Die Masterarbeit: Ein Prozess

Jede:r von uns kennt sie: Abschlussarbeiten. Am Anfang des Studiums scheinen sie noch in weiter Ferne zu liegen. Im Masterstudium hat man kaum ein Jahr studiert, schon springt einem diese Abschlussarbeit entgegen, wie eine lästige Klette. Noch dazu kann dies auch eine große Umstellung sein: Während man an einigen Universitäten bis zu sechs Monate Zeit für eine Bachelorarbeit hat, sind es im Master plötzlich nur noch vier. Unsere Chefredakteurin sitzt gerade selbst an ihrer Masterarbeit und nimmt euch mit durch ihre verschiedenen Phasen der Verzweiflung, Hochgefühl und fehlendem Antrieb.

Phase 1. Verdrängung

Am Anfang des Sommersemesters dachte ich mir noch seelenruhig: „Ach ja, das richtige Thema zu finden hat noch ganz viel Zeit, erstmal das letzte Semester hinter mich bringen!“ Dadurch, dass ich drei Viertel meines Masterstudiums während Corona zugebracht hatte, war ich einfach nur froh, wieder Freunde zu treffen und rausgehen zu können. Meine letzte Hausarbeit habe ich Mitte März abgegeben, danach wollte ich entspannen. Aber wie das bei uns Studierenden ist, verliert man doch ab und an die Zeit aus den Augen. Dann ist es bereits Mitte April und das neue Semester hat begonnen. Eine grobe Richtung für mein Thema hatte ich bereits, aber mich einfach hinzusetzen und mal ein bisschen genauer darüber nachzudenken war einfach nicht verlockend. Sprich, mit dem Gedanken „Ach, ich habe ja noch genügend Zeit!“ habe ich die Themenfindung immer mehr vor mir hergeschoben.

Phase 2. Motivation

Ich habe sehr viel Glück, dass ich ein Kolloquium belege, in dem wir sehr gezielt jede Woche einen Teil der Arbeit besprechen und uns anschließend über unsere eigenen Themen austauschen können. Mal besprechen wir die Fragestellung, mal die Literaturübersicht bis hin zu den Hypothesen. Ich merke: „Hey! So ein Feedback jede Woche zu meiner Arbeit ist gar nicht schlecht!“ Ich spüre, wie ich langsam aber sicher motivierter werde, um mich mit meiner Arbeit weiter auseinanderzusetzen. Mein Thema schwebt mir nun klarer vor Augen: Der UN-Sicherheitsrat und dessen mögliche Reformen. Ein Thema, mit dem ich mich eigentlich schon seit Beginn meines Masterstudiums auseinandersetze, aber noch nie so richtig greifen konnte. Also mache ich mich wie eine fleißige Biene auf und wälze Literatur um Literatur, um meinem Thema näherzukommen. 

Phase 3. Verzweiflung

Hey, der Literaturüberblick hat sehr viel ergeben! Nämlich einen großen Berg an Forschung, die bereits gemacht wurde. Für mich fühlt es sich nun an, wie die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Was kann ich denn noch untersuchen, was nicht schon gemacht wurde? Vor lauter Recherche raucht mir der Kopf und ich will einfach kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Also gehe ich zu meiner Betreuerin in die Sprechstunde und erhoffe mir durch ein Gespräch mehr Klarheit. „Sie müssen Ihre Forschungslücken noch genauer benennen“, erklärt sie mir. Ja, das ist ein guter Tipp, wenn ich selbst wissen würde, welche Forschungslücken sich nun ergeben würden nach meinem Literaturüberblick. Also wälze ich weiter Journalartikel und Aufsätze bis mir die Zeilen vor den Augen verschwimmen. Ich weiß einfach nicht mehr wo oben und wo unten ist…

Phase 4. Hochgefühl

Diese Forschungslücken zu finden, ist gar nicht einfach gewesen. Aber ich habe es geschafft, vier verschiedene interessante Forschungsfragen aus ihnen abzuleiten. Jetzt muss ich mich nur noch für eine entscheiden. Komischerweise fällt mir das leichter, nachdem ich mich auch schon mit der möglichen Umsetzung beschäftigt habe. Das Gefühl, nun mein Thema richtig eingegrenzt zu haben, beschwingt mich. Endlich ein Durchbruch! Die weitere Recherche nach einer geeigneten Theorie, guten Hypothesen und Forschungsdesign scheint leichter zu fallen. Nachdem ich endlich weiß, wonach ich suchen muss, ist das Formulieren nicht nur einfacher, sondern scheint in sich auch schlüssig zu sein. Ein gutes Gefühl zu wissen, dass man auf dem richtigen Weg ist!

Phase 5. Antrieblosigkeit

In dieser Phase befinde ich mich gerade. Nach zwei Monaten habe ich mein Thema, Forschungsfrage, Hypothesen, Forschungsdesign und Daten gefunden. Ich habe bereits das meiste für mein Exposé zusammengetragen, immer mal wieder umformuliert und angepasst. Auch meine Daten habe ich schon erhoben. Aber letzte Woche sollten wir dann im Kolloquium einen Zeitplan erstellen. Und auf einmal ist mir bewusst geworden, dass da doch noch ein ganzer Batzen an Arbeit auf mich wartet. Datenauswertung und -analyse, Rohfassung schreiben, Überarbeitung, Korrekturlesen. Und dann sind da noch meine anderen Verpflichtungen: Eine Abgabe in einem anderen Seminar, für die Campuls den nächsten Monat planen, mein Nebenjob, ein Blockseminar und irgendwie kriege ich ab Juli jedes Wochenende Besuch. Plötzlich tut sich vor mir ein großes Loch auf…

Warum ist das so, wenn man eigentlich einen Haufen zu tun hat, dass man dann noch langsamer, noch träger wird? Der Zeitplan leuchtet wie ein Warnschild: Es wartet noch so viel Arbeit! Und dass ich nicht mal die Hälfte dieser Abschlussarbeit hinter mir habe. Dass ich eigentlich erst die Vorarbeit geleistet habe und doch bis Ende des Semesters die Arbeit fertiggeschrieben haben möchte. Denn im Herbst wartet schon mein Praktikum auf mich, und inwiefern ich beides gleichzeitig unter einen Hut kriege, ist eher unwahrscheinlich. 

Phase 6. Klarheit

Eigentlich bin ich gut organisiert und habe ein gutes Gefühl, wie ich am besten meine Dinge zu erledigen habe und Studium, Nebenjobs und Freizeit vereinbaren kann. Aber auch ich gelange manchmal an den Punkt, an dem alles aussichtslos erscheint. Dann fühle ich mich, als hätte ich nichts geschafft. Als wäre ich unproduktiv, erfolglos. Aber dann sage ich mir, dass nicht jeder Tag perfekt gelingen kann. Denn auch wenn es sich anfühlt, als würde mein Leben momentan nur aus dieser einen Abschlussarbeit bestehen, sollte man die kleinen Dinge nicht vergessen. Während ich das hier schreibe, beschließe ich an den See zu gehen. Morgen ist auch noch ein Tag. 

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