Beziehung mit Hindernissen: Zur Grenzgeschichte von Konstanz und Kreuzlingen

Gerade mal einige Wochen ist es her, da prägte ein Zaun das Konstanzer Stadtbild. Die politischen Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie ließen den Behörden keine andere Wahl als den vorrübergehenden Wiederaufbau eines deutsch-schweizerischen Grenzzauns. Besonders hier am Rheinausfluss des Bodensees schien dies nicht mehr vorstellbar. Seit 2006 erinnern lediglich Kunstwerke daran, dass der Übergang von Deutschland und der Schweiz früher kein fließender war. „Konstanz und Kreuzlingen“, so der Konstanzer Oberbürgermeister Ulrich Burchardt, „sind eigentlich eine Stadt.“ Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Liaison der deutsch-schweizer Nachbar_innen hat schon ganz andere Probleme überstanden.

Zu Grenzstädten wurden Konstanz und Kreuzlingen bereits im 15. Jahrhundert mit dem Ausscheiden der Schweizer Eidgenossen aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Konstanz war zunächst österreichische Landstadt und blieb dies auch, als das Kanton Thurgau Anfang des 19. Jahrhunderts versuchte, die Stadt für sich zu gewinnen. Stattdessen ging das Bistum 1806 an das Großherzogtum Baden über. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immer wieder Überlegungen eines Konstanzer Anschlusses an die Schweiz – sowohl von Thurgauer als auch von Konstanzer Seite – doch es kam nicht dazu. Der heutige Grenzverlauf zwischen Konstanz und Kreuzlingen wurde erstmals 1831 geregelt.

Die Beziehung der beiden Städte entwickelte sich prächtig, Bewohner_innen kauften beieinander ein, feierten Feste zusammen und heirateten von hüben nach drüben.

Ein Leben ohne die Nachbar:innenaus Konstanz oder Kreuzlingen? Schon fast nicht mehr vorstellbar.

Doch die beiden Weltkriege brachten einen Bruch in das harmonische Miteinander der größten Bodenseestadt und ihrer „südlichen Gartenvorstadt“, wie Kreuzlingen früher im Konstanzer Volksmund genannt wurde. Schon der aufkommende Patriotismus in Deutschland im Ersten Weltkrieg war den freiheitsliebenden Schweizer_innen unheimlich. Der Nationalsozialismus führte schließlich endgültig zu einer Trennung der Nachbarstädte. Hitlers „Reichsarbeitsdienst“ errichtete Stacheldrahtzäune im Grenzgebiet, um eine Flucht in die neutrale Schweiz unmöglich zu machen.

Bild: Malin Jachnow

Normalerweise herrscht fließender Verkehr zwischen Konstanz und Kreuzlingen. Nur manch ein/e auffällig bepackte/r Pendler_in wird zwischen hier und dort vom Zoll aufgehalten.

Dennoch schafften es einige – darunter Jüdinnen und Juden sowie anderweitig religiös oder politisch Verfolgte – über die Grenze. Auch zwischen Konstanz und Kreuzlingen muss es viele solcher „illegalen“ Grenzübertritte gegeben habe. An den Stellen, wo wir heute wie selbstverständlich unsere Schritte tun, bangten Menschen zur Zeit der Nazi-Diktatur um ihr Leben und ihre Chance auf Freiheit. Einige leider oft vergessene Held_innen halfen ihnen dabei, so wie der Gottmadinger Josef Höfler, der zusammen mit der Berlinerin Luise Meier ein Fluchthilfenetzwerk aufbaute und 28 deutschen Jüdinnen und Juden die Flucht in die Schweiz ermöglichte. Auch der Konstanzer Taxifahrer Victor Rebholz brachte diese über die Grenze. Genauso Ludwig Ottenheimer, der mit seiner Familie in Konstanz ein Konfektionsgeschäft betrieb. Der wohl bekannteste Grenzgänger dieser Zeit ist Georg Elser, der am 8. November 1939 gegen 20:45 Uhr versuchte, nach Kreuzlingen zu gelangen. Elser hatte eine Zeitzünder-Bombe im Münchener Bürgerbräukeller platziert, die Hitler bei einer Rede in den Tod reißen sollte. Hitler verließ den Keller aber früher als erwartet und entging dem Attentat. Elser wurde auf seiner Flucht erst kurz vor der schweizerischen Grenze am Kreuzlinger Tor festgenommen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb der von den Nazis aufgebaute Grenzzaun bestehen. Bis ins Jahr 2000 hinein stand er genau dort, wo im März provisorisch ein „Corona-Zaun“ errichtet wurde. Lange wurde er politisch akzeptiert, Schweizer_innen und Deutsche wollten sich vor unerwünschter Migration schützen. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer kamen, auch auf Drängen der Öffentlichkeit, Diskussionen über einen Abbau auf. Es dauerte bis zum Schengener Abkommen von 2006, welches einen freien Grenzverkehr zwischen den EU-Staaten und einigen weiteren Nationen wie der Schweiz regelt, bis die letzten Teile des Zauns abgerissen wurden. Seitdem zieren Kunstwerke den Verlauf der offenen Grenze. Die beiden Partnerstädte waren endlich wieder vereint, denn die Beziehungen der Bürger_innen waren trotz Grenzzaun nie abgerissen. Als beispielsweise die Lebensverhältnisse der Konstanzer_innen in der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht besonders gut waren, halfen Kreuzlinger_innen mit Lebensmittelspenden aus. Nach Gründung der deutschen Bundesrepublik entwickelte sich schnell wieder ein „kleiner Grenzverkehr“.

Bild: Malin Jachnow

An leichten Sommertagen vergaß man fast, Spazieren gehend im Konstanzer Herosé-Park, wie unüberwindbar der Zaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen während der Corona-Krise schien.

„Mitenand und durenand“ sagen die Schweizer_innen liebevoll zum besonders guten Verhältnis mit Deutschen am Bodensee. Die Geschichte verdeutlicht: Die Beziehung zwischen Konstanzer_innen und Kreuzlinger_innen war nicht immer einfach, ist aber nach einigen erfolgreich gemeisterten Krisen heute enger denn je. Für viele Bewohner_innen war es deshalb trotz Corona-Pandemie ein Schock, als die deutsche Bundesregierung Mitte März die Grenzschließung verkündete und quasi über Nacht ein Zaun zwischen dem Einkaufszentrum „Lago“ und der Bodenseearena gezogen wurde. Als sich immer mehr Familien, Freundinnen und Freunde und Liebespaare am Zaun trafen, errichteten die Schweizer Behörden einen zweiten Zaun, um den Sicherheitsabstand zu gewährleisten. Doch auch diese Hürde – im wortwörtlichen Sinne – wurde von Konstanzer_innen und Kreuzlinger_innen erfolgreich überwunden. Die Bürgermeister der beiden Städte sind sich einig:

So einen Zaun darf es nie wieder geben.

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