In ferne Länder zieht es mich seit Jahren und ich verbringe meine Freizeit am liebsten mit Reisen. Dass ich trotzdem nie Interesse an einem Auslandssemester gehegt habe, haben die Wenigsten verstanden – mir inklusive. Während alle meine Freund:innen kamen und gingen, stand für mich fest: Ich möchte das nicht. Trotzdem habe ich mich vergangenen Winter aus Langeweile zusammen mit zwei Freunden für das Erasmus Plus Programm beworben. Schließlich hatten doch alle im Ausland immer eine so gute Zeit und ich bin es gewöhnt lange Zeit nicht Zuhause zu sein. Es gab keine logischen Gründe mich nicht zu bewerben. So kämpfte ich mich durch den in meinen Augen viel zu umständlichen Bewerbungsprozess. Ich habe mich effektiv nur für zwei Universitäten beworben, eine in Istanbul, die andere in Dublin. Entweder wollte ich dahin oder nirgendwohin. Tatsächlich erhielt ich nach einigen Monaten, in denen ich meine Bewerbung bereits verdrängt hatte, die Zusage der Yeditepe Üniversitesi in Istanbul.
Wenn mir etwas am Herzen liegt, kümmere ich mich noch vorgestern darum. Das ich bis eine Woche vor meinem Hinflug immer noch keine Unterkunft hatte und auch aufgrund nicht vorhandener Organisation beider Seiten mehr als eine Woche zu spät in Istanbul landete, waren nicht die ersten aber die deutlichsten Indikatoren unter welchem Stern dieses Semester stehen würde. Erzähle ich jedoch anderen von meinen Erfahrungen freuen sie sich für mich: Bereits an meinem ersten Tag habe ich die Menschen kennen gelernt mit denen ich das ganze Semester über zusammen geblieben bin. Gemeinsam haben wir Istanbul erkundet und später auch die ganze Türkei. Sogar Georgien und Griechenland habe ich danach noch mit anderen oder allein bereist. Durch meine gut durchdachte Kurswahl, die mich jedoch wochenlang Nerven sowie hin und her Gerenne gekostet hat, hatte ich nur eine drei Tage Woche, sodass ich mich nicht nur einleben, sondern auch einiges erleben konnte. Dies war auch dank der diversen Erasmus-Student-Network-Events möglich, die mich immer wieder aus meiner ermüdeten Starre in meiner WG geholt haben. Nicht nur kulturell, auch kulinarisch haben es die Türkei und ihre Bewohner:innen geschafft mich zu verzaubern. Mit meinem gebrochenem Türkisch habe ich mich nicht nur davor bewahrt finanziell in Läden sowie auf der Straße betrogen zu werden, sondern habe mir auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeiten und Gastfreundschaft gesichert. Selten wurde ich wohin ich auch ging so herzlich aufgenommen.
Persönliche Erfahrungen
Wer ein Erasmus-Semester in Istanbul besonders an der Yeditepe Üniversitesi absolviert, sollte sich jedoch im Vorhinein einiger Punkte bewusst sein. Das Lehrsystem unterscheidet sich stark von unserem und die Produktivität oder Motivation der Studierenden liegt im Keller. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass es sehr einfach war überall eine 1,0 zu erhalten. Wer wirklich etwas lernen möchte, ist hier falsch – wer seinen Schnitt aufbessern möchte, ist jedoch goldrichtig. Dazu kommt, dass Istanbul mit seinen fast 16 Millionen Einwohner:innen gigantisch ist. Egal wie lange man dort lebt, es ist unmöglich alles gesehen zu haben. Besonders am Anfang fühlen sich die Meisten dort von der Endlosigkeit der Stadt und seiner Menschenmassen erschlagen. Auch die Verehrung des Gründers der Türkei wie wir sie heute kennen ist anfangs gewöhnungsbedürftig und weckte eher negative Konnotationen, die mich zwangsläufig mehr über die Verantwortung der Deutschen gegenüber ihrer Geschichte haben nachdenken lassen. Es ist befremdlich zu sehen, wie wir Deutschen uns vom politischen Personenkult distanziert haben, aber dennoch einen steigenden Rechtsruck erfahren. Über der Universität wacht Atatürks Porträt, jedes zweite Auto hat seine Unterschrift aufgedruckt und seine wachsamen Augen hängen in fast jedem Restaurant und Hotel. Obwohl Atatürk für ganz andere Werte stand – Europäisierung, Modernisierung, Gleichberechtigung und Demokratie – als es die aktuelle türkische Regierung tut, ist es schwer keine Verbindungen zwischen all dem aktuellen Leid und einer fast schon blinden Verehrung herzustellen.
