger jung und dafür meist solider. Jene anderen halten die einen für naiv und wankelmütig, die einen finden, die anderen seien spießig und reaktionär. Die bevorstehende Geburt meines Sohnes schien diese beiden Lager auf wundersame Weise zu vereinen.

Beide Gruppen benötigten mindestens zwei Informationen, um eine angemessene Reaktion auf meine Vaterschaft generieren zu können. Eines blieb jedoch konstant: Niemand gab offen zu es bedenklich zu finden, dass man sich fortpflanzt. Jedoch verloren manche kurzzeitig die Herrschaft über ihre Gesichtszüge. In diesem Fall sorgten beide Antworten bei fast allen, das heißt auch bei meinen dynamischen AltersgenossInnen, für ein unterschwelliges und doch sichtbares Unbehagen.

Ich war 24 als ich es erfuhr. Die meisten sagten dann so etwas wie: „Ach, wie schön.“ Je nach Typ platzte es auch Mal heraus: „Was!? Wirklich!?“ In dem unsicheren Lächeln mit dem diese Worte meist umwickelt waren, wurde jedoch ein Zwist sichtbar: Die Menschen ringen darum, ob sie das jetzt vertretbar oder eher verantwortungslos finden. Sie flüchten dann meist nach vorn und erkundigen sich nach meiner finanziellen Absicherung. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, dass meine Tätigkeit diese ungewöhnlich frühe Vaterschaft mit einer ebenso ungewöhnlich frühen finanziellen Sicherheit rechtfertigt.

Den Wunsch daraufhin ein erleichtertes „na dann, herzlichen Glückwunsch“ ausstoßen zu können, musste ich leider oft zunichtemachen. Ich war noch im Studium. Irgendwas mit Medien. „Okay… und was macht Ihre Frau?“ Meine Freundin? Die studiert auch was mit Medien. Wir brauchen aber beide noch ein bisschen. Ich mache meinen Abschluss und suche dann Arbeit, keine Sorge. Während eigentlich alles glatt lief, musste ich das mit der Sorge tatsächlich anderen überlassen. Dazu war ich viel zu beschäftigt mit meinem Bachelorprojekt und damit, mich tierisch zu freuen.

Natürlich denkt man am Anfang auch: Du lebst in einer WG, hast keine Sicherheit und dem Kind ‚nichts zu bieten.‘ Einmal erzählte ich meinem besten Freund, dass ich Angst habe keinen Job zu finden und auch manchmal keine Hoffnung sehe. „Du kriegst ein Kind Alter. Das ist pure Hoffnung“, sagte er.

Weil so welchen wie uns, jung, dynamisch, ausgebildet aber mittellos und dann auch noch mit Kind, in der schwäbischen Metropole niemand eine Wohnung vermieten wollte, zogen wir nach meinem Abschluss zu meinen Eltern. Ist sowieso geselliger. Außerdem kann ich im Nachhinein sagen: es gibt keine heller strahlenden Geschöpfe auf dieser Welt als frisch gebackene Großeltern.

Wir machten derweil einen Geburtsvorbereitungskurs für Paare, bei dem wir nicht einmal die Jüngsten waren. Auf schummrige Ultraschallbilder starren und raten, ob man sich jetzt einen Hintern oder einen Kopf anschaut, über ausgefallene Namen nachdenken, Babykleidung shoppen, am Bauch lauschen und schließlich mit diesem reden – diese Dinge wurden mit so erschreckender Reibungslosigkeit alltäglich, dass es mir gerade nur auffällt, weil ich bewusst darüber nachdenke.

Inzwischen bin ich seit 16 Wochen Vater und es ist eigentlich wie Zähneputzen. Bloß, dass man seine Zähne in der Regel zweimal am Tag putzt. Wie oft wir am Tag hingegen dem Kleinen die Windeln wechseln, weiß ich gar nicht. Vielleicht würde ich es aber auch aus Rücksicht auf all die Eltern in spe lieber für mich behalten. Was ich weiß ist jedoch, dass mir früher beim Anblick einer vollen Windel schlecht geworden wäre. Heute freue ich mich über die eigentlich nicht so glanzvollen körperlichen Aktivitäten meines Sohns, wie als Student über eine Runde Freibier. Komme ich heute von der Arbeit nach Hause (Seht! Wie solide!), verspüre ich immer noch das Verlangen was Trinken zu gehen oder sonstigen studentischen Aktivitäten zu frönen. Dieses kleine Würmchen, das inzwischen lacht und quietscht und bestimmt bald „Papa“ rufen wird, lässt mich all das jedoch schnell vergessen.

Der Zeitpunkt ein Kind zu bekommen hätte wohl nicht besser gewählt sein können. Den Fortpflanzungstrieb neoliberaler Kontrolle zu unterwerfen ist sowieso etwas für die anderen und ein absoluter Liebestöter.

Was man in den ersten Wochen und Monaten mit Kind wirklich brauchen kann, ist Zeit. Ich bin heilfroh, dass wir sie uns nehmen können. Ein Neugeborenes verlangt nämlich gar nicht so viel Geld. Es konsumiert ausschließlich seine Eltern. Diese sind zum Glück noch jung und dynamisch genug, sich ihm mit voller Energie zu widmen.

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