Intensivpfleger sind oft am Limit diese Tage.

Am seidenen Tropf

Corona stellt die Kliniken vor große Probleme, aber es ist nicht der Grund für die aktuelle Situation, findet unser Gesprächspartner. Die bestehenden Probleme treten nur dadurch verschärft zu Tage.

In dieser Woche hat er Nachtschicht, deshalb erreiche ich Michael* erst spätnachmittags, frisch ausgeschlafen. Es bleiben einige Stunden, bis er wieder seinen Dienst in einer Klinik in Baden-Württemberg antritt, nicht wissend, was genau ihn in der Zeit bis zur Ablösung genau erwarten wird. Das ist normal für einen Intensivpfleger wie ihn. Trotzdem ist Michael wütend auf die meisten Menschen, die von ihren Schreibtischen aus über das mitentscheiden, was sich in seiner Schicht abspielen wird. Sie prägen Details seiner Arbeit entscheidend mit, doch sie werden nicht vor Ort sein, wenn er um das Leben seiner Patient:innen kämpft.

„Den Stress und die extremen Erfahrungen, damit kann ich eigentlich gut umgehen“, sagt er, „aber es bedrückt mich, wie schwierig es zurzeit ist, sich richtig um die Patienten zu kümmern.“ Verantwortlich dafür ist durchaus Corona, wenn sich die Infektionen auch nicht nur durch die Erkrankten bemerkbar macht.

Seit der letzten Welle ist seine Station auf die Hälfte ihrer vorigen Größe zusammengeschrumpft. Die restlichen Betten mussten geschlossen werden – ein diplomatischer Ausdruck dafür, dass niemand da ist, der sich um einen Menschen darin kümmern könnte. Die Kolleginnen und Kollegen, die hierfür fehlen, haben die Arbeitsbedingungen nicht mehr länger ausgehalten und gekündigt. Darunter gerade auch viele mit langjähriger Erfahrung und den Weiterbildungen, die auf einer Intensivstation besonders benötigt werden.

Die Station ist nach der Reduzierung der vorgesehen Betten überbelegt, eine Pflegekraft ist teilweise für vier Patient:innen zuständig, das Doppelte des eigentlich vorgeschriebenen Pflegeschlüssels von Eins zu Zwei.

Es sind mehr Ärzte im Frühdienst als Pflegepersonal.

Zurzeit sind sie der unterbezahlte limitierende Faktor, der bestimmt wie viel eine Klinik noch leisten kann, erklärt der Pfleger: „Also teilweise sind morgens im Frühdienst mehr Ärzte im Dienst als Pflegepersonal“. Über die Bezahlung kann er sich nur ärgern, auch wenn er insgesamt besonders die Missstände bei den Arbeitsbedingungen hervorhebt. Trotzdem seien besonders die Löhne im Vergleich zu anderen Berufsgruppen – und auch dem Ausland – für ihn nur schwer zu akzeptieren. Gerade in einer alternden Gesellschaft gebe es schließlich einen eigentlich steigenden Bedarf an qualifizierten Pflegekräften.

Deren Beitrag für das Gesundheitssystem werde aber oft dramatisch unterschätzt, findet Michael. Normalerweise ist Pflegepersonal für die Dinge zuständig, die sie zurzeit kaum leisten können. Die aber entscheidend sind, sollen die Patient:innen in möglichst gutem Zustand wieder entlassen werden.

Sein Ziel ist es, Menschen lebend durch die Schicht zu bekommen.

Pflege, das müsse mehr sein, als sicherzustellen, dass die nötigen Medikamente richtig durch die Infusionen fließen und die Patient:innen regelmäßig umgelagert werden, bevor Druckstellen entstehen, findet Michael. Normalerweise gehöre eine längere Perspektive dazu, darauf, wie die Menschen die Intensivstation wieder verlassen. „Momentan gehe ich aus der Schicht raus und merke, mein Ziel war vor allem, die Menschen lebend durch die Schicht zu bekommen“, erzählt er.

