Meine ganz persönliche Odyssee

Wie die Heimreise während der Pandemie von Indonesien nach Deutschland zur Zerreißprobe wurde. Eine Chronologie des Hoffens und des Bangens.

Kann es eigentlich noch schlimmer werden?

Eine Frage, die ich mir während meiner Odyssee von Indonesien nach Deutschland öfter gestellt habe. Manchmal erschien es mir so, als hätte das Universum diese Aussage als Herausforderung verstanden und nicht als rhetorische Frage. Vielleicht hätte ich es besser wissen müssen – doch ich wollte eben unbedingt meinen Urlaub in Indonesien antreten. Und das habe ich auch gemacht. Nach ungefähr 30 Stunden Hinreise hatte ich es am 10. März endlich in die riesengroße, laute und ehrlich gesagt ziemlich hässliche Hauptstadt Jakarta geschafft. Ich verbrachte dann fünf Tage in Indonesien, bevor meine Mutter bei einem Telefonat schon etwas beunruhigt klang – dieses neue Coronavirus schien doch eine ernstere Angelegenheit zu werden. Ich dachte mir: „Scheiß drauf, ich genieß‘ die Zeit hier!“ und stopfte den Gedanken an eine mögliche Pandemie in ein ganz dunkles Hinterzimmer meines Gehirns.

Bevor ich mich dann auf eine längere und sehr anstrengende Reise nach Karimunjawa aufmachte, ein kleines unberührtes Inselparadies, sprach ich mit meinem Bruder. Ich dachte, der ist entspannt, aber auch reiseerfahren – der weiß bestimmt, was ich machen soll. Mein Bruder riet mir, meinen Urlaub zu genießen. Im Nachhinein stellte sich das als der falsche Rat heraus und die Idee, auf eine abgelegene Insel zu reisen, war auch kein kluger Schachzug gewesen. Aber das konnte ich noch nicht wissen.

Dieses Foto entstand auf der einzigen Bootstour durch die Karimunjawa Inselgruppe, die ich machen konnte.

Auf der Insel angekommen, traf ich in dem kleinen Hostel auf die anderen einzigen vier Backpacker_innen. Wir verstanden uns auf Anhieb und die nächsten Tage sollten uns auch irgendwie zusammenschweißen. Denn an Tag zwei auf Karimunjawa kam die Nachricht, dass die verschiedensten Länder ihre Grenzen schließen werden – auf gut deutsch: alle müssen so schnell wie möglich heim. Bis dahin habe ich in Verdrängung gelebt, doch jetzt war meine große Angst wahr geworden: Ich musste meinen gerade begonnenen Urlaub (auf den ich lange gespart hatte) abbrechen. Das bestätigte dann auch das Telefonat mit meiner Mutter, die mir eindrücklich vermittelte, dass ich nach Hause kommen muss. Da ich hier ja ehrlich sein will: Ich hab dann erstmal geheult. Und dann hab ich überlegt, wie ich meine Heimreise organisieren soll.

Ein schöner Sonnenuntergang im Paradies, der Karimunjawa-Inselgruppe.

Erster Schritt: Runter von Karimunjawa auf die Hauptinsel Java. Tja, blöd nur, dass die Fähre nicht jeden Tag fährt. Also nahm ich dann, mit meinen vier anderen Hostel-Freund_innen, die Fähre am übernächsten Tag. Leider gibt es kein Bild von uns, wie wir fünf Häufchen Elend gezwungenermaßen das Paradies auf Erden verlassen mussten.

Zweiter Schritt: In irgendeine größere Stadt mit Flughafen kommen, um dann entweder nach Bali oder in die Hauptstadt Jakarta zu fliegen. Jenny, eine der gestrandeten Backpacker_innen, die ich in Karimunjawa kennengelernt habe, begleitete mich auf der Fahrt mit einem Kleinbus nach Surabaya. Von dort aus wollte ich weiter nach Bali fliegen. Im Nachhinein war auch das die falsche Entscheidung, denn der Kleinbus brauchte statt sechs Stunden ganze neun, weil unser Fahrer gerne mal ein Päuschen zu viel einlegte, unterwegs ein Päckchen annahm oder zufällig in irgendeine Sackgasse reinfuhr.

Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, habe ich es auch noch geschafft, meine Kopfhörer zu verlieren. Ich war komplett am Ende. Ohne Jenny, die mich beruhigte und mir ihre Kopfhörer auslieh, hätte ich diese Fahrt nicht überstanden. Jenny, eine Britin, fand auf der Fahrt noch einen Flug von Surabaya über Dubai nach Manchester. Ich würde allein weiter reisen nach Bali. (Sie schaffte es mit einem der letzten Flugverbindungen sicher nach Hause.)

Dritter Schritt: Von Surabaya auf die angeblich schönste Insel der Welt fliegen. Auf Bali angekommen redete ich mit meiner Airline, um zu schauen, ob ich eine ähnliche Verbindung wie meinen ursprünglichen Flug nach Hause bekomme. Keine Chance. Das funktionierte nicht, da ich meinen Flug über „Opodo“ und nicht über die Airline direkt gebucht hatte.

Vierter Schritt: Bei „Opodo“ anrufen (und zwei Stunden in der Warteschleife hängen), nur um dort gesagt zu bekommen, dass sie sich gerade nicht um meine Angelegenheit kümmern könnten.

Fünfter Schritt: Ein Hostel auf Bali suchen, etwas essen, durchatmen und ans Meer gehen.

Ein wunderschöner Strand auf Bali.

Sechster Schritt: Ich wollte nicht einfach irgendeinen Flug buchen, der dann wieder storniert wird, um dann auf den Kosten sitzen zu bleiben. Also entschied ich mich dafür, den Vater meines Babysitter-Kindes zu kontaktieren, der bei Swiss Air arbeitet. Nach vielem Hin und Her organisierte er für mich einen Flug von Singapur nach Zürich. Ich musste also nur nach Singapur kommen. Diese Nachricht hat mich vor Erleichterung auch wieder zum Heulen gebracht.

Siebter Schritt: Zum Flughafen auf Bali fahren, um nach Singapur zu fliegen. Traurigkeit und Erleichterung kämpften in mir miteinander.

Doch dann … wurde ich auf Bali nicht in das Flugzeug nach Singapur gelassen. Da ich vor weniger als 14 Tagen in Deutschland war, das zu dem Zeitpunkt (Mitte März) als Corona-Risikogebiet galt, durfte ich nicht in Singapur einreisen. Mein Rettungsschirm-Plan platzte – und ich? Hab erstmal geheult.

Komplett aufgelöst wurde ich am Flughafen auf Bali von einer Deutschen angequatscht, die daraufhin versuchte, mir einen Rückflug zu organisieren. Leider ohne Erfolg. Aber schon allein ihre Freundlichkeit und Zuwendung hat mir in dieser Situation so sehr geholfen – und die Tatsache, dass sie denselben Namen wie meine Schwester trägt, war auch sehr tröstlich. Später stellte sich dann noch heraus, dass sie im Nachbarort meines Heimatdorfes arbeitet. Wie klein die Welt doch manchmal ist.

Diesen Sonnenuntergang hab ich nach den Strapazen am Flughafen in Bali gesehen. Da ging es mir gleich wieder besser.

Achter Schritt: Zum deutschen Konsulat auf Bali fahren. In dem Moment lag meine ganze Hoffnung auf den Beamten_innen, die mir bestimmt helfen könnten. Im Nachhinein ist es eigentlich schon lustig, aber in dem Moment war es einfach nur noch eine Abwärtsspirale – denn das deutsche Konsulat war aufgrund der Pandemie dauerhaft geschlossen. Und was hab ich dann gemacht? Mich zusammengerissen, nur ganz kurz geheult, mich ans Meer gesetzt und eine frische Kokosnuss getrunken.