Wundervolles Land, schwierige Zeiten
Dieses Leid zeigt sich besonders deutlich in der von Experten auf fast 200 Prozent geschätzten Inflationsrate. Verlässt man den Prunk der Einkaufszentren, muss man Istanbul nicht einmal gegen ländlichere Regionen tauschen, um zu sehen, was die aktuelle Wirtschaftslage mit den Menschen macht. Dazu kommen auch noch die ständigen politischen Unruhen. Da ich im Zentrum von Kadıköy auf der anatolischen Seite rechts vom Bosphorus gelebt habe, habe ich wöchentliche Proteste zu den verschiedensten Themen mitbekommen. Diese wurden egal wie klein oder groß sie waren, von einer unproportional großen Polizeianzahl begleitet, dass mir bei der Sicht auf die großen Schusswaffen regelmäßig unwohl wurde. Nicht selten musste ich einen Nachhause Umweg wählen, weil ich ansonsten direkt durch eine großflächig abgesperrte Demonstration hätte laufen müssen. Wie radikal und diktatorisch angelehnt die Politik Erdoğans ist, habe ich selbst am Tag des 13. November nachdem Anschlag auf die İstiklal Caddesi erlebt. Nur wenige Minuten nach dem Attentat verhängte die türkische Regierung eine absolute Nachrichtensperre. Mitten im Satz mussten Nachrichtensprecher:innen ihre Berichterstattung beenden, die sozialen Medien inklusive Whatsapp waren ohne VPN im Ausland nicht mehr zu nutzen. Ohne die VPN der Uni Konstanz hätte ich niemanden mitteilen können, dass es mir gut ging. Denn es ist nur einem Zufall zu verdanken, dass ich an diesem Tag anders als geplant nicht auf der bekanntesten Straße Istanbuls unterwegs war. Nur wenige Monate später erschütterten die Erdbeben das syrisch-türkische Grenzgebiet und erneut zeigte sich die Unfähigkeit der Regierung. Da ich auch kurz zuvor in dieser Region unterwegs war, weiß ich nicht nur wie der Landstrich vor dem Erdbeben aussah, es schmerzt mich das dort vorherrschende Leid zu sehen und durch Freunde indirekt betroffen zu sein. Auch die Sorge, um diejenigen die in Istanbul leben, ist seitdem gestiegen. Denn ein solches Erdbeben wird dort immer wahrscheinlicher.
Die Stadt auf zwei Kontinenten und das Land selbst hat es nicht einfach. Je mehr ich über all diese Situationen und Probleme lerne, desto nichtiger kam mir mein negatives Gefühl während dem Erasmus-Semester vor. Dabei ist es wichtig anzuerkennen, dass es immer etwas gibt, dass schlimmer ist als das eigene Leid. Das bedeutet jedoch nicht, dass die eigenen Umstände deshalb nicht weniger ernst genommen werden sollten. Das ständige Vergleichen mit anderen Erasmusstudierenden ist nicht hilfreich. Man sollte immer auf sich hören, besonders wenn es um die eigene mentale Gesundheit geht. Deshalb gibt es für Studierende, die sich gerade oder in Zukunft in einer ähnlichen Situation befinden genauso wie für die heimischen Studierenden die Psychotherapeutische Beratung durch Seezeit.