Zusätzliche pflegerische Maßnahmen wie eine Mobilisation mit speziellen Vorrichtungen, was die Auswirkungen des langen Liegens reduziert, das sei kaum mehr möglich, genau wie zusätzliche Physiotherapie, die vor allem nach einer Beatmung wichtig ist.

Dazu kommt die Unsicherheit, was geschieht, wenn doch etwas passiert, berichtet der Pfleger und urteilt scharf: „Das ist meiner Meinung nach Patientengefährdung!“

Menschen sterben auf den Gängen.

In den Stationen sind nicht nur Pfleger:innen, Ärzt:innen und die Patient:innen – dort steht auch noch ein Telefon, das die dünne Personaldecke jederzeit ganz sprengen kann. Zu besonders schweren Notfällen, die Reanimation erfordern, werden die Intensivspezialisten hinzugezogen. „Wenn bei uns das Telefon klingelt, gehen wir da natürlich hin mit den Ärzten, dann sind nochmal zwei Pflegende weg. Wenn dann noch ein Patient zum Beispiel auf unserer Station reanimationspflichtig wird – und wir sind eine Intensivstation mit kritischen Patienten das kommt öfters mal vor, dann…“

An dieser Stelle zögert er und ergänzt dann nur:

“…dann sieht es düster aus.”

Er ärgert sich auch über die zuständigen Stellen im Haus, die nicht versucht haben, die Flucht des Personals noch zu verhindern. Auch wenn sie natürlich kein Geld für bessere Bezahlung herbeizaubern können. Ironischerweise verschärft sich das Problem der Unterfinanzierung selbst. So werden beispielsweise Schlaganfallpatient:innen bereits früher aus der Intensivstation wegverlegt. 

Eigentlich sollten sie in der Stroke Unit für 72 Stunden beobachtet werden, dafür bezahlt die Krankenkasse. Sind die Patienten allerdings bei akuter Raumnot stabil genug, bleibt den Pfleger:innen nichts anderes übrig als sie auf Normalstation zu bringen. Schlecht für die Patient:innen und die Kasse des Klinikums, die dadurch den Anspruch auf die Kompensation für die ordnungsgemäße Versorgung der Betroffenen verlieren. Genauso, wenn den Pflegenden in der Eile die Zeit für die Dokumentation fehlt oder diese fehlerhaft ist – dann erstatten Krankenkassen teilweise die Beträge nicht. 

Kommen doch neue Notfälle an, müssen diese im Zweifel trotz knappen Personals behandelt werden, als Reaktion bleibt den Pflegerinnen und Pflegern nur eines übrig, um die Situation wieder zu entspannen: „Das ist dann ein riesiges Heck-Meck, nebenherzuschauen, welchen Patient kann ich jetzt verlegen.“ Umgekehrt war das Krankenhaus, in dem Michael arbeitet, aufgrund vergleichsweise niedriger Inzidenzen in der Region, auch Ziel der Verlegung von Corona-Patient:innen.

Aus dem damals überlaufenden Krankenhaus kam allerdings niemand lebend in Michaels Krankenhaus an, die Menschen starben auf den Gängen. Ob sie hätten gerettet werden können, wäre ausreichend Personal für die Versorgung vor Ort da gewesen, darüber möchte er nicht spekulieren. Aber für möglich hält er es.

Die besonderen Schutzmaßnahmen rund um die Corona-Patient:innen bremsen die Arbeit zusätzlich.

So versuchen die Pflegenden das Ein- und Ausgehen in den Corona-Bereich inklusive des aufwendigen An- und Ablegens der Schutzkleidung auf ein Minimum zu beschränken. Pflegerinnen und Pfleger bleiben dann für längere Zeit im entsprechenden Bereich und nehmen Vorräte an benötigtem Material mit. Denn jedes Mal, wenn die kontaminierte Schutzkleidung gewechselt wird, bedeutet das auch für sie eine gewisse Infektionsgefahr, auch wenn die Kleidung in der Regel gut schütze.

