Kontroverse – Mobilität in Konstanz
Es war eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt 2020: Wie sieht der Verkehr der Zukunft aus? Einig war man sich, dass der Autoverkehr reduziert, die Fahrradinfrastruktur gefördert werden sollte. Unklar war hingegen, wann solche Maßnahmen greifen würden. Und wie weit man gehen möchte. Wollten die einen die Altstadt komplett autofrei machen, fürchteten sich andere um den Einzelhandel, der womöglich in einer autofreien Stadt unattraktiver werden könnte.
Wenn wir auf das Auto verzichten sollen, dann braucht es Alternativen. Konstanz ist eine Stadt der Einkaufs-Tourist:innen, der Student:innen und der Rentner:innen. Eine Stadt also, die ein ausgereiftes Mobilitätsprogramm benötigt, welches ermöglicht, dass auch in Zukunft Menschen einkaufen gehen und die Älteren mobil bleiben.
Keine einfache Aufgabe, denkt man an den durch Corona, Energiekrise und fehlender Industrieleistung ohnehin gebeutelten Haushalt. Trotzdem eine Erstrebenswerte. Wer groß denkt, bewältigt große Aufgaben.
Zur Universität ohne Auto
Wie könnte ein solches Mobilitätskonzept aussehen? Ganz offen träumt der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt von einer Seilbahn, die den Gießberg überwindet. Von der man also aus Petershausen zur Universität und dann womöglich weiter zur Mainau kommen könnte. Ein interessanter Vorschlag, der doch die drängendsten Fragen nicht zu lösen scheint. Die Vorstellung, erzählen zu können, man fahre morgens mit der Seilbahn zur Universität, würde sicherlich zu dem einen oder anderen Schmunzeln führen.
Bei der Universität gibt es tatsächlich ein ernsthaftes Problem: Der Parkplatz Nord wird als Parkfläche wegfallen und durch das Max-Planck-Institut bebaut werden. In wenigen Jahren wird der Standort, den wir früher mit dem Campus-Festival in Verbindung gebracht haben, ein Ort der Forschung sein. Auch hier wird es Tiefgaragen geben, die allerdings bei weitem nicht die Kapazität des jetzigen Parkplatzes auffangen können. Dass das kein Problem sei, wurde mit einer Umfrage begründet, die zeigt, dass das Auto mehr und mehr durch das Fahrrad ersetzt wird. Im Kampf gegen den Autoverkehr könnte man diese bauliche Maßnahme also als einen Erfolg werten – wenn auch nur ein kleiner, da ja dennoch Tiefgaragen gebaut werden. Und mehr noch: Schaut man heute auf die Website der Universität zum Bebauungsplan, so steht dort, dass für „ausreichend Ersatz“ gesorgt werden wird.[1]
Der Bus als Alternative
Was ist aber mit all jenen, die nicht Fahrrad fahren können, etwa durch körperliche Beeinträchtigung? In diesem Fall gibt es den die Stadtwerke, die dank sechs neuer Elektrobusse im April 2022 noch umweltfreundlicher geworden sind. Sie haben sich verpflichtet, pro Jahr vier weitere Elektrobusse anzuschaffen. Doch auch ohne Elektroantrieb ist der Pro-Kopf-Verbrauch eines Busses sehr viel besser als der eines Autos.
Nur manchmal ist der Bus zu Stoßzeiten etwas überfüllt, oder fährt – wie im Fall der Linie 9B – nicht unbedingt den schnellsten Weg, wenn man zur Universität möchte. Doch für diejenigen, die mit der 9B fahren, gibt es einen kleinen Trost: Einen Podcast mit dem Titel „9B“[2], der genau so lange geht, wie die Fahrt in diesem Bus dauert.
Denkt man weiter, so erscheint der Bus als Fortbewegungsmittel aber inkonsequent: Die Infrastruktur, die er nutzt, ist dieselbe, die auch die Automobile nutzen – es sind die Straßen.
Utopie – brauchen wir Asphalt?
Wie sieht eine Stadt ohne Straßen aus? Welche Chancen würden sich für die freiwerdende Fläche ergeben? Könnte man auf alle Straßen verzichten, würde sich eine Fläche unvorstellbaren Ausmaßes auftun, die für viele Menschen im Moment völlig ungenutzt ist. Und zwar in krassester Weise: Würde man alle Straßen durch tiefe Gräben ersetzen, so wäre der Unterschied für jemanden, der nicht Auto oder Bus fährt, kaum spürbar. Wer versucht hat, die Max-Stromeyer-Straße zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu überqueren, weiß, dass ein tiefer Graben einfacher wäre.
Was für unendliche Möglichkeiten, die sich hier auftun. An der Laube könnte auf dem Mittelstreifen ein lebhafter Ort voller kleiner Geschäfte entstehen, so wie man es von den „Las Ramblas“ in Barcelona kennt. Anstelle des Sternenplatzes könnte eine Parkanlage mit Spielplatz entstehen, die Max-Stromeyer-Straße könnte endlich sicher überquert werden. Eine Stadt voller Leben also. Eine Stadt, die durch eine solch hohe Lebensqualität noch mehr Gäste zum Flanieren und Einkaufen anlockt. Die durch die verkehrsverändernden Maßnahmen den Einzelhandel nicht schwächt, sondern stärkt.