Da ich viele Nachrichten bekommen hatte, wo ich bin und wie es mir geht, entschied ich mich dafür, meine Familie und Freunde durch meine Instagram-Stories auf dem Laufenden zu halten. Hier sieht man mich, komplett fertig, auf Bali am Flughafen sitzen, nachdem das deutsche Konsulat geschlossen war.

Neunter Schritt: Zum gefühlt 1000. Mal bei der deutschen Botschaft in Jakarta anrufen. Ein Wunder geschieht: Ich erreiche sie tatsächlich. Dort wurde mir geraten, nach Jakarta zu fliegen, um dort noch die restlichen Rückfluge nach Europa zu bekommen.

Zehnter Schritt: Nach Jakarta fliegen. Kaum hatte ich meine Kokosnuss leergetrunken, ging es auch schon zum Flughafen und nach Jakarta.

Elfter Schritt: Einen Flug von Jakarta nach Hause organisieren. Also rannte ich, sobald in Jakarta angekommen, von einem Airline-Office zum nächsten. Vielleicht gäbe es die Möglichkeit, über Tokio nach Frankfurt zu fliegen. Doch der Flug war schon ausgebucht.

Nachdem ich vor lauter Anstrengung und Hoffnungslosigkeit erstmal ein bisschen geheult hatte, überhörte ich eine Gruppe junger Erwachsener Deutsch sprechen und klinkte mich ein. Nach ewigem Suchen fanden wir einen Flug am übernächsten Tag nach Amsterdam – für sage und schreibe 1.100 Euro. Wir alle hatten heftig schlucken müssen, doch was blieb uns anderes übrig? Also zückten wir die Kreditkarten.

Doch dann … hatte ich nicht genügend Guthaben auf meiner Prepaid-Kreditkarte. Es ist unfassbar, das Pech schien mich zu verfolgen. (Aber wer konnte auch ahnen, dass die Rückflüge so abartig teuer sind?) Also konnte ich den Flug vorerst nicht buchen, aber ich nahm mir vor, am nächsten Tag in ein Airline-Office in Jakarta City zu fahren und das verdammte Ticket zu kaufen.

Zwölfter Schritt: Endlich ein Ticket nach Hause kaufen. Nach einer Nacht mit vielen dringend benötigten Bieren fuhr ich auf einem klapprigen Roller-Taxi zu einem Büro von Japan Airline. Man kann es kaum glauben, aber dort buchte ich tatsächlich einen vielversprechenden Flug von Jakarta über Tokio nach Frankfurt. Und ich hab sogar ein Schnäppchen gemacht – nur 900 Euro sind fällig.

Als ich diese Instagram-Story verfasst hatte, war ich erleichtert und erschöpft zugleich.

Dreizehnter Schritt: Zwei Tage später saß ich, nachdem ich am Flughafen von oben bis unten mit Desinfektionsmittel vollgesprüht wurde, TATSÄCHLICH im Flugzeug von Jakarta nach Tokio. Auch mein Anschlussflug klappte. Es war ein Wunder. Und das Beste: Die Airline war super, ich hatte Raum für meine Füße, mein Sitznachbar war richtig nett und das Flugzeugessen war auch erstaunlich gut.

Vierzehnter Schritt: Ich landete in Frankfurt. Meine Mama holte mich ab. Ich hatte es geschafft. Alles ist gut.

Das bin ich, wie ich nach 25 Stunden Reise in Frankfurt am Flughafen angekommen bin. Traurig und glücklich gleichzeitig, aber vor allem eines: müde.

Im Nachhinein haben die Enttäuschung über die abgebrochene Reise und die anstrengende Heimreise doch ein paar Spuren auf meiner Seele hinterlassen. Aber auch das wird in ein paar Monaten verheilt sein. Und immerhin habe ich jetzt eine gute Geschichte zu erzählen!

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