Das Problem als eine Folge der Corona-Situation zu bezeichnen, lehnt er allerdings kategorisch ab. Schließlich habe das Virus nur die Probleme, die sowieso schon bestanden, verschlimmert. Was bisher still und weitgehend unbeachtet noch funktionierte, stand plötzlich vor dem Zusammenbruch.

Aber das Corona-Virus hat die Gehälter der Pflegenden nicht zusätzlich schrumpfen lassen, ihre Lobby nicht zum Schweigen gebracht und die Anerkennung in der Bevölkerung für den Beruf zerstört.

Pflegerinnen und Pfleger sind nicht erst seit gestern chronisch unterbezahlt.

Die Pflegerinnen und Pfleger waren schon zuvor unterbezahlt, konnten sich nur schwer eine Lobby verschaffen und wurden mit ihrer Berufswahl von manchen nicht ernstgenommen, als „Popoabwischberuf“, so bezeichnet es Michael scherzhaft, obwohl er nicht wirklich darüber lachen kann. 

Seine erste Forderung ist die nach einer Pflegekammer. Hier sollten sich die Pflegenden wie andere Berufsgruppen organisieren können und ihre Interessen koordinieren. Von der Ausbildung bis zu den konkreten Arbeitsbedingungen. Allerdings findet diese Idee wenig Unterstützung. Die Gewerkschaften fürchten die Konkurrenz einer solchen Stelle, glaubt Michael. Und auch die Politik sieht deren Einrichtung zurzeit nicht vor. Auf die aktuelle Bundestagswahl und die neue Regierung hatte er gehofft und ist nun von ihr enttäuscht: „Ich hab´ echt darauf gewartet, dass zur Wahl Beiträge dazu kommen, was in der Pflege geändert werden soll.“ In den Wahlprogrammen fand er dann allerdings wenig, was sich mit seinen Eindrücken aus dem Klinikalltag vereinbaren lässt.

Was ist von zwei Wochen Applaus für die Pflegekräfte geblieben?

Michael weiß keine Antwort.

Selbst die Tatsache, dass Menschen, die den Bedarf nach Pflege bisher weit von sich schieben konnten, plötzlich mit etwas Pech auf die Pflegenden angewiesen sein könnten, scheint das Thema nicht dauerhaft in der Öffentlichkeit zu verankern.

Anders sehe es bei einigen aus, wenn sie den Alltag vom Klinikbett aus erleben: „Viele wissen gar nicht, was bei uns so abgeht, dann kommen sie ins Krankenhaus und sagen: ´ich sehe jetzt, wieviel ihr zu tun habt und wie schrecklich das ist`. Die haben dann eine Erleuchtung – den Sinneswandel finde ich eigentlich gut.“ Nur sei es eben schöner, wenn die Menschen dafür nicht erst in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssten. 

“Ich kann etwas tun und im Zweifel Menschen das Leben retten.“

Doch egal, wie sehr er die Flucht der Kolleg:innen auch verstehen kann und sich über die Arbeitsbedingungen ärgert – der Beruf bleibt für ihn sein Traumberuf. Menschen, die sich für den Beruf begeistern können und auch geeignet sind, gebe es genug – Nur würden seiner Beobachtung nach zu viele durch die Bedingungen im späteren Berufsalltag, nach ersten guten Erfahrungen beispielsweise in Praktika, wieder abgeschreckt. Darüber, wie vielseitige Dinge über Medizin und den Menschen er in den drei Ausbildungsjahren – und auch danach gelernt habe, gerät er regelrecht ins Schwärmen. Besonders, da das Wissen ja direkt große Konsequenzen haben kann: „Egal, ob ich durch die Stadt laufe und dort gibt es einen Notfall oder in der Klinik – ich kann etwas tun und im Zweifel Menschen das Leben retten.“

*Name von der Redaktion geändert

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