„Das war schon immer mein geheimer Traum“ – Von LKM zur Tätowiererin

Mehr als jede:r fünfte Deutsche ist tätowiert, Tendenz steigend. Und auch die Akzeptanz für Tattoos im Beruf scheint größer zu werden. Campuls hat sich mit der angehenden Tätowiererin Saskia Mampe getroffen und mit ihr über Tattoos, ihre Ausbildung zur Tätowiererin und die neue REACH-Reform der EU unterhalten – englisch für Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien.

Campuls: Von Literatur-Kunst-Medien zur Tätowiererin. Wie funktioniert das? 

Saskia: Das war tatsächlich immer so ein bisschen mein geheimer Traum und wie es mit jedem guten geheimen Traum ist, bekommen das irgendwann die besten Freunde mit. Wenn man sehr gute beste Freunde hat, so wie ich, dann schenken die einem einfach eine Tätowiermaschine. Ich wollte das Tätowieren aber richtig lernen und dann ist das mit der Zeit einfach gewachsen. Für mich war LKM schon ein Studiengang, der mich sehr interessiert hat, vor allem der Kunstaspekt. Ich habe in Kunst dann später auch meinen Abschluss gemacht. Ich wollte mich aber nicht mein Leben lang nur theoretisch damit beschäftigen und mir fehlte auch das Gefühl von Tagewerk.

„Nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen was zu machen, ist etwas, was mir wahnsinnig gefällt.“

Campuls: Du machst hier im Studio „Tattooair Ink“ in Konstanz eine Ausbildung zur Tätowiererin. Wie läuft das denn ab? Das ist ja keine klassische Ausbildung in dem Sinne.

Saskia: Es ist kein anerkannter Ausbildungsberuf, das stimmt. Seit Jahren wird darum gekämpft, dass es irgendwann hoffentlich einer wird, aber im Moment sind wir quasi freischaffende Künstler:innen. Es kommt auch immer ein bisschen auf das Studio an, wie die das machen. Bei „Tattooair Ink“ zum Beispiel bin ich als Lehrling angestellt. Das gibt mir einen gewissen freien Rahmen und auch eine gewisse Sicherheit, aber es ist nicht gängig in den Studios, dass man direkt angestellt ist. In anderen Studios meldest du die Selbstständigkeit an, wenn du anfängst zu tätowieren, die ersten guten Sachen machen kannst und wirklich Geld ins Studio bringst und eigene Kunden hast. Es gibt auch Studios, bei denen du zahlst, wenn du eine Ausbildung machen möchtest. Es ist ganz unterschiedlich, je nach Studio. 

Campuls: Man muss ja nicht unbedingt eine Ausbildung machen, um zu tätowieren. Wäre das eine Option für dich gewesen? Einfach drauf loszulegen, ohne vorher eine  Ausbildung im Studio zu absolvieren? 

Saskia: Mir ist die Ausbildung wichtig. Theoretisch kann in Deutschland jede:r ein Tattoostudio aufmachen, egal wie gut oder schlecht er oder sie ist. In der Szene selbst wird aber schon wert darauf gelegt, dass du in einem Studio gelernt hast und du bekommst natürlich auch einen ganz anderen Input, wenn du dir nicht alles selbst beibringen musst, sondern auch mal jemandem über die Schulter schauen kannst. Jede Haut ist anders und wenn du jemanden hast, der dir sagen kann, wie man am besten vorgeht, dann lernst du auch viel schneller. Und du machst nicht Fehler, die du dann jahrelang mit dir rumträgst, weil du einfach nie von jemandem gehört hast, dass es anders geht. Aber es ist schon auch ein Selbststudium. Du brauchst einfach die Übung. Tätowieren ist ein Handwerk, das man erlernt und das funktioniert nicht von einem Tag auf den anderen.

Saskia Mampe vor dem Tattostudio „Tattooair Ink“. Foto: Malin Jachnow

Campuls: Was reizt dich so am Tätowieren? 

