Das Post-geisteswissenschaftliche Leben: Theoretiker:innen in der Praxis

Ich studiere Literatur-Kunst-Medien. Beziehungsweise studierte: Ab März trete ich nach 6,5 Jahren weiterführendem Masterstudium eine Vollzeitstelle in einem wirtschaftlichen Konzern an. In meinem letzten Artikel für die Campuls möchte ich erzählen, wie ich es geschafft habe, mich trotz oder vielleicht auch dank geisteswissenschaftlicher Ausbildung zwischen Theorien, Analysen und philosophierenden Vorlesungen in der Industrie zu etablieren und eine Karriere fernab Goethe und Picasso in der IT-Branche zu beginnen (beziehungsweise fortzusetzen).

Kaum etwas habe ich im Laufe meines Studiums öfters gehört als die Phrase:

„Und, was macht man mit Literatur-Kunst-Medien?“

Anfänglich gekränkt durch solch anmaßende Frage, muss ich nun ein Masterstudium später zugeben: Absolut berechtigte Frage. Früher stets stolz und optimistisch antwortend: „Damit kann man unglaublich viel machen, es ist so vielfältig!“, ist mir inzwischen aufgefallen, dass man mit LKM ehrlicherweise alles aber leider auch nichts machen kann. Mit einer akademischen Karriere wird ein starker Grundstein gelegt. Doch die Stellen sind begrenzt und daher muss sich jede:r früher oder später der Frage stellen: Wo möchte ich mit meinem Studium hin? Und wo kann ich überhaupt hin – versiert in vielem aber spezialisiert in nichts.

Zwar kann ich nur von meinem Studiengang berichten und doch ist es in den meisten Geisteswissenschaften dieselbe Problematik. Für meine Stelle beispielsweise gibt es viele Menschen, die durch ihre Ausbildung qualifizierter sind als ich: ehemalige Wirtschaftsstudierende, ProjektmanagerInnen, Ingenieure… Auch mein Gegenüber gab während des ersten Bewerbungsgespräches zu, blumige Thematiken wie Literatur und Kunst seien hier fehl am Platz. Ebenso theoretische Diskussionen über Bourdieu, Kant, Freud oder Saussure. Das war meine Ausgangslage.

Wie ich trotz Studium die Anstellung bekam

Es gab einmal eine experimentale Anordnung, in welcher ein Mensch mit einem Kugelschreiber losging. Nur durch das Tauschen mit stets minimal wertigeren Gegenständen „tauschte er sich hoch“ und beendete das Experiment mit einem etwas älteren Damenrad. Nicht genauso, aber ähnlich funktioniert klassischerweise auch die Arbeitswelt. Beginnend mit einer Anstellung als Kellnerin wurde es ein Semester später ein Bürojob in einem großen Medienhaus, später ein Praktikum in einer Content-Agentur, danach als Werkstudium im Marketing der Universität, dann als Autorin in einem Konstanzer Verlag, als Content-Marketing-Assistenz in einem B2B-Unternehmen, einer 50 Prozent – Anstellung im Wissenschafts-Content eines namhaften Automobilunternehmens und schlussendlich eine unbefristete Marketing-Management-Stelle in einem anerkannten IT-Unternehmen.

Nicht nur hat mein Lebenslauf mir ein Bewerbungsgespräch beschert, welches ich als Kellnerin mir hätte nicht vorstellen können; vor allem habe ich herausgefunden, welche Inhalte ich gerne kommuniziere und was außerhalb von kulturellen Themen ebenfalls mein Interessengebiet erweitert. Möchte ich Marketing machen? Möchte ich Autorin werden? Galeristin? Möchte ich in der Kommunikation arbeiten? Soll meine Zielgruppe Kinder, Unternehmen, Studierende, Wissenschaftler:innen, Hausfrauen oder ausschließlich Männer beinhalten? Hinter jedem Menschen, der scherzhaft „Irgendwas mit Medien“ sagt, steht ein:e hilflose:r Studierende:r, die/der sich fragt, was denn genau „irgendwas“ sein soll. So ist es deine Aufgabe, während des theoretischen Studiums herauszufinden, was „deine“ Medien sind.

