Dienstagnachmittag, 14 Uhr, in einem Raum irgendwo an der Uni. Dort treffen sich Nicole, Franziska, Johannes und Max von der Nightline Konstanz e.V. Alle vier heißen eigentlich anders. Das Gespräch findet an einem neutralen Ort statt. „Die Anonymität ist sowohl für Anrufer:innen als auch für uns eine Art Schutzschild“, meint Nicole. „Wenn eine Person anruft mit dem Wissen: Ich bleibe anonym und ich weiß auch nicht, wer die andere Person ist, nimmt das vielleicht auch so ein bisschen Hemmungen weg, das auszusprechen, was man denkt und fühlt.“ Ein anderer Fall ist die Nondirektivität: Bei der Nightline wird nicht geurteilt. Das nehme enorm viel Druck weg, sich irgendjemandem beweisen zu müssen. „Wir helfen einfach, indem wir zuhören“, sagt sie.
Bis auf Montag und Donnerstag sind die Nightliner:innen jeden Tag in der Woche in den Abendstunden von 20 bis 0 Uhr verfügbar. „Die Nightline ist ein Zuhörangebot von Studierenden für Studierende“, erklärt Franziska. Gemeinsam mit Johannes ist sie im Vorstand der Nightline tätig. „Wir schweigen jetzt nicht in die Leitung, wir vermitteln schon zurück, dass wir da sind und zuhören, aber wir sind bei der Nightline eben davon überzeugt, dass jede Person die Lösung für die eigenen Probleme selber in sich trägt, und dass man sich manchmal einfach nur aussprechen muss“, ergänzt Nicole. Sie würden dabei ihren Anrufer:innen zurückspiegeln, was gefühlsmäßig bei ihnen im Inneren stattfinde. „Manchmal, wenn einem der Ratschlag so auf der Zunge liegt, ist es schon schwer den einfach runterzuschlucken und nicht zu geben. Im weiteren Verlauf des Gespräches merkt man dann: Es war gerade richtig gut, den nicht zu geben und zu sagen“, meint Nicole nachdrücklich. In bestimmten Fällen können die Nightliner:innen auch auf andere Anlaufstellen verweisen, die qualifizierter seien als sie. Sie seien eben nur ein studentischer Zuhördienst und keine ausgebildeten Psychotherapeuten. Und dennoch: „Wir sind die Schulter, an die man sich wenden kann, um sich einfach auszukotzen oder um irgendwie seine Gedanken zu sortieren“, sagt sie.
Schulungen müssen auf den Dienst vorbereiten
Der Verein der Nightline besteht aus ungefähr 40 bis 45 Mitgliedern. Es gibt vier Teams mit einem Vorstand und einem stellvertretenden Vorstand. Johannes ist im Koordinationsteam, Franziska im Schulungsteam. „Das ist das personenstärkste Team, weil Schulungen recht arbeitsintensiv sind“, sagt sie. Franziska organisiert die Schulungen der Mitglieder einmal am Anfang pro Semester und ist auch für die Inhalte verantwortlich. „Es ist uns sehr wichtig, dass wir ordentlich schulen und sehr gut auf den Dienst vorbereiten, weil es einfach eine verantwortungsvolle Aufgabe ist“, betont sie. Zum einen müssen die Nightliner:innen lernen, wie sie mit belastenden Telefonaten umgehen müssen und zum anderen werden sie auch auf Leute vorbereitet, die das Angebot ausnutzen könnten. Für Franziska ist auch die Betreuung nach der Schulung ganz wichtig. Sie erkundige sich immer, ob es ihren Leuten gut gehe und dass sie sich immer rückversichern könnten, ob sie alles richtig gemacht hätten. Im Koordinationsteam erstellt Johannes den Dienstplan und einen Teil der Freizeitaktivitäten, wie den monatlichen Stammtisch und ein Sommer- und Winterfest. Er organisiert außerdem überregionale Vernetzungstreffen und hält den Kontakt mit Ehemaligen aufrecht. Daneben gibt es auch ein Team für Öffentlichkeitsarbeit und ein Finanzteam.
Kurz vor Dienstbeginn treffen sich Nicole und Max, die beide im Telefondienst bei der Nightline arbeiten, mit ihren Dienstpartner:innen und bereiten alles vor. Sie schalten die Telefone an. „Dann wartet man auf den ersten Anruf“, sagt Nicole. Es gebe einen Aufenthaltsraum, von dort aus gehe man dann in eine Telefonkabine. Dort können sie, abgeschirmt von ihren Dienstpartner:innen, ein Gespräch führen. Das finde auch immer nur als „One-on-One“-Gespräch statt. Nach dem Ende des Telefonats gehe es wieder zurück in den Dienstraum, am Ende der Dienstzeit werden die Telefone auf den Anrufbeantworter umgeschaltet. Auch per E-Mail oder per Chat können betroffene Studierende mit der Nightline kommunizieren. Der Anspruch: Innerhalb von 72 Stunden zu antworten. „Das wird aber nicht so häufig genutzt, wie die Anruffunktion“, meint Nicole.