Straßenbahnen als Alternative
Die Alternative zu asphaltierten Straßen ist die Schiene. Ganz auf den motorisierten Verkehr wird man in absehbarer Zeit nicht verzichten können, etwa für die Anlieferung des Einzelhandels oder privater Bestellungen. Und auch Handwerker müssen ihr Ziel erreichen können, während sie alle wichtigen Materialien vor Ort transportieren.
Lebenswerte Straßen könnten so aussehen, wie die in großen Teilen der Altstadt: Im Wesentlichen ohne Auto und Bus, nur in Ausnahmefällen fährt ein Auto in Schrittgeschwindigkeit vor. Ein solches Konzept für ganz Konstanz einzuführen, braucht aber eine zuverlässige Transportmöglichkeit für Personen – eine Straßenbahn oder Tram.
Tatsächlich ist die Straßenbahn in Konstanz nichts Neues, etwa fährt – wie man auf einer Postkarte sehen kann[3] – ab 1927 eine Straßenbahn zum Kreuzlinger Hafen über die Marktstätte. Und auch heute werden Pläne geschmiedet: Mit der Agglo-S-Bahn Konstanz-Kreuzlingen soll der Seehas bis 2030 zum Kreuzlinger Hafen fahren, darüber hinaus soll es einen weiteren Halt am Sternenplatz geben.[4]
Umsetzbarkeit
Für die Agglo S-Bahn werden bis 2030 etwa 50 Millionen Euro investiert werden müssen, für einen weiteren Ausbau in die Schweiz sind weitere 158 Millionen Euro eingeplant[5]. Daran sieht man, dass Investitionen in die Schieneninfrastruktur kostspielig sind. Der Aufbau einer größeren Infrastruktur für die Stadt scheint damit in unerreichbare Ferne verlegt.[6] Ganz besonders in den schweren Zeiten zwischen Corona, Energiekrise und Klimawandel, in der Geld an allen Stellen gebraucht wird.
Es werden aber auch wieder andere Zeiten kommen. Und für diese besseren Zeiten dürfen wir träumen.
„Wenn wir kein Geld haben, dann brauchen wir wenigstens gute Ideen.„
Oskar Lafontaine[7]
Niederflurbahn im Norden?
Bahnhof, Petershausen, Fürstenberg, Wollmatingen: Durch den Seehas sind diese Haltestellen gut an einen S-Bahn-Verkehr angeschlossen. Doch was ist mit der Stadtfläche, die weiter im Norden liegt? Auf der Website „www.linieplus.de“, auf der Vorschläge zum öffentlichen Personennahverkehr gesammelt werden, wird darüber eifrig debattiert.[8] Hier findet man etwa ein Konzept einer Niederflurstraßenbahn, die mit 27 Haltestellen von Dettingen über Wallhausen, Dingelsdorf, Litzelstetten und Egg bis nach Bottighofen fahren soll. Weitere Haltestellen befinden sich etwa an der Mainau und in Staad. Andere schlagen vor, diese Verbindung nur von der Altstadt bis nach Staad anzubieten. Die Diskussion scheint sehr versiert – es werden auf verschiedene Details bei der Umsetzung hingewiesen, etwa der Krümmungsgrad enger Kurven in Dettingen. Der Kostenpunkt bei diesem Vorschlag ist leider nicht bekannt.
Weitere Ideen
Bei der Vorstellung, wo man überall Straßenbahnen einsetzen kann, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Auch eine unterirdisch fahrende Bahn scheint attraktiv, da sie in diesem Fall so gut wie keinen Platz von der oberirdischen Fläche einnimmt. Doch bis die Umsetzbarkeit solcher Projekte realistisch erscheint, können wir träumen; und sogar noch mehr tun. Denn jeder Weg, den wir statt mit dem Auto zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Bus zurücklegen, ist einer, der sowohl der Umwelt als auch der Lebensqualität in Konstanz zugutekommt. Solange es keine Straßenbahnen gibt, bleibt der Bus eine gute Beförderungsmöglichkeit, die unbedingt genutzt werden sollte.
[1]https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/themen-schwerpunkte/bebauungsplan-verfahren/faq/
[2]Siehe etwa: https://streaming.uni-konstanz.de/podcast-9b/
[3]https://www.akpool.de/ansichtskarten/29321469-ansichtskarte-postkarte-konstanz-am-bodensee-probefahrt-der-strassenbahn-konstanz-kreuzlingen-1927
[4]https://de.wikipedia.org/wiki/S-Bahn_Konstanz-Kreuzlingen
[5]Die Machbarkeitsstudie findet man hier: https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E588865834/konstanz/Dateien/Stadt%20gestalten/ASU/Verkehr/Zusammenfassung_Endbericht-Agglo-S-Bahn_SMA.pdf
[6]Genauere Analysen zu einer möglichen Finanzierung findet man hier: https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E918190674/konstanz/Dateien/Stadt%20gestalten/ASU/Verkehr/NVP_Konstanz_2015.pdf
[7] 888 Weisheiten und Zitate für Finanzprofis, ISBN 9783834906922, Seite 52, Verlag Springer
Wo ist der Beweis, dass es tatsächlich eine Straßenbahn von Konstanz nach Kreuzlingen gab. Es gibt nur eine Postkarte und sonst nichts. Auch bei der Straßenbahn in Waldshut gibt es nur eine Postkarte und der Hinweis auf eine mögliche Fotomontage.