Vor langer Zeit, da lebte ein König namens Fallacius in einem Lande, das Callum hieß. Obgleich die Verantwortung des Monarchen beträchtlich war, war die Empfindung einer Enttäuschung dem König völlig fremd. Unheil war stetiger Begleiter des Fallacius. Kaum hatte er die Krone des Herrschers erlangt, wurde sein Reich von entsetzlichen Ungeheuern angegriffen. Der Tod hatte die Hälfte seiner Untertanen dahingerafft, die übrigen waren kaum am Leben. Selbst seine teure Gattin fiel einem Mord zum Opfer. Doch Fallacius empfand keine Ernüchterung, denn sie war ihm fremd. „Es ist das Schicksal, welches es so will“, dachte er bei sich selbst, „was sollen die ungeheuren Riesen anderes tun?“, und befahl, nach einer neuen Gemahlin Ausschau zu halten.
Als Fallacius durch die zerstörten Straßen seines Landes wandelte, erblickte er, wie sehr die Untertanen in Trauer waren. Während er zerstörte Mauern fand, sahen sie verlorene Andenken. Ein Schmerz durchzuckte ihn im Herzen, eine derartige Innigkeit hatte er niemals zuvor gekannt. Fallacius, erfüllt von einer Ahnung des Bedauerns, erkannte, dass er noch nie von der Erfahrung einer Enttäuschung betroffen gewesen war und weinte bitterlich.
Enttäuschung – was, wie, wann?
“Enttäuschung ist ein Gefühl der Frustration, das entsteht, wenn Wunsch und Realität nicht übereinkommen”, erklärt Dr. Lucas Keller. Er arbeitet im Bereich der Sozialpsychologie und Motivation an der Universität Konstanz. Die Empfindung kann viele Auslöser haben: “Eine unzureichende Leistung, ein gebrochenes Versprechen oder einen Verlust von etwas oder jemandem”. Enttäuschung muss nicht immer eine soziale Komponente haben.
Enttäuschung? – Ja, bitte!
Enttäuschung ist eine Empfindung, der wir im Alltag ständig begegnen. Doch wie wir damit umgehen, kann einen großen Unterschied machen. Grob unterscheidet Keller hier fünf Möglichkeiten: Zum einen können wir das Gefühl akzeptieren, anstatt es zu unterdrücken. Außerdem kann es hilfreich sein, über die Ursache der Enttäuschung zu reflektieren, um sie zu verstehen. Des Weiteren kann Kommunikation mit anderen Menschen helfen, den eigenen Blickwinkel zu weiten und Unterstützung zu bekommen. Einige Strategien können auch den Umgang mit künftigen Enttäuschungen verändern. Eine andere Umgangsform sind Aktivitäten. Sich beispielsweise in Freizeitaktivitäten besonders zu engagieren kann ablenken und positive Emotionen stärken.
In der Regel ist Enttäuschung sehr negativ konnotiert und es ist normal, dass das Gefühl negative Empfindungen mit sich bringt. Jedoch kann eine Enttäuschung auch in einigen Situationen positiv wirken. Durch die engere Verknüpfung mit anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, aber auch durch das Gefühl, etwas aus der Enttäuschung gelernt zu haben.
Weil Enttäuschung das Bild, das wir von anderen oder uns selbst haben, stark negativ verändern könne, gehe Enttäuschung nahezu zwangsläufig mit Frustration, Traurigkeit, Wut und anderen unangenehmen Emotionen einher, führt Keller aus. Wenn es darum gehe, Ziele zu erreichen, seien Enttäuschungen beim Abgleich von Ist-und Soll-Zustand zwar möglich, aber auch als Motor für Veränderung zu interpretieren. “Und andererseits”, fügt Keller hinzu, “können Enttäuschungen auch dazu führen, dass wir unsere Ziele überdenken und vielleicht auch Prioritäten neu setzen. Und manchmal kann das eben auch förderlich für die seelische Gesundheit sein.”
Beende die Täuschung!
Allein das Wort “Ent-täuschung” weist darauf hin, dass eine zuvor bestehende Täuschung oder Illusion aufgelöst wird. “Wenn wir glauben, dass etwas feststeht, und sich dann herausstellt, dass dies nicht der Fall ist, kann dies zu Enttäuschung führen. In diesem Fall müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen und die Enttäuschung durch unsere nicht erfüllte Erwartung überwinden”, sagt Lucas Keller diesbezüglich. Manchmal liegt bei besagtem Gefühl aber auch gar keine Täuschung à la “Ich dachte, du seist ein ehrlicher Mensch und jetzt erfahre ich, dass du mir etwas vorenthalten hast” vor. Enttäuschung kann auch entstehen, wenn realistische Annahmen getroffen wurden, die aber dann doch nicht bestätigt wurden. Ein Beispiel sind Sportwetten, in denen aufgrund vergangener Erfolge einer/eines/* Athlet:in von weiteren Siegen ausgegangen wird. Treten diese trotz günstiger Voraussetzungen nicht ein, sind wir desillusioniert und enttäuscht.