Es ist wichtig sich um sich selbst zu kümmern und sich nicht von den dunklen Schatten, die die Welt manchmal wirft, begraben zu lassen. Doch genauso wichtig ist es anzuerkennen, dass es auch dunkle Krisensituationen im eigenen Leben geben kann, die selbst die beste türkische Linsensuppe oder die spannendsten Unternehmungen mit Freund:innen kaum lichten können. Wenn man sich trotz allem durch ein Erasmus-Semester wider Willen kämpft, sollte man nicht die eigenen Wünsche aus dem Blick verlieren. Denn obwohl durch die Lichtverschmutzung in Istanbul keine Sternschnuppen zu sehen sind, wie man es in klaren Konstanzer Nächten tun kann, gab es zumindest noch die deutlich größeren Möwen, die auch nachts wie Sternschnuppen vom Himmel herabgeschossen sind und so meine Erinnerungen und Wünsche mit sich getragen haben:
Helft der Türkei und Syrien und hört auf euer Bauchgefühl – Erasmus ist nicht für jede Person geschaffen. In einem stimmen jedoch alle Erasmusberichte überein, man nimmt aus den Erfahrungen etwas für das ganze Leben mit. Seien es Rezepte, Freundschaften oder eine Selbsterkenntnis.
Ein sehr enttäuschender und schlecht geschriebener Beitrag der Redakteurin Jamie-Lee Merkert.
So würde ich ihren Erfahrungsbericht in einem kurzen Satz schildern, ohne ihr zu Nahe zu treten. Begründen kann ich diese Stellungnahme anhand mehrerer Punkte, u.a. einem überwiegend negativen Bezug zum Land und der Stadt, Unwissenheit und Vergleiche, die überhaupt nicht passen aber auch wenig bis kaum Interaktion mit der Kultur, den Menschen per se. Daher habe ich mich mehrfach gefragt, ob Sie wirklich in der Türkei ihr Erasmus verbracht hat.
Vorneweg, ist es mehr als nur fragwürdig, wie sie den Staatsgründer und ersten Präsidenten „Mustafa Kemal Atatürk“ repräsentiert. Die negativen Konnotationen, die sie meint empfunden zu haben, basieren auf einem schlecht recherchierten Bild bzw. an der Oberfläche gebliebenen Informationsfluss, den sie über ihre Zeit in der Türkei offensichtlich aus fehlendem Interesse oder bereits gebildeter Meinung nicht nachgegangen ist. Einen Vergleich oder eine Art Assoziation mit Deutschland zu sehen, sehe ich mehr als nur fragwürdig. So begann Deutschland beide Weltkriege, hatte ein rechtsradikales Regime und war verantwortlich für Millionen von Toten.
Atatürk auf der anderen Seite, war beteiligt an den Befreiungskriegen, der Gründung des Landes und der Einführung in ein westliches aber zukunftsorientiertes System. Seine Leistungen reichen von der Befreiung, bis hin zum laizistischen Staatssystem, der türkischen Sprache in Schrift und Grammatik, Gleichberechtigung u.v.m. Es gibt daher mehrere Gründe, warum die Türken, den Staatsgründer verehren. „Blindes Verehren“ ist daher komplett unpassend und einfach nicht gut recherchiert. Dass die Menschen über Generationen hinweg dankbar sind und bleiben, ist für manch andere Länder wie z.B. Deutschland einfach nicht so zu verstehen, da sie das nicht erlebt und durchgemacht haben, was die Türkei erlebt hat. Sie haben nicht diese Person gehabt, die in allen Kategorien als Vorbild dient.
Außerdem reicht die Geschichte der Türkei viel weiter zurück, als nur zu den Anfängen des Landes. Sei es das Osmanische Reich, die Mongolen oder auch Seldschuken. Frau Merkert hat sich daher weder mit der Geschichte des Landes, noch mit der Kultur beschäftigt. Viel mehr, lag ihre Beschäftigung darin, das türkische Essen zu speisen und zu loben aber gleichzeitig die aktuelle Regierung zu kritisieren. Wie ich aus ihrem Bericht entnehmen kann, beschäftigte sie sich damit mehr, als mit der Interaktion mit Einheimischen u./o. der Erkundung Istanbuls (die nicht nur aus 3 Straßen besteht).
