Das Gorgonzola-Rotkohl-Auflauf-Dilemma

Okay, ich muss euch was beichten: Ich war neulich die Person. Ja, diejenige, die in der Bahn ihr stinkendes Essen ausgepackt hat, ohne zu ahnen, was ich da eigentlich anrichte. Eigentlich hätte es gar nicht so weit kommen sollen. Normalerweise genieße ich meine Privatsphäre und nehme die wöchentliche Fahrt in die Heimat mit meinem Auto auf.

Eins führte zum anderen: Mein Auto gab den Geist auf, es war ein langer Tag, das Bahnticket erschien mir günstig, ich hatte mordsmäßigen Hunger und in meiner Tasche wartete dieser himmlisch duftende, über drei Generationen überlieferte Gorgonzola-Rotkohl-Auflauf meiner Großmutter, den sie geschenkt bekommen hat. Die Bahn war wieder mal viel zu voll. Kurz hatte ich den Gedanken, das übel duftende Essen nicht auszupacken. Diesen Gedanken verwarf ich jedoch direkt wieder, da die Geräusche meines Magens mir unangenehme Blicke der Besucher:innen einbrachten. Was die anderen Bahnfahrer:innen sich eingebrockt hatten, blühte ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ich entschied mich, das doch so schlecht riechende, aber vorzügliche Essen aus der traditionellen Tupperbox langsam auszupacken. Man könnte auch sagen, dass ich meine unwissenden Mitfahrer verführte. Ich wartete vergeblich auf die Reaktionen der Mitfahrenden, doch diese ließen auf sich warten. Vermutlich, weil der liebliche Duft bei ihnen noch nicht ankam. Unglücklicherweise öffnete sich genau in diesem Moment eine Durchgangstür, woraufhin mehrere Glückliche in Sekunden auf meine gelbgrüne Tupperbox starrten. Manche verdrehten ihre Augen. Andere erschreckten sich. Ich glaube mein Mittagessen weckte ebenfalls eine schlafende Person auf. Man könnte sagen, dass der Durchzug die Laune der Bahnfahrer*innen versaute und mir mein Mittagessen. Aus Scham schloss ich die meine Vesperbox rasch zu und versteckte sie in den Tiefen meines Rucksacks. Zwar war mir der Moment etwas unangenehm, aber durch die bereits miefende sowie abgestandene Luft in der Bahn war mir der Moment deutlich nicht so unangenehm. Ich bemerkte das eine andere Person in der Bahn etwas aß. An meiner Nase zog der Duft eines Mettbrötchens mit einer überdurchschnittlich großen Portion weißer Zwiebeln vorbei. Der Geruch meines Auflaufs verschwand beinahe im Hintergrund. Da saß diese Person mit dem Mettbrötchen fröhlich vor sich hin kauend, während der erste Mitreisende seinen Schal etwas enger um das Gesicht zog. Der Zweite begann demonstrativ wütend aus dem Fenster zu starren. Irgendwann kam dann dieses Husten von der Frau schräg gegenüber – dieses klassische „Ich will ja nichts sagen…“-Husten. Vielleicht ein Zeichen für die Person mit dem Mettbrötchen ihre Hände zu waschen und einzupacken. Vielleicht auch ein Zeichen für mich mein Essen wieder auszupacken und der Party an Düften beizutreten. Ich riskierte es ein zweites Mal und packte deutlich zügiger den Gorgonzola-Rotkohl-Auflauf aus. Wieder starrten mich penetrante Blicke an, um mir klarzumachen, dass ich das gesamte Abteil mit meiner Kost endgültig erschütterte. Der Höhepunkt dieser Tortur schien erreicht. Doch übertraf die Ansage des Zuges alles Vorherige. Die Fahrgäste seien zu entschuldigen. Ein störender Gestank sei in Abteil 4 ausgebrochen. Die Ursache sei unklar und sie seien darum bemüht das Problem schleunigst zu beheben. Wieder einmal waren alle Augen auf mich gerichtet. Zum Glück hatte ich den Gorgonzola-Rotkohl-Auflauf fast fertig gegessen. Mein Ausstieg schien nah, allerdings fuhr der Zug noch einige Stunden mit meinem für mich wohlriechenden Gestank umher. Vielleicht hat mich diese Aktion so sehr geprägt, dass ich nie wieder eine gelbgrüne Tupperbox mitnehmen werde.

Related Posts
Lesen

„Ich packe meine Bauchtasche und nehme mit…“ Ein Festival-Guide für Anfänger:innen und Erfahrene

Es ist wieder soweit: Festival-Saison! Bist du bereit für nonstop tanzen, feiern und die besten Momente mit Freunden? Damit du deine Gruppe (oder dein Bier) nicht verlierst, bekommst du in diesem Artikel die ultimativen Must-haves vorgestellt. Von Glitzer bis Gummistiefel: Mit diesen Essentials wird dein Festival unvergesslich!
Zimmer mit Bett
Lesen

Ein Zimmer für sich allein: Drei Jahre, vier Länder, sechs Wohnungen

„Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe.“ So beginnt der erste Satz des zweiten Kapitels im Roman ‚Der Report der Magd‘ von Margaret Atwood, das ich letztes Wochenende angefangen habe zu lesen. Ich blicke mich im Zimmer um, in dem ich gerade lebe: eine kleine, schwarze Couch, ein hellblau gestrichener Schreibtisch, Ikea-Schrank mit wackliger Kleiderstange. Ich liege mit dem Laptop auf meinem Bauch auf einem schmalen 90 x 200 cm Bett. Ein Zimmer für mich allein. Mehr brauchte ich nicht während meines Praxissemesters, dachte ich. Aber nichts hier in diesem Raum, außer meinen mitgebrachten Büchern und Klamotten, gehört mir.