Relativität
Wie so vieles ist auch Enttäuschung relativ zur eingenommenen Erwartungshaltung zu sehen. In den 1980er Jahren wurde zum Beispiel untersucht, dass es enttäuschender ist, 10.000 Dollar in einer Lotterie zu gewinnen, wenn man weiß, dass diese Summe der niedrigste Gewinn im Vergleich zum höchsten aller Gewinne ist.
Ihre Maße, bitte!
Wie genau lässt sich Enttäuschung eigentlich messen? Laut Lucas Keller sei die genaue Messung von Enttäuschung sehr schwer. Mit physiologischen Messungen, zum Beispiel der Herzfrequenz, oder Fragebögen der Selbsteinschätzung könne man sich diesem komplexen Gefühl annähern. Vollständig nachstellen kann man Enttäuschungssituationen allerdings nicht, was die psychologische Forschung in diesem Bereich erschwert. Das liege daran, dass Enttäuschung sich schwer in psychologischen Experimenten nachstellen lässt.
Kleines Herzchen, was nun?
“Im Endeffekt ist Enttäuschung eine sehr gesunde Emotion”, schließt Lucas Keller ab. Das liege vor allem in der Tatsache begründet, überhaupt enttäuscht werden zu können. “Ganz pathetisch ausgedrückt: Jemanden, der keine Hoffnung mehr hat, kann man auch nicht enttäuschen”, sagt Keller. Um eine Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand wahrzunehmen, brauche es eine realistische Einschätzung des Tatsächlichen. Durch hohe Erwartungen an die eigene Selbstwirksamkeit und Optimismus sowie das Vertrauen in andere Menschen, könne man zwar enttäuscht werden, aber auch wachsen und lernen.
Enttäuschung kann auch etwas neutraler als “Überraschung” aufgefasst werden. Auch dieser Gedanke kann helfen, sich von dem bitteren Beigeschmack von “Enttäuschung” zu distanzieren und mit mehr Offenheit für positive Veränderung auf die Situation zu blicken.
Das Wort zum Mittwoch: Nicht verzagen, dich selber fragen, warum genau du enttäuscht bist. Nicht verzagen, andere fragen, ob sie mit dir darüber sprechen, dir zuhören oder eigene Erfahrungen teilen möchten. Nicht verzagen, einen neuen Versuch wagen.
Wie sieht Enttäuschung für Menschen aus dem Integrationsbereich und der Klimabewegung aus? Wir haben mit Daniela Blech-Straub, Integrationsbeauftragte, und Eileen Blum von der Letzten Generation gesprochen.
“Sicherlich gibt es viele, die es sich leichter vorgestellt haben, hier Fuß zu fassen“, erzählt Daniela Blech-Straub, Integrationsbeauftragte der Stadt Östringen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ist wohl der gemeinsame Nenner, der viele Menschen aus Kriegsgebieten auf der Flucht begleitet. „Die meisten […], wünschen sich, schnell eine Arbeit zu finden, um ihren Familien im Heimatland Geld schicken zu können“, so Blech-Straub. Die Realität sieht etwas anders aus. In Deutschland, beispielsweise, treffen sie erstmal auf eine Menge Bürokratie. Nach drei Monaten dürfen Asylbewerber:innen in der Regel arbeiten. Davor werden sie mit Geld für das Nötigste versorgt. Viel übrig bleibt da nicht zum Verschicken. Ein großes Problem sei der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Selbst wenn schon lange eine steuerpflichtige Arbeit an Land gezogen wurde, leben viele noch in Wohnheimen. “Viele haben auch die Bildungsvoraussetzungen unterschätzt, die man braucht, um hier gutes Geld zu verdienen.” Aber wer sich mit der Landessprache vertraut macht und eine Ausbildung abschließt, der habe hier gute Chancen auf Erfolg. “Ich kenne einige, die es geschafft haben!”
