Wissen ist Macht – aber wer macht Wissen?- Ein Kommentar zu unserem Unwissen über Wissen/schaft

Im Studium beschäftigen wir uns mit Forschung, wir lernen Theorien und eignen uns wissenschaftliche Methoden an. Alles mit dem Ziel, (uns) die Welt zu erklären oder zumindest unser Studienfach zu verstehen. Dabei wird uns Wissenschaft als etwas Neutrales und Objektives vermittelt. Wissen wird zu einer Ware, die wir in Hörsälen und Büchern konsumieren können. Doch wie, wo und von welchen Personen wird dieses Wissen geschaffen? Wer bestimmt, was wir unter dem Begriff Wissenschaft verstehen? Und wissen wir eigentlich genug über Wissen?

Von Biologie über Geschichte bis zur Philosophie: Lehrpläne bestimmen, womit wir uns beschäftigen. Unsere Bildung fußt auf einem vereinfachten Verständnis von Wissen/schaft, welches beansprucht, absolute Wahrheiten zu produzieren. Wahrheiten, die als allgemein gültige und universelle Wirklichkeit dargestellt werden. Wahrheiten, die jedoch nie als endgültig angesehen werden sollten. Immerhin: Ihre vermeintliche Objektivität wird im akademischen Diskurs zunehmend in Frage gestellt. Wissen und Wissenschaften liegen keineswegs außerhalb menschlicher Handlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit: Menschen schaffen Wissen. Und diese Einsicht wirft gerade heute Fragen der Repräsentanz auf.

Die Suche nach Antworten auf diese Fragen und die daraus resultierende Kritik an unserem eurozentrischen Verständnis von Wissen/schaft kommt insbesondere aus den Postcolonial Studies und Gender Studies. Diese Forschungsfelder hinterfragen die etablierten Machtstrukturen unserer Gesellschaft und machen es sich zum Auftrag, diese zu dekonstruieren. Die Rolle von Wissenschaftler:innen im Prozess der Wissensproduktion wird dabei kritisch beleuchtet: Denn ein Forschungsinteresse ist durchaus von subjektiven Motiven geprägt und im Forschungsprozess obliegt die Deutungshoheit der Person, die Wissen schafft. Bekanntlich gilt: „Wissen ist Macht“ (Francis Bacon). Das Sprichwort atmet den Geist der Aufklärung und der Vernunft; heute sollten wir die Phrase weiterdenken und erweitern zu: „Wissen ist Macht und Macht schafft Wissen.“

Nur wenige Personen befinden sich in der Position im Namen der Wissenschaft sprechen zu können. Jene die es tun, befinden sich dabei jedoch nicht in einer neutralen Position, wie es in der Wissenschaft beansprucht wird. Die neutrale Position ist eine Illusion. Wie Donna Haraway insistiert: „Wissen vom Standpunkt des Unmarkierten ist wahrhaft phantastisch, verzerrt, und deshalb irrational.“ Realität ist, dass Wissen aus menschlichen Positionen heraus entsteht.

Die Wissenschaftsphilosophin plädiert mit ihrem Konzept des Situierten Wissens dafür, dass Wissen kein homogenes Gebilde darstellt, sondern sich aus vielen Wissen (im Plural) zusammensetzt und kontextualisiert werden muss. Ihr Hauptargument dafür: Die Perspektive jedes Menschen ist limitiert.  Damit ist gemeint, dass Wissen vielfältig, widersprüchlich und dynamisch sind. Mit diesem Verständnis von Wissen werden verschiedene Perspektiven geöffnet. Ein Objektivitätsanspruch, der Wissenschaft als einen singulären rationalen Raum betrachtet, führt dagegen zu Essenzialismus und Totalisierung. Das reduktionistische Bild der Wissenschaften geht einher mit eurozentrischen Vorstellungen, die weiß, heteronormativ und männlich dominiert sind. Es ist durchaus relevant, aus welcher Position gesprochen wird und wie sich die Repräsentation ereignet. Stereotypisierende Denkmuster aufzudecken, bedarf der fortwährenden Reflexion. Eine Situierung von Wissen und Erkenntnis ermöglicht uns vermeintlich rationales Wissen zu hinterfragen und nicht als abgeschlossene Einheiten zu betrachten. Mittels unseres Wissens konstruieren wir uns(ere) Wirklichkeit und Zukunft. Wir müssen daher nicht nur mehr wissen, sondern mehr über Wissen wissen. Erweitern wir unser Verständnis von Wissen, verändern wir unser Verständnis der Welt.

Erklärungen

Postcolonial Studies: Forschungsfeld, welches sich mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und dessen globalgesellschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzt. Dabei lassen diese sich nicht nur als Wissenschaft, sondern ebenfalls als aktivistische Widerstandsform begreifen.

Gender Studies: Forschungsfeld, das gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse untersucht und sich mit der Konstruktion des Begriffs „Geschlecht“ (gender) sowie dessen strukturellen Bedeutungen und Auswirkungen beschäftigt.

Essenzialismus: Verallgemeinernde Vereinfachung beziehungsweise Reduktion auf Stereotype und bestimmte Eigenschaften.

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