Saskia: Für mich ist es das Miteinander. Ich weiß, wie es für mich war, als ich mein allererstes Tattoo bekommen habe und erinnere mich an das Gefühl, dieses „Für-Immer-Geschenk“ zu haben. Du schaust in den Spiegel, siehst dein hammergeiles Tattoo und das will ich einfach weitertragen. Und viele Leute verarbeiten auch Dinge aus ihrem Leben, wenn sie sich tätowieren lassen oder möchten eine Erinnerung haben. Jemandem so ein Geschenk zu machen ist das, was mich am meisten daran reizt. Diese Freude, wenn du merkst, der Funke springt einfach über, ich glaube das ist auch der Grund, warum man das macht. 

Campuls: Wie läuft denn die Entstehung eines Tattoos ab? Da steckt wahrscheinlich sehr viel Vorarbeit drin, gerade wenn Leute persönliche Dinge damit verbinden. 

Saskia: Es gibt Leute, die kommen und sagen: Ich habe dieses Tattoo auf Pinterest gesehen und will das genauso. Das mache ich zum Beispiel nicht. Ich zeichne jedes Tattoo nochmal neu und verändere ein bisschen was, gerade wenn die Leute mit Bildern von Tätowierungen kommen, denn da war schon mal ein:e Künstler:in und hat das schon genauso gestochen. Aber ansonsten ist es schon so, dass die Leute ihre Ideen dabei haben und dann versuchst du das für sie umzusetzen und auszuarbeiten. Du stellst den Leuten was zusammen und zeichnest etwas vor und dann schickst du es ihnen. Und je nachdem müssen dann gegebenenfalls Änderungen gemacht werden. 

Campuls: Tattoos sind Kunstwerke, in die sehr viel Arbeit gesteckt wird. Und es scheint, dass die Akzeptanz gerade auch in beruflicher Hinsicht steigt. Aber es gibt, so zumindest mein Eindruck, immer noch einige Vorurteile. Wie siehst du das? 

Saskia: Ich glaube, dass es auch ganz stark darauf ankommt, welche Altersgruppe man da anspricht. Im Berufsleben kann ich definitiv sagen, dass es immer noch Sparten gibt, wo es problematisch ist, wenn du mit klar sichtbaren Tätowierungen daherkommst. Wenn man beispielsweise auf der Bank arbeiten will und die Hände und Arme sind voll tätowiert, dann ist es schon sehr schwierig. Interessanterweise gibt es zum Beispiel aber sehr entspannte Richtlinien in der Pflege und da kommt auch ganz viel gutes Feedback gerade von älteren Leuten. Das ist meine Erfahrung. Ich glaube, dass es immer dann schwierig ist, wenn man sich an Stellen tätowieren lässt, die auf Anhieb sichtbar sind. Kritische Stellen sind definitiv Hals, Gesicht und Hände. 

Campuls: Anfang des Jahres ist die neue REACH-Verordnung der EU in Kraft getreten. Im Zuge dieses Chemikaliengesetzes wurden bestimmte Pigmente, Binde- und Konservierungsstoffe verboten, die auch Tätowierfarbe betreffen. Inwiefern schränkt euch das denn künstlerisch ein? 

Saskia: Es betrifft uns künstlerisch und wie kreativ wir sein können, eigentlich gar nicht so sehr. Die Designs können immer so gestaltet werden, dass man sie auch „Black and Grey“ stechen kann, also nicht zwangsläufig Farbpigmente benutzen muss. Außerdem gibt es schon Hersteller, die REACH-konforme Farben auf den Markt bringen. Das einzige Problem dabei ist, dass diese Hersteller im Moment noch eine kleine Minderheit sind und dementsprechend sehr hohe Anfragen haben und mit den Lieferzeiten nicht hinterher kommen. Für Blau und Grün, die Pigmente, die jetzt verboten wurden, gibt es eine Übergangsfrist bis 2023. Bei uns ist es gerade so, dass wir schon neue Farben haben und teilweise Restbestände einfach aufbrauchen. Wir versuchen den Leuten schon ans Herz zu legen, mit den konformen Farben zu arbeiten. Wenn jemand aber unbedingt diese eine Farbe haben möchte, die noch nicht konform ist, dann weisen wir die Leute darauf hin. Die alten Farben, die es davor gab, kann man seit dem 4. Januar 2022 auch nicht mehr kaufen. Wenn Farben ausgehen und es gibt noch keinen Ersatz dafür, dann ist das so. Aktuell ist das bei uns noch nicht der Fall. Es gibt auch ganz viele Hersteller, die zum zweiten oder dritten Quartal dieses Jahres neue Pigmente oder Farben auf den Markt bringen wollen.