Dass die Türkei seit mehreren Jahren ein internes-politisches Problem aufweist, u.a. Hyperinflation und Regime, sollte mittlerweile bekannt sein, sodass man sich bereits vor seiner Reise nach Istanbul hätte Gedanken machen können, ob man mit derartigen Situationen zurecht kommen kann oder nicht. Ein Erasmus-Semester unterscheidet sich nicht nur von der Dauer, von einem Urlaub, sondern auch der deutlich höheren Präsenz und Interaktion mit dem Land. Der Terror-Anschlag ist nach wie vor ein tragisches aber auch unmenschliches Ereignis.
Des weiteren stimmt das Versagen der Regierung bezüglich der Naturkatastrophe, allerdings darf man auch nicht das Ausmaß mit über 45.000 Toten vergessen. Es ist kein Szenario, dass in kürzester Zeit hätte aufgehoben werden können.
Im großen und ganzen, fehlen mir in diesem Erfahrungsbericht, die Bezüge zum Land, der Kultur und den Menschen per se. Da sich jener Bericht über das Studium drehen sollte, bzw. der Erasmus-Erfahrung, fällt diese Passage relativ randläufig und sehr kurz aus. Viel mehr scheint dieser Bericht wie eine klassische „Bild“-Ausgabe geschrieben worden zu sein, die, die Türkei in ein unterschwelliges, negatives Licht rückt. In jedem ihrer Sätze scheint es ein „Aber“ zu geben, die selbst die kleinsten und eher wenig ausfallenden positiven Punkte in ihrem Bericht, wieder revidieren und schlechter darstellen.
Was hat Frau Merkert dort für Seminare besucht? Wie waren jene aufgebaut? Wie sind die Kommilitonen und wie war der Umgang mit den Professoren? Was hat sie die ganze Zeit gemacht, darunter Aktivitäten und Interessen?
Es gäbe viel mehr Sachen zu beantworten bzw. zu erwähnen, als in diesem Blog geschrieben wurde.
Vielen Dank für dieses kritische Feedback. Es ist immer wieder spannend zu lesen, wie die Worte bei Rezipierenden aufgenommen werden.
Ich habe den Erfahrungsbericht nun noch einmal gelesen und im Hintergrund Ihren Kommentar gehabt. Ich muss Ihnen zustimmen, dass die negative Grundstimmung so auch das Land schlechter als es ist oder ich es beabsichtigt habe, dastehen lassen kann. Vorweg möchte ich dennoch sagen, dass dieser Artikel meine persönliche Erfahrung widerspiegelt. Wie im Artikel bereits beschrieben stand der Aufenthalt – egal in welches Land es mich verschlagen hätte – unter keinem guten persönlichen Stern. Inwiefern ich mich kulturell und politisch mit Menschen sowie dem Land auseinander gesetzt habe, kann man aus solch einem Erfahrungsbericht nicht entnehmen. Ich kann jedoch versichern, dass ich auf meinen Reisen und Ausflügen während des Aufenthalts die Türkei von verschiedensten Facetten kennenlernen durfte. Den Bericht habe ich bewusst negativ konnotiert, da ich die ungeschönte Wahrheit meiner Empfindungen zeigen wollte und anderen somit aufzeigen, dass es in Ordnung ist, kein Erasmus machen zu wollen oder sich währenddessen nicht gut zu fühlen.
Die zuletzt von Ihnen gestellten Fragen sind allesamt berechtigt und ich kann mir vorstellen, dass die Antworten darauf für Interessierte durchaus wichtig sind, jedoch bin ich auf solche Fragestellungen bewusst nicht eingegangen, da dies nicht zur Ausarbeitung des Artikels gepasst hätte. Mein Erasmus-Bericht was solche Fragen angeht ist für Studierende und Mitglieder der Universität Konstanz zugänglich. Ich werde in diesem Kommentar zunächst absehen die Fragen zu beantworten, da ich mir nicht sicher bin, ob sie lediglich im Sinne des Feedbacks aufgelistet worden sind oder weil Sie es wirklich wissen möchten. Sollte zweiteres der Fall sein, antworte ich natürlich gerne in einem weiteren Kommentar oder gehe direkt in einen persönlichen Austausch mit Ihnen.