An der Universität Konstanz sind die Geisteswissenschaften der größte Fachbereich der Universität. Und das ist ganz wunderbar so, denn Geisteswissenschaften sind die Wirtschaft der Kultur und Gesellschaft. Und selbstverständlich studieren viele dies aus Interesse und nicht etwa, um wie ich später in der IT-Branche zu arbeiten. Fair enough. Dennoch sollte sich jede:r schon während des Studiums überlegen:

Wo will ich hin?

Was ist mir wichtig? Welche Branche gefällt mir und welche Tätigkeit liegt mir? Wie wichtig sind mir materiell-monetäre Mittel? Und was sind meine Stärken, die einen Mehrwert für potenzielle Arbeitgebende in der Zukunft sein können? Möchte ich im akademischen Bereich bleiben? Und wenn ja, was bedeutet es, einen Karriereweg in der Wissenschaft anzustreben?

Und falls es nun doch nicht die Wissenschaft ist, die jedoch die logischste Konsequenz des Studiums darstellt, wie kann ich überzeugen, wenn mir die Inhalte, die mir durch mein Studium vermittelt werden, nicht weiterhelfen? Welche Soft-Skills habe ich erlernt, die ich an andere Thematiken adaptieren kann und mir somit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber fachlich qualifizierteren Bewerber:innen verschaffe?

Bei mir war es das Schreiben.

Das Artikulieren und somit die Aneignung Branchen-spezifischen Vokabulars zur Nutzung in einem Kontext, dem damit eine hohe Literarität beigesetzt wird. Somit wird das Kommunikationslevel des Unternehmens zusätzlich zu semantischer Qualität auf ein unterhaltsames Level gehoben.

Was hast du aus deinem Studium gelernt, was dich für die Arbeitswelt fernab geisteswissenschaftlicher Inhalte qualifiziert?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts
Lesen

Auf einen Kaffee mit Linda – Wie lebt es sich als Influencerin in Konstanz?

Linda Magdalena Dodek ist 22, hat gerade ihren Bachelor in Literatur, Kunst und Medien (LKM) in Konstanz abgeschlossen und hat einen sehr außergewöhnlichen Nebenjob: Linda ist Influencerin. Auf Plattformen wie Tiktok, Instagram und Youtube teilt Linda als @lindasbasics und @lindamagdalenaa ihren Alltag als Studentin, Tipps und Tricks rund ums Studium und kreative Tutorials – und erreicht damit auf Tiktok über 550000 Menschen. Vor drei Jahren hat sie damit sogar ein Kleinunternehmen angemeldet. Im Interview lässt Linda ihre drei Jahre als Influencerin in Konstanz Revue passieren und erzählt, was sie an ihrem Alltag als Studentin anstelle von Partys wertgeschätzt hat.
Lesen

Verhütung – Frauensache?

Bei den meisten Frauen gehört hormonelle Verhütung zum Alltag. Die Anti-Babypille, Hormonring oder die Hormonspirale. Vorerst eine gute Sache und in Anbetracht der Geschichte um Verhütung - die lange nicht erforscht oder erlaubt war - ein Sprung in Richtung Emanzipation.
Lesen

Von der Klangwelt zweier Künstler:innen – eine Reise durch Musik, Inspiration und Kreativität mit Johanna und Basti

Basti und Johanna, ein Duo aus Konstanz, das sich der Musik verschrieben hat, verbindet gefühlvollen Indie-Pop mit zweistimmigem Gesang. Seit die beiden sich vor einigen Jahren in Konstanz kennengelernt haben, machen sie zusammen Musik, schreiben eigene Songs und covern bekannte Stücke. Ihre Musik entsteht aus der gemeinsamen Leidenschaft, bekannte Songs neu zu interpretieren. Im Interview erzählen sie, wie sie ihren eigenen Klang entwickelt haben, was sie inspiriert und warum sie trotz aller Herausforderungen nicht aufhören, auch an ihren eigenen Songs zu feilen.
Lesen

Konstanz im Kneipentest – auf Entdeckungsreise durch die verborgenen Bars der Stadt

Die Stiftung Kneipentest verschreibt sich jeden Monat dem Wohl aller Studierenden in Konstanz. Die Tester:innen besuchen nicht nur allseits bekannte, sondern vor allem die Bars, die bei den meisten Studierenden bisher noch nicht so viel Gehör bekommen haben. Wir durften ihnen einen Abend lang über die Schulter schauen und die wichtigen Fragen des Lebens klären: Wie hell darf ein Helles sein? Und wann ist eine Weinschorle zu warm?