Demokratie auf Deckeln und in aller Munde

Wie viel Demokratie passt auf einen Bierdeckel? Ganz schön viel, sagt der Verein „Demokratiedeckel“. Mit kontroversen Fragen auf bunten Deckeln laden die Mitglieder Gäste in Restaurants und Bars dazu ein, ihre eigenen politischen Ansichten zu hinterfragen – bald vielleicht auch hier in Konstanz.

„Setzt Du Dich für die Rechte anderer ein – oder ruhst Du Dich auf Deinen eigenen aus?“ Fragen wie diese kommen im Alltag oft zu kurz: In Deutschland gibt es einen Trend zur sogenannten Nachrichtenvermeidung, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung letztes Jahr herausgefunden hat. Gleichzeitig werden die verschiedenen Meinungen in der Gesellschaft immer extremer.

Genau diesem Problem versucht „Demokratiedeckel e.V.“ entgegenzuwirken. Die zehn ehrenamtlichen Mitglieder, von denen fast die Hälfte in Konstanz studiert, haben sieben prägnante Fragen entwickelt und auf ein Medium gedruckt, das bisher immer nur Mittel zum Zweck war: der Bierdeckel. Die Demokratiedeckel sollen in Kneipen und Restaurants zum Nachdenken und Diskutieren anregen und so demokratische Prinzipien in der Gesellschaft stärken.

Kleiner Bierdeckel mit großer Bedeutung

Die Idee dazu kam Anfang 2022 auf, als die Stipendiat:innen der Jungen Akademie in Frankfurt am Main an einem Projekt teilgenommen haben, um die Demokratie zu fördern. Zu dem Zeitpunkt waren die jungen Erwachsenen aber noch kein Verein, sondern eine Projektgruppe in einem Seminar ihres Stipendiums. Das Ziel der Gruppe war es, die Gesellschaft wieder näher zusammenzubringen und kontroverse Themen aktiv anzusprechen, um die Meinungen anderer wieder mehr wertschätzen zu lernen. „Es war eigentlich ganz lustig, wie wir auf die Idee mit den Demokratiedeckeln gekommen sind“, erinnert sich Larissa Möckel aus dem Vorstand des Vereins zurück, „wir saßen zu siebt in der Lobby und waren erschöpft, weil wir uns den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrochen haben, wie wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen können. Und da hat eine unserer Teamkolleginnen an die Decke geschaut und gesagt: ‚Die Lampen sehen ja aus wie Bierdeckel!‘ Sie meinte zwar eigentlich Kronkorken, aber da war unsere Grundidee geboren.“ Die sieben Fragen festzulegen, die am Ende auf die Deckel gedruckt wurden, war ein langer und teils anstrengender Prozess. Die Projektmitglieder sind viele Kompromisse eingegangen , bis die Gruppe mit ihrem Ergebnis zufrieden war. Kassenwart Fabian Wiek ergänzt: „Es war natürlich auch eine Kostenfrage, weil wir die Produktion der Deckel im Hinterkopf behalten mussten. Bei den sieben Fragen, für die wir uns letztendlich entschieden haben, haben wir vor allem darauf geachtet, verschiedene Gruppen anzusprechen.“ Die erste Frage, die für die Stipendiat:innen festgestanden hat, war für sie gleichzeitig auch am schwierigsten zu beantworten. „Bist Du Teil eines politischen Problems – oder seiner Lösung?“ hat die Gruppe direkt selbst zum Grübeln gebracht.

Der Weg in die Kneipe

Bis die ersten Kellner:innen die Demokratiedeckel unter dem ein oder anderen Apfelwein in den Frankfurter Restaurants gestellt haben, hat es allerdings noch bis Mai 2023 gedauert. „In der Zwischenzeit stand für uns noch viel Arbeit an: das reichte vom Design über die Organisation des Drucks bis hin zur Logistik. Letzteres ist unter anderem auch immer noch einer der schwierigsten Punkte“, reflektiert Larissa.

