Alte Mauern, neuer Frieden

Die meiste Zeit verbringen die Mitarbeitenden von archäologischen Expeditionen in Ländern wie dem Irak auf der Grabungsfläche oder in gesicherten Arealen. Trotzdem wird in einigen Momenten eine völlig andere Welt erlebbar.

Der angekettete Wachhund unseres Nachbarn öffnet nur müde ein Auge, als ich die Türe des Toyota-Pick-Ups zuschlage. Es ist noch vor sechs Uhr, als sich der Konvoi in Bewegung setzt.

Dieser besteht aus Archäologen, einem Geologen und Grabungshelfern, die wir unterwegs einsammeln, um Charax Spasinu im Norden auszugraben, eine hellenistische Stadt, oder was davon übrig ist.

Der Beginn des Arbeitstages: Entladen der Geräte für die Grabung nach Sonnenaufgang.

Früher war die Stadt einmal ein bedeutender Hafen, heute liegen ihre Überreste tief im Landesinneren des Irak, ganz im Süden, wo das Land zwischen Kuwait und Iran schmal wird.

Unser deutlich wacherer Übersetzer erklärt mir gut gelaunt, der Irak habe kein Tourismus-Problem. Verschlafen reibe ich mir die Augen und frage mich, wie man denn auf die Idee kommen kann, denn dieser Aussage glaube ich sofort. Es wird der einzige Morgen sein, an dem wir zu einer vernünftigen Uhrzeit starten. Oft fehlt es an einer Genehmigung, Zuständigkeiten bleiben sogar den Untergebenen völlig rätselhaft. Bis Touristenmassen hier irgendwo ankommen, dauert es noch eine Weile – sogar, wenn sie jetzt aufbrechen würden in das Land, bei dessen Erwähnung die meisten Deutschen einen etwas erschreckten Gesichtsausdruck bekommen.

Vor unserem gesicherten Compound stapelt sich halb verbrannter Müll, in den Schlaglöchern könnte man den Toyota problemlos verstecken. Es dauert eine Weile, bis ich begreife – er meint Terrorismus. Eine völlig andere Vokabel, etwas, das man Fremden gegenüber hier tatsächlich bekräftigen muss.

Der Jeep rollt weiter, um die kleinen Schafherden herum, die über die Straße allmorgendlich zu ihren Weiden getrieben werden, aus dem kleinen Ort Nashwa. Dieser ist schon im Zentrum recht dünn besiedelt, nach einigen Kilometern gibt er bereits den Blick frei auf das irakische Flachland.

Hirte bei der Durchquerung der Grabungsfläche.

Die Sonne geht durch einen trüben Schleier aus Wüstenstaub und dem Rauch der Raffinerien auf, erst lange nach ihrem Aufgang bekommt man die rötliche Scheibe wirklich zu sehen.

Nicht viel auf den ersten Blick, nur die mächtigen Verteidigungswälle ragen in den Himmel. Auch ohne Tourismus/Terrorismus-Gefahr werden wir stets von einigen Polizisten begleitet. Manche von ihnen sind in voller Kampfmontur, mit Schutzwesten voller Ersatzmagazine, als wollten sie von hier direkt in einen Krieg ziehen, andere spazieren mit blankpolierten Lederschuhen und lässig an den Fingern baumelndem Gewehr nebenher.

Jedes Mal, wenn sich der kleine Tross aus Archäologen von einer Ansammlung von verwitterten Ziegeln zur Schlacke eines alten Brennofens fortbewegt, bleiben ein paar von ihnen an der verlassenen Stelle stehen und grübeln. Es ist schwer zu sehen, was an diesen Stellen die Besucher:innen so fasziniert.

Sami, ein erfahrener Grabungshelfer aus Nashwa, bei der Arbeit.

Nach einigen Hackenschlägen aber ändert sich das Geräusch. Ein metallisches „Pling“ verrät, dass wir auf Steine und gebrannte Ziegel gestoßen sind, Zentimeter unter dem Boden. Diese werden sich schnell als Säulenreste herausstellen. Umgeben von Mauern, die schon deutlich schwieriger zu finden sind. Ungebrannte Lehmziegel verwandeln sich durch  2000 Jahre Witterung und unzählbare Überflutungen wieder zu Lehm, was von einem Boden aus Lehm nur schwer zu unterscheiden ist. Nur ein leichter Schleier und die richtige Kratztechnik lassen die Gebäude wieder sichtbar werden.