Campuls: Lützerath ist geräumt und bei den Aktionen der Letzten Generation wird eher über die entstehenden Verkehrsprobleme gesprochen: Bist Du enttäuscht davon, wie es um die Klimabewegung steht? Eileen Blum: Ob ich von der Klimabewegung enttäuscht bin – da muss man total differenzieren, ob ich von der Klimabewegung enttäuscht bin oder von der Gesellschaft, wie sie die Klimabewegung wahrnimmt. Eigentlich ist es ja schon enttäuschend, dass es Klimaaktivismus überhaupt braucht. Wissenschaftlich ist ja völlig klar, dass wir alles tun müssen, um unsere Emissionen so stark wie möglich zu reduzieren. Dass wir Aktivist:innen dann als die dargestellt werden, die anderen Böses wollen, trifft mich besonders. Wir sind dann die, die alle verlogen sind und dann doch aus dem Plaktikstrohhalm trinken und nicht ernst zu nehmen sind. Was natürlich kein Argument ist, denn wir haben trotz allem die Tatsachen auf unserer Seite mit dem, was wir sagen… C: Inwiefern enttäuscht Dich unser System und seine (Un-)fähigkeit mit den Herausforderungen umzugehen? EB:Unser System ist auf kurze Zeit, Wiederwahlen und Sichbeliebtmachen ausgelegt. Da gibt es wenige, die bereit sind, sich hinzustellen und zu sagen, wir machen das jetzt, auch wenn es unbeliebt ist. Das größte Problem ist, dass wir die Lösungen, die wir haben nicht umsetzen. Ich denke, es macht schon etwas mit einem als Aktivist:in, wenn man sich eigentlich nur für eine menschenwürdige Zukunft auf unserem Planeten einsetzt und die Regierung arbeitet aktiv dagegen und versucht uns zu bestrafen. Dann sind wir plötzlich die Klima-RAF, obwohl wir verhindern wollen, dass das Fortbestehen der Menschheit in Gefahr gerät. So, als würden wir mit irgendwelchen Bomben irgendwo stehen und Politiker:innen entführen. Dabei sorgen wir nur dafür, dass ein paar Leute im Stau stehen und stellen immer sicher, dass eine Rettungsgasse gebildet wird. C: Wie wichtig ist Enttäuschung für die Mobilisierung zu aktivistischer Arbeit? EB: Das Bewusstsein „so kann es nicht weitergehen“? und „wir müssen was ändern“?, ist ja schon so eine Art Enttäuschung… Dazu kommt aber die Hoffnung, dass wir es schaffen können, damit man sich für etwas einsetzt. C: Wie sehr ist der Generationenkonflikt, der in der Klimabewegung mitschwingt, ein Enttäuschtsein mit den früheren Generationen? EB: Natürlich kann man enttäuscht sein von früheren Regierungen und der Gesellschaft von damals, dass sie, obwohl die Fakten bekannt waren, es nicht geschafft haben, Probleme anzugehen und zu lösen. Aber es gibt auch aus den früheren Generationen total viele Klimaaktive! Natürlich hat es bisher nicht zum Erfolg geführt. Da kann man vielleicht schon sagen, da hätte man mehr machen sollen, aber das ist jetzt nun mal so passiert, wie es passiert ist. Außerdem ist es ein Klischee, dass die Bewegung nur aus Schüler:innen und Student:innen besteht. Wir haben viele Leute um die 40, 50 Jahre und nochmal mehr im Alter 60 bis 70. Von den älteren Menschen, denen ich so begegne, sind eigentlich alle total für unsere Klimabewegung. Die Älteren haben manchmal auch weniger Angst vor Einschränkungen – für sie ist nicht alles selbstverständlich. Wichtiger als zu sagen, was früher alles nicht passiert ist, ist doch zusammenzukommen und zu versuchen, das besser zu machen. C: Was sind für Dich positive Seiten von Enttäuschung? EB: Wenn wir konstruktiv etwas aus ihr machen können, weil dazu die Hoffnung auf eine bessere Zukunft kommt. Wenn wir sagen, da ist noch etwas möglich, also zum Beispiel die Kipppunkte zu vermeiden und eine Heißzeit zu vermeiden. Unsere Zukunft wird vielleicht nicht so stabil wie die Welt heute immer noch ist – aber das ist trotzdem besser als der komplette Klimakollaps. Jetzt kommt es eben darauf an, was die Leute und die Gesellschaft daraus machen. Ob sie dann sagen: Wir kommen mit euch auf die Straße und stehen auf, um zu sagen: So geht es nicht weiter. Bei der Letzten Generation, für die ich hier nochmal werben möchte oder auch einfach im privaten Kreis.
Verstimmt, niemals die Ernüchterung kennengelernt zu haben, begab sich Fallacius auf die Suche nach der Enttäuschung. Durch ferne Länder und durstige Wüsten wanderte er 40 Jahre, um entkräftet in sich zusammen zu sinken. In einer Vision erschien ihm ein greiser Magier. „Was muss ich tun?“, hörte sich Fallacius fragen. Der Magier schwieg und schüttelte stumm den Kopf. Fallacius fiel in einen tiefen Schlaf.
Als die Sonne das vierte Mal zum Himmel aufstieg, erwachte Fallacius aus seinem Schlaf. Den Magier spürend zuckte er mit den Achseln: „Soll wohl so sein, dass ich sie nicht finde“, murmelte er und kehrte zurück in sein Reich, wo man ihm ein opulentes Festmahl bereitete. Doch konnte er daran keine Freude mehr finden, denn immer öfter dachte er daran, wie sinnlos seine Reise gewesen war. Und so erkannte Fallacius, was Enttäuschung bedeutet.
„Lasst uns dieses Land erneuern und zu neuer Macht erheben“, verkündete er lautstark und voller Entschlossenheit. Beseelt davon, einen weiteren Überfall der Riesen zu verhindern, ließ er einen Schutzwall um sein Land errichten. Es gelang ihm später, die Ungeheuer zu besiegen, jedoch zu einem hohen Preis – er verlor seinen Bruder. Der Schmerz dieses Verlustes lastete schwer auf ihm, doch war er insgeheim erleichtert, dass der Tod seines Geschwisters ihm nicht gleichgültig gewesen war. So lebte er fortan glücklich und zufrieden bis an das Ende seiner Tage.