Mit ihrer Idee überzeugten die Stipendiat:innen beim „Inspiratio“-Wettbewerbs des Fördervereins der Evangelischen Akademie. Mit dem Preisgeld konnten sie den ersten Aktionsmonat finanzieren.. Dazu kamen Gelder der Sparkassenstiftung in Frankfurt. Für diese erste Aktion wurden insgesamt über 50 000 Demokratiedeckel gedruckt, von denen die Mitglieder etwa 20 000 in der Frankfurter Gastronomie verteilt haben. Bei ihrer Verteilaktion sind sie auch immer wieder auf Restaurant- und Kneipenbesitzer:innen getroffen, die den Diskurs über politisch kontroverse Themen in ihrem Lokal nicht aktiv anregen wollten. Nach dem ersten Wochenende, an dem die jungen Erwachsenen den Restaurants Besuche abgestattetet hatten, konnten sie trotzdem etwa 30 Besitzer:innen von ihrer Idee überzeugen, und die ersten bunten Demokratiedeckel haben die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich gezogen.

„Willst du mit mir diskutieren?“

In der Durchschnitts-Kneipe wird bisher wahrscheinlich doch eher über Abstiegs- als über Wahlkampf geredet. Auf die Frage, ob die Demokratiedeckel dabei wirklich Anklang finden, antworten die beiden Vereinsmitglieder: „Genau diese entspannte Atmosphäre wollen wir nutzen, um das Angebot zum politischen Gespräch zu geben – nicht hochemotional, sondern eher ‚zwischendurch mal‘.“ Von einigen Lokalbesitzer:innen hat der Verein schon positive Rückmeldung zu ihrer Idee bekommen, aber es bleibt natürlich schwierig, konkretes Feedback von den Gästen und Gästinnen selbst einzuholen. Deshalb überlegen sich die Vereinsmitglieder im Moment Strategien, um die Resonanz ihrer nächsten Kampagne besser evaluieren zu können, beispielsweise durch einen QR-Code auf den Deckeln.

Wie geht’s weiter?

„Im Mai 2023 durften wir unser Projekt auf dem Paulskirchenfest in Frankfurt auch dem Bundespräsidenten vorstellen. Danach war die große Frage: Gibts überhaupt noch was anderes, was wir erreichen wollen?“, schmunzelt Fabian über das bisherige Highlight der Vereinsmitglieder. „Das hat uns noch mal gezeigt, dass wir mit dem Projekt in unserem Maße sehr erfolgreich sind und jeder etwas erreichen kann!“ Frank-Walter Steinmeier hat im Zuge der Demokratiedeckel-Sonderedition – auf einem Blanko-Deckel – auch seine ganz persönliche Demokratiefrage formuliert: „Wie kann man mehr junge Menschen für Demokratie begeistern?“ „Die Frage ‚Begeistert Dich Abstiegskampf mehr als Wahlkampf?‘ wollte er allerdings lieber nicht diskutieren: er ist Schalke-Fan“, schließt Larissa mit einem Lachen.

Die Ideen gehen dem Verein noch lange nicht aus. Unterstützung kommt dabei von verschiedenen Bildungs- und gesellschaftspolitischen Institutionen.

Der Bundespräsident formuliert eine Frage für die Demokratiedeckel. Bild: Josef-Oliver Tamagnini

So konnten die jungen Erwachsenen beispielsweise die Volkshochschule Frankfurt am Main davon überzeugen, ihre Bierdeckel bei Events auszulegen, worüber wiederum andere Organisationen auf die farbenfrohen Demokratiedeckel aufmerksam geworden sind. Auch wenn das vielleicht nicht die natürliche Umgebung eines Bierdeckels ist, sehen Larissa und Fabian bei solchen Veranstaltungen viel Potential, noch mehr verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu erreichen.

Im gleichen Jahr haben die Mitglieder dann ihren gemeinnützigen Verein „Demokratiedeckel“ mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet, um in Zukunft noch mehr Menschen zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen.

Für die nächste Kampagne werden Fragen rund um die Europawahlen die Bierdeckel schmücken – dann vielleicht auch bei uns Konstanz. „Wir möchten unsere Reichweite gerne Schritt für Schritt im Rahmen unserer Kapazitäten ausweiten. Der nächste Standort muss also nicht immer eine Großstadt sein“, erklärt Larissa.

Und du?

„Wodurch fühlst Du Dich in unserer Demokratie gerecht oder ungerecht behandelt?“ Die Bierdeckel dienen als Angebot, schließen sich aber auch an den Appell an, der seit den Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland laut wird: Demokratie ist nicht selbstverständlich, sondern muss gepflegt werden. Und wieso sollte der passende Ort dafür nicht auch die Strandbar oder der Uni-Biergarten sein?

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