Die erfahrenen Archäologen überschlagen sich mit Vergleichen, um den neuen die Unterschiede begreiflich zu machen. Es fallen vor allem Süßwaren, Nougat, Nutella und Schokoladensorten sind am beliebtesten …

Mit Besen und Kalaschnikow.

Ansonsten geben sie sich größte Mühe, uns zu beschützen. Jeden Morgen pflanzen sie ein schweres Maschinengewehr auf die Halterung ihres Wagens. Mit Mühe wird das eiserne Gerät in die Metallgabel gewuchtet. Dahinter ist es schon komfortabler, der Sitz erinnert eher an einen Kino-Sessel, mit viel Plüsch und Polsterung, sehr ungewöhnlich für ein Kriegsgerät. Jeder hier habe Angehörige an einen Krieg oder Gewalt verloren, erklärt mir Abdel-Rasak, ein irakischer Archäologe. Ob durch die politische Gewalt Saddams, die US-Invasion oder den IS.

Trotzdem bleibt unklar, ob die Bewacher nicht eher eine Gefahr darstellen. So leidenschaftlich, wie ein Polizist mit der Rechten das ungesicherte Gewehr schwingt, während er mit der Linken das Telefon ans Ohr presst, mit seiner Frau auf der anderen Seite der Leitung, geht es der Ehe wohl bald wieder besser als einem möglichen Kollateralschaden der Diskussion.

Ausgraben von Holzresten aus dem Lehmboden, mit deren Konservierung niemand gerechnet hatte.

Welches Schicksal Gina widerfahren ist, werden wir so genau wohl nie erfahren. Wir finden sie an einem der ersten Arbeitstage. Tot wie man nur sein kann. Seit annähernd 2000 Jahren vermutlich. Sie bleibt eines der Rätsel der Grabung. Warum liegt eine erwachsene Frau in den Resten eines zu dieser Zeit vermutlich schon verlassenen Hauses begraben? Und warum nicht ordentlich in ein Grab gelegt, sondern in unnatürlicher Pose an die Wand gelehnt und mit einer Schicht Keramik-Scherben bedeckt? Wir verstehen die Schichten um sie herum, können sagen, was vor ihr und was nach ihr dort abgelegt wurde. Wir sehen, wie die Staubschicht über ihr von Jahr zu Jahr dicker wurde. Aber um ihr genaues Schicksal zu ergründen, bräuchten wir doch eine Zeitmaschine.

Die irakischen Arbeiter, die teilweise äußerst erfahren in der archäologischen Arbeitsweise sind und teilweise bisher nichts mit der Wissenschaft zu tun hatten, wollen ebenfalls alles über die Tote wissen. Das gestaltet sich als durchaus schwierig. Die Englischkenntnisse beschränken sich größtenteils auf einige Fußballvokabeln. Deshalb muss alles in eine Übersetzer-App eingetippt und das Handy weitergereicht werden. Dann wird die Antwort getippt und zurückgegeben…

Portrait eines irakischen Archäologen.

Was mühsam klingt, ermöglicht doch durchaus intensive Gespräche.

Zum Beispiel über Motorräder, was ein erstaunlich politisches Thema ist. Denn die meisten Maschinen stammen aus China. Deren Ölfirmen kaufen in der Region zahlreiche Felder von amerikanischen und westlichen Firmen auf, an den ersten Tankstellen erscheinen die Preise jetzt in chinesischer Schrift. Oder die Motorräder kommen aus dem Iran.

