Erasmus während einer Pandemie – geht das überhaupt? Mit dieser Frage mussten sich die Bewerber:innen für das Auslandssemester 2021/22 wohl oder übel auseinandersetzen. Das vorangegangene Jahr hatte nicht allzu viele Hoffnungen auf einen „normalen“ Erasmusaufenthalt geschürt. Mit der Aussicht auf möglicherweise ein weiteres Online-Semester, in dem der Schreibtisch in meinem WG-Zimmer gefühlt meinen Lebensmittelpunkt darstellt, habe ich mich trotzdem beworben: Sechs Monate an der Karlsuniversität in Prag, das war meine Wahluni, die mir einige Zeit später auch bestätigt wurde.
Ahoj Prag!
Mein Leben in Konstanz, mit Ach und Krach in zwei Koffer und einen Rucksack verpackt, hatte wenig mit dem Winter zu tun, den ich in Prag verbracht habe. Die ersten drei Wochen nach meiner Ankunft waren gefüllt mit Stadterkundungen und dem Tschechisch-Intensivsprachkurs, den ich belegt hatte, um mir wenigstens einige Grundlagen der Landessprache anzueignen. Dort hatte ich auch schon die Gelegenheit, meine Erasmus-Mitstudierenden kennenzulernen und erste Freundschaften zu schließen, die mich über das gesamte Semester hinweg begleitet haben. Direkt im Anschluss startete dann mein Studium an der Faculty of Humanities, der Partnerfakultät des Konstanzer LKM-Studiengangs.
Corona – Gibt’s das überhaupt noch?
Von Covid-19 war vor allem in den ersten drei Monaten wenig zu spüren: Erst im Dezember wurde die Maske im Präsenzunterricht zur Pflicht, was allerdings eher durch einige Studierende als durch die Fakultät selbst durchgesetzt wurde. Abgesehen von der Vorweihnachtszeit bis Neujahr blieben hier, was Kultureinrichtungen, Bars und Klubs betraf, keine Wünsche offen. Das Bewusstsein, dass uns nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen würde, um uns und die Stadt kennenzulernen, hat unsere Unternehmungslust enorm beflügelt. Fast jeder Tag war vollgestopft mit Café- und Museumsbesuchen, Ausflügen in die umliegenden Städte und Länder, mehr oder weniger spannenden Unikursen und natürlich dem Prager Nachtleben.
Prag – das Tor zum Osten
Einige Erlebnisse sind mir besonders im Gedächtnis geblieben, so zum Beispiel ein Wochenendtrip nach Brno, der zweitgrößten Stadt Tschechiens. Mit der ISIC-Card kostet die Busfahrt dorthin inklusive kostenlosem Kaffee umgerechnet zwei Euro, und der Wochenmarkt, die Aussichtstürme und die Burg waren die etwa dreistündige Reise absolut wert. Auch Karlsbad, Krumau und Pilsen waren wie gemacht für einen Tagesausflug, wenn wir dem Trubel der Großstadt für eine Weile entkommen wollten. Das Highlight war dann eine mehrtägige Reise durch Österreich nach Slowenien und Italien, die wir zu acht in einem gemieteten VW-Bus unternommen haben. Nach den letzten beiden Jahren relativer Ausflugs-Abstinenz war es umso eindrücklicher, innerhalb kürzester Zeit Städte wie Graz, Ljubljana oder Triest besuchen zu können.
Meine (nicht sehr geheimen) Geheimtipps
In Prag selbst ist es selbst nach sechs Monaten immer noch möglich, jeden Tag neue Bars und Cafés zu entdecken, und als LKM-Studentin haben mir die verschiedenen Museen und Kultureinrichtungen spannende Nachmittage beschert. Unter anderem das Kampa-Museum, die Dog Bar (Vzorkovna), Hany Bany und das Etapa im schönen Stadtteil Karlín waren immer einen Besuch wert. Das ist aber nur eine Auswahl aus den endlosen Möglichkeiten, die die Stadt zu bieten hat.
Prüfungszeit ist Kaffeezeit
Natürlich gab es auch hier eine Klausurenphase, die bei mir aber eher zu einer Hausarbeitenphase mutiert ist: Da einige Lehrende kurzfristig ihre Prüfungsformen geändert haben, stand ich am Ende vor der Aufgabe, vier Hausarbeiten innerhalb eines Monats schreiben zu müssen. Da hat sich der Dezember mit seinen strengeren Corona-Regelungen natürlich angeboten, und zusammen mit meinen Mitstudierenden haben wir auch diese etwas anstrengendere Zeit in den Kaffeehäusern Prags gut gemeistert. Belohnt wurden wir aufgrund der variierenden Englischkenntnisse unserer Dozent:innen mit Bestnoten, die in Massen verteilt wurden, aber natürlich trotzdem absolut verdient waren. Nach der letzten Abgabe blieben mir dann noch circa zwei Monate Freizeit, die ich für weitere Reisen, einen (durch eine Covid-Infektion abgekürzten) Skiurlaub und eine ganze Menge Abschiedsfeiern genutzt habe.
Von meinem ersten Auslandsaufenthalt nach dem Abitur war mir noch im Gedächtnis, wie schnell man in einer Situation wie der im Erasmus Freundschaften schließt. Man befindet sich in einer fremden Stadt, spricht die Sprache nicht und hat, im Falle meines Jahrgangs, zum ersten Mal wieder die Möglichkeit, das eigene Leben relativ frei nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auch diesmal hat es sich absolut gelohnt, sich in dieses neue Leben zu stürzen. Meine Prager Freund:innen und all das, was ich zusammen mit ihnen erleben durfte, werden mir immer bleiben.