Zahl der Anrufenden steigt
Beide haben in ihrem persönlichen Umfeld mitbekommen, dass der Druck auf Studierende immer größer werde: Energiekrise, Inflation, steigende Mieten. „Grundsätzlich merkt man schon, dass es für Studierende in der Gesellschaft keine entspannte Lage ist“, merkt Max an. „Ich finde gut, dass es die Nightline genau in solchen Situationen als Auffangbecken gibt“, sagt Nicole. Und die Zahl der Anrufer:innen scheinen immer mehr zu werden. Seit dem letzten Sommersemester seien sie enorm gestiegen – ein Höchststand seit der Pandemie. „Das kann auch daran liegen, dass es eine gewisse Sensibilisierung für psychische Belastungen gibt und auch eine größere Bereitschaft, darüber zu reden und zu wissen, dass einem zugehört wird“, meint Franziska. Aufgrund der Anonymität führen sie keine Liste zu Themen. Laut den Statistiken zu Anzahl und Häufigkeit der Anrufe, der Dienstlänge oder Geschlecht der Anrufenden, rufen aber insbesondere mehr Männer als Frauen an.
„Wir sehen anhand der Zahlen, dass so ein Dienst, wie die Nightline ihn bietet, gebraucht und auch genutzt wird“, sagt Nicole. Am Ende der Gespräche hätte sie immer gemerkt, dass es den Leuten besser gegangen wäre. Sie könne sich noch an ein Gespräch erinnern, bei dem die Person am Ende sogar erleichtert aufgeatmet habe. „Das war für mich so am Schönsten an diesem Telefonat, weil man wirklich gemerkt hat, es hat geholfen sich etwas von der Seele zu reden“, freut sie sich. Max findet es sogar ganz angenehm keine Ratschläge geben zu müssen. „In der alltäglichen Kommunikation sind wir es gewöhnt, dass Interaktion ständig fortläuft von Person A zu Person B und dass man immer Feedback bekommt“, erklärt er. In dem Fall könne er sich einfach aufs Zuhören konzentrieren und sich nicht ständig den Kopf zerbrechen, wie er auf die Person reagieren müsse. „Es ist einfach eine andere Art und Weise zu interagieren und zu kommunizieren als im Alltag.“ Für Nicole ist es fast schon ein Pflichtgefühl: „Man hat das Gefühl man tut etwas Sinnvolles und man hilft gerade einer Person, auch wenn es nur durch Zuhören ist.“
Verantwortung im Ehrenamt
Die Nightliner:innen bekommen auch ab und zu Feedback am Ende von Gesprächen. „Man ist am Anfang schon etwas unsicher, ob das Gespräch abschließend etwas gebracht hat“, gibt Max zu. Bei positivem Feedback sei er dann erleichtert. Ohne Feedback habe er manchmal seine Zweifel, tausche sich dann auch mit seinen Dienstpartner:innen aus. „Das ist auf jeden Fall auch eine Gefühlsachterbahn, je nachdem, wie das Gespräch verlaufen ist.“ Daher sei es immer gut, sich im Verein der Nightline miteinander auszutauschen und über Telefonate zu reflektieren. Nicole habe bisher immer gute Erfahrungen gemacht. „Es kam schon öfter mal ein ‚Das hat gerade richtig gut getan, mir das von der Seele zu reden‘ oder ‚Ach, das sehe ich selbst jetzt ganz anders‘, obwohl ich keinen Ratschlag gegeben habe.“
Alle vier sind sich ihrer Verantwortung im ehrenamtlichen Engagement bewusst. „Ich bin Nightlinerin geworden, in einer Zeit, in der es mir selbst nicht so gut ging“, erzählt Franziska. Da habe sie gemerkt, was für ein tolles Angebot die Nightline sei: „Das man Leuten einen Raum geben kann, den man sonst im Alltag nicht so hat.“ Für Johannes sei es wichtig gewesen, etwas Sinnvolles außerhalb der Universität zu machen. „Einfach anderen zu helfen und etwas Nützliches tun“, sagt er. Nicole hat auch einen eigenen Anspruch an sich: „Jedes Mal, wenn ich ans Telefon gehe, ist mir bewusst: Da sitzt eine echte Person am anderen Ende und sie ist in so einer Lage, dass sie bei der Nightline anruft – bei dem Hintergrund, nehme ich das Gespräch immer ernst und habe auch den Anspruch dieses als Nightlinerin gut auszuführen. Ich finde es schön, ein Ehrenamt zu machen, weil es eine Möglichkeit ist, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“
Zur Nightline Konstanz e.V.:
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