In den Artillerie-Stellungen des Iran-Irak-Krieges graben wir, beim Herumlaufen ist viel Kriegsschrott von Helmen bis zu Munition und sogar einzelnen Mörsergranaten zu finden. Dennoch ist die Situation viel komplexer. Schließlich ist der Süd-Irak schiitisch dominiert und damit dem Nachbarn eigentlich sehr nahe. Die Plakate der religiösen Führer, die die Straßen pflastern, lassen sich für westliche Augen nicht von iranischen Propagandaaufnahmen unterscheiden. Dennoch äußern auch viele Fahrer von iranischen Motorrädern bei Produkten mit irakischer Alternative einen erstaunlichen Patriotismus. Diese Datteln? Nein, die sind aus dem Iran.

Motorradfahrer in der irakischen Wüste.

Am vor allem iranischen Feiertag Nouruz bemerken wir dann, wie verbunden die Länder doch mittlerweile sind. Der Strom  ist nicht nur zwischendurch für eine Weile ausgefallen, sondern den ganzen Tag nur sporadisch verfügbar. Auf der anderen Seite der Grenze feiern die Familien zusammen und verbrauchen überdurchschnittlich viel Energie  – auch auf jener Seite bricht die Versorgung zusammen.

Am Ende werden alle Funde in einen ehemaligen Palast Saddam Husseins gebracht, der heute ein Museum ist. Ausgestattet mit High-Tech-Ausstellungstechnik, wie einem Münzkabinett mit elektronisch steuerbaren Lupen und Stücken aus dem ganzen Staatsgebiet des Irak, fehlt dem Museum nur eines: Besucher:innen.

Auch wenn die Sicherheitslage nicht angespannt ist, scheitert ein Gang in das Museum an den Zuständigkeiten der Sicherheitskräfte und der Tatsache, dass sich die Situation für einen Bummel in die Außenbezirke der Stadt Basra einfach noch nicht genug normalisiert hat.

Aber bald stehen Wahlen an, einem Milizenführer aus dem Süden schreiben die irakischen Kollegen gute Chancen zu, Präsident zu werden. Dann wird vielleicht alles besser, ganz bestimmt, sagt Abdel-Rasak, der Optimistischste unter den Kollegen. An dieser Einschätzung kann auch ein iranischer Luftangriff auf eine mit ihm verbundene Organisation während dieser Zeit nichts ändern. Sie sehnen sich einen Aufschwung herbei, Chancen für die, die im Land bleiben und nicht emigrieren wollen.

Am Ende sieht man es vielleicht einfach an einem Museumsbesuch. Was in Deutschland ein Samstags-Schrecken für manche Jugendliche ist, kann im Irak ein Zeichen von Normalität bedeuten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts
Intensivpfleger sind oft am Limit diese Tage.
Lesen

Am seidenen Tropf

Corona stellt die Kliniken vor große Probleme, aber es ist nicht der Grund für die aktuelle Situation, findet unser Gesprächspartner. Die bestehenden Probleme treten nur dadurch verschärft zu Tage.
fahrendes Auto
Lesen

Ist Konstanz wirklich „Auf dem Weg zur autofreien Innenstadt“?

Grüne Linien mit Fahrrad- und Bussymbolen zeichnen den Verlauf von Laube, Rheinsteig, Bodanstraße und den Bahnhofsplatz ein. Mit „Verkehrssystem autofreie Innenstadt“ ist die Grafik aus dem Konstanzer Amtsblatt untertitelt. Rote Linien und Autosymbole gibt es nur noch in Petershausen, auf der Schänzlebrücke und ihrer Verlängerung, der Europastraße.
Lesen

Queeres Leben an der Universität Konstanz

Auf dem Papier machen Politik und Gesellschaft in Deutschland Fortschritte, aber wie sieht die Realität von queeren Menschen wirklich aus? Haben die politisch-rechtlichen Maßnahmen einen Einfluss auf das Leben von queeren Menschen? Welche Erfahrungen machen queere Studierende in Konstanz?
Lesen

Eine Frage der Zeit – Ein Kommentar zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Die Universitätsforschung in Deutschland ist ein steiniger Weg. Zwischen schlecht bezahlten Doktorandenstellen und befristeten Post-Doc-Positionen ist die Zukunft unsicher. Nur mit viel Motivation halten Forschende durch, trotz besserer Bezahlung im Ausland oder in der Wirtschaft. Die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.