Statue

Zwischen Hypermoralismus, Meinungsfreiheit und Diskurs

Eine Entgegnung auf Miguel Helms Beitrag am Beispiel des Streitfalls um den Leipziger Juraprofessor Thomas Rauscher.

Im Zeitalter des Hypermoralismus sei die Moral so stark in den Alltag gedrungen wie nie zuvor. Sie habe Religion und Ideologie auf die hinteren Ränge verwiesen, wenn es darum geht Sinn zu stiften. Eine zugegebenermaßen steile These von Miguel. So steil wie sie ist, so zielgenau trifft sie in ein Problemfeld, das sich innerhalb der Gesellschaft auftut. Eine Gesellschaft, die an einem Punkt angekommen ist, an dem sie Einheit durch maximale Diversität leisten möchte.

Normative Unterschiede sollen ausgemerzt, Gemeinschaft gestiftet aber zugleich zu Einzigartigkeit ermutigt und Diversität geschützt werden. Das ist zumindest ein schwieriger Spagat wenn nicht gar ein Paradox. Die als einzig richtiger, weil moralischer, Weg angezeigte universelle Akzeptanz und Toleranz als Grundlage der Gesellschaft, gerät damit an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Moral als Unterbau für alles Handeln und Denken klingt erst einmal wie das irdische Paradies. Sie läuft aber Gefahr zu einem unhinterfragbaren Dogma zu werden.

Das – insofern gehe ich mit Miguel Helm mit – ließe sich dann treffend Hypermoralismus nennen. Wie problematisch das Wirken dieses Hypermoralismus sein kann, lässt sich an einem aktuellen Beispiel wunderbar illustrieren. Das Beispiel der Debatte um den Leipziger Juraprofessor Thomas Rauscher:

Das Video, das der sozialistisch demokratische Studierendenverband der Linken auf seiner Facebookseite verbreitet hat, wurde bereits über eine Million Mal aufgerufen. Man sieht wie Professor Thomas Rauscher in seiner eigenen Vorlesung von Studierenden angeklagt wird. Sie zeigen und verlesen Tweets, die Rauscher gut zwei Jahre lang auf seinem mittlerweile gelöschten Twitteraccount verbreitete und fordern dazu auf, Rauschers Vorlesung zu boykottieren und ihm keine Öffentlichkeit mehr zu bieten. Rauscher postete auf Twitter islam- und fremdenfeindliche sowie nationalistische Kurznachrichten. So zum Beispiel:

„Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiß aufgebaut haben.“

(Zitat: gelöschter Tweet von Prof. Thomas Rauscher, Quelle: SDS Leipzig)

Die Uni Leipzig hat sich am Freitag von den Tweets ihres Professors distanziert, sagt aber auch, dass dem Professor selbst überlassen sei, was er „auf seinem privaten Account“ mache. Der Jura-Fachschaftsrat hatte schon im Januar 2016 über Rauschers Tweets von „rechter Brandstiftung“ geschrieben und die Uni dazu aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen. Das Video von der öffentlichen Anklage Rauschers im Hörsaal wurde nun breit rezipiert, kommentiert und von immer mehr überregionalen Medien kommen Berichte über den Fall Rauscher. Es kann also gut sein, dass die Uni Leipzig die Debatte um ihren Professor bald als rufschädigend ansieht und die geforderten personellen Konsequenzen doch noch zieht. Was hat der Fall aber mit dem Hypermoralismus zu tun?

Rauschers Tweets widersprechen auf zugleich scharfe und plumpe Weise der von der Moral gebotenen universellen Akzeptanz und Toleranz. Durch seine Rhetorik zieht der Jurist Grenzen ein, hierarchisiert und trennt die Welt in Völker auf, die sich in Art, Hautfarbe und Eigenschaft entgegenstehen. Das sind Positionen aus einem anderen Jahrzehnt, wenn nicht gar Jahrhundert, die 2017 dementsprechend provokant und aus der Zeit gefallen sind. Nun stellt sich in der Art und Weise, wie die Studierenden im Video mit Rauscher umgehen, aber die Alternativlosigkeit und der dogmatisch gewordene Charakter der Hypermoralismus zur Schau. Fast wie in einem Schauprozess werden dem Fehlgeleiteten die Leviten gelesen, ohne dass dieser gleiches Recht zur Gegenrede eingeräumt bekommt.

„Ich möchte nicht mit ihnen diskutieren“,

heißt es gleich zu Beginn zum protestierenden Professor, nur um kurz darauf zu behaupten die Meinungsfreiheit pflegen zu wollen, wenn man Rauscher nun zur Abwechslung mal nicht das Wort erteile. Selbstverständlich können Studierende widerständig und öffentlichkeitswirksam ein Signal gegen einen Professor senden. Das liegt sogar in ihrer Verantwortung. Ihn aber dergestalt im Plenum an den Pranger zu stellen, zeugt von einer Grundhaltung, die zu keiner Sekunde daran zweifeln würde, dass hier das Richtige und zwar das einzig Richtige getan wird. Und diese Grundhaltung speist sich aus eben dem Hypermoralismus den Miguel Helm beschrieben hat. Am Streitgespräch mit dem unliebigen Professor scheint es kein Interesse zu geben.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass sich Rauscher durch seine plumpen Twitterparolen selbst disqualifiziert. Nur dürfen wir nicht in die Arroganz verfallen, die eigenen Positionen für nicht länger erklärungs- und debattierbedürftig, weil moralisch richtig, zu halten. Statt zu argumentieren und zu streiten wird sich empört und der Angeklagte als unmoralisch und somit nicht für den Diskurs geeignet gebrandmarkt. Wie viel Sinn macht aber ein politischer Diskurs, der einzig mit Gleichgesinnten geführt wird? Ist es nicht genau die Fähigkeit zum Diskurs und auch mal zum Streit – hart in der Sache aber fair in der Form – die Meinungsfreiheit und gesellschaftliches Zusammenleben mit Leben füllen?

Stattdessen, so scheint es, verweigert man genau denen das Gespräch, deren Meinung sich von der eigenen unterscheidet, statt es zu suchen. Und mit wem sollte man ins Gespräch kommen, wenn nicht mit Andersdenkenden? Wenn die Moral als oberste Handelsmaxime dazu führt, dass wir verlernen einander zuzuhören und unsere Positionen zu hinterfragen, weil nur noch ein enger Korridor aus Ansichten und Handlungen als richtig und damit überhaupt als diskussionswürdig erachtet wird, dann ist das von Miguel Helm diagnostizierte Zeitalter des Hypermoralismus denkbar weit weg vom gelebten Paradies.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts
Lesen

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – oder doch? Ein Kommentar zur Trennung von Kunst und Künstler:in

Transfeindliche Kommentare von J. K. Rowling, die Verhaftung von Materia, Vergewaltigungsanschuldigungen bei Rammstein: Die Liste ist lang. Immer wieder geraten Künstler:innen in Verruf. Können wir als Publikum trotzdem ihre Kunst konsumieren, obwohl wir Taten der Erschaffer:innen verurteilen? Inwiefern lassen sich Kunst und Künstler:in trennen?
Lesen

Gemeinnütziger Journalismus: Das Karla Magazin

Mit einer breit angelegten Kampagne, die sogar das Foyer der Universität erreichte, gelang es dem Karla Magazin per Crowdfunding über 100.000 Euro zu mobilisieren. Unsere Redakteure sind dem Projekt nachgegangen und haben mit dem Redaktionsleiter, Michael Lünstroth, gesprochen.