„Farbige Tätowierungen werden definitiv wieder möglich sein und sind auch jetzt möglich. Das wird immer etwas heißer gekocht als es gegessen wird.“

Campuls: Beruhigend für all diejenigen, die bunte Tattoos mögen. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man ein großes Tattoo-Projekt hat, was natürlich auch mehrere Sitzungen braucht, und dann heißt es mittendrin, dass bestimmte Farben vom Markt genommen werden. 

Saskia: Vor allem bei großen Projekten wechselt man zwischendrin nicht einfach mal die Farbe, weil jede Farbe trotzdem anders ist. Man wird es im Tattoo auf jeden Fall sehen. Und dann ist die Frage: Ist in dem Moment die Kunst wichtiger, oder, dass alles konform ist. Aber das muss jede:r Künstler:in für sich beantworten.

Campuls: Wie bei allem, was Kunst betrifft, gibt es verschiedene Stile. Was ist denn deiner?

Saskia: Man sieht es an mir selbst, ich bin ein altes „Old School“ Kind. Ich mag dicke Linien, ich mag knallige Farben. Das ist schon eine Richtung, die mir persönlich auch einfach sehr viel Spaß macht und die sehr viel hermacht. Jede:r hat natürlich seinen/ihren eigenen künstlerischen Stil, aber in welche Richtung ich mich gerne entwickeln möchte ist schon „Neotraditional“. Von diesem teilweise sehr platten Old School-Stil weg und dann einfach doch ein bisschen mehr Detailreichtum rein, andere, knalligere Farbkombinationen, das ist schon etwas, was ich ganz gerne mache. Was mir sonst noch gut gefällt, ist Illustrativer Stil, wie zum Beispiel bei Kupferstichen. Das ist ganz oft nur reine Linienarbeit und da muss die Linie „on point“ sein. Diese Richtung kann ich mir auch gut vorstellen, weil mich das schon im Studium begeistert hat. 

Saskia zeigt ihre selbstgestochenen Tattoos. Foto: Malin Jachnow

Campuls: Du hast jetzt schon einige Tattoos. Was sind denn Motive oder Stellen, die du unbedingt noch tätowiert haben möchtest? 

Saskia: Ich weiß, was ich auf jeden Fall noch haben möchte: Links und rechts auf die Hände hätte ich gerne noch eine Sonne und einen Mond. Schön groß und schön farbig. Darauf habe ich große Lust, aber da werde ich noch eine Weile warten müssen, denn ich habe durchaus noch Platz auf meinem Körper und ich bin schon so jemand, der da traditionell unterwegs ist und sagt, wenn du nicht voll tätowiert bist, dann keine Tattoos auf den Händen, keine auf dem Hals, keine im Gesicht. Darum wird es bei mir auch noch dauern. 

Campuls: Was ist denn wiederum ein Motiv oder Projekt, auf das du richtig Lust hättest und das du irgendwann gerne einmal umsetzten möchtest?

Saskia: Schwierig. Dadurch, dass alles sehr individuell ist und auch immer mit der Geschichte der Kund:innen zu tun hat und was sie sich stechen lassen wollen, glaube ich, habe ich das bei fast jedem Projekt. Wenn die Leute mir erzählen, was sie machen lassen wollen, finde ich das in dem meisten Fällen völlig legitim und cool. Aber auf was ich irgendwann tatsächlich mal richtig Lust hätte, wäre ein großes Projekt auf dem Rücken. Einen ganzen Rücken zu gestalten, wäre schon ein Traum.

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