Ich stehe in einem engen Rock an der Seepromenade und warte auf eine Freundin. Ein Mann Mitte Vierzig spricht mich an: “Darf man dich kennenlernen?“ Als ich verneine, blickt er mich erstaunt an: “Bist du vergeben?“, fragt er. Ich antworte: „Ja, bin ich.“ Das stimmt nicht. Doch ich weiß, dass er mich nicht in Ruhe lassen wird, wenn ich weiterhin „nur“ sage, dass ich nichts mit ihm zu tun haben möchte.
Ein Mann, dem ich mich im geschäftlichen Kontext vorstellte, begrüßte mich mit den Worten: „Ach, immer diese Masken. Da trifft man mal eine schöne Frau und dann sieht man fast nichts. Bei den Männern ist mir das ja egal, aber bei den Frauen ist das echt blöd.“
Wir hatten ein Zoom-Meeting, in dem eine junge Frau einen Vortrag über Sexismus hielt. Nach fünf Minuten schalteten sich zahlreiche Bots zu, welche Schreie und Videos einspielten. Dies ging einige Minuten lang so, denn es waren so viele, dass die Moderator_innen etwas Zeit brauchten, um sie entfernen zu können. Wir waren alle sichtlich mitgenommen und die Referentin brauchte eine Auszeit, bevor sie mit ihrem Referat fortfahren konnte.
Das sind drei Erlebnisse, die ich in den letzten Wochen hatte. Ich fühlte mich in jeder dieser Situationen unwohl und unsicher. Ich bin damit eine von vielen weiblich gelesenen Personen die sexistischen Bemerkungen, Anmachen und Attacken ausgesetzt sind – Und das mitten in ihrem Alltag. Häufig werden Menschen, die über Erfahrungen mit Alltagssexismus sprechen, mit verharmlosenden Phrasen zum Schweigen gebracht. Viele von ihnen sind mit Vorsicht zu genießen und enthalten versteckte Botschaften. Diese haben oft fatalere Auswirkungen, als man im ersten Moment ahnen würde.
„Ja, das ist leider so. Damit muss man lernen, umzugehen und es nicht an einen heranlassen.“
Dass solche Dinge immer wieder geschehen, ist zwar richtig, aber alles andere als in Ordnung. Dass es als normal angesehen wird, dass ein Mensch aufgrund des eigenen Geschlechts belächelt, objektifiziert und von oben herab betrachtet wird, ist nicht tolerierbar. Durch Phrasen wie diese wird impliziert, dass sexistisches Verhalten zum Alltag dazugehört, auch wenn es nicht optimal ist. Die Aufforderung, sich anzupassen und an sich selbst zu arbeiten, damit man mit Sexismus besser umgehen kann, grenzt an Absurdität.
„Früher war es noch viel extremer.“
Das ist richtig. Natürlich geht es Frauen heute in den meisten Fällen besser als vor 50 Jahren. Doch unsere Technik hat in dieser Zeitspanne auch große Fortschritte gemacht. Dennoch sind wir nicht der Meinung, dass wir jetzt einfach aufhören sollten, zu forschen und unsere Erfindungen weiterzuentwickeln. Weshalb also den Feminismus fallen lassen, wenn wir noch weit entfernt sind vom Ziel? Solange eine Architektin belächelt wird, wenn sie als Expertin auftritt und eine Frau in einer Führungsposition nicht ernstgenommen wird, ist keine Gleichberechtigung erreicht. Ist es zu viel verlangt, sich nach einer besseren Gesellschaft zu sehnen? Anstatt unfaire Handlungen in der heutigen Zeit damit zu rechtfertigen, dass es früher schlimmer war, sollte der Blick in die Zukunft gerichtet und auf ein besseres Zusammenleben hingearbeitet werden.
„Also das ist ja noch gar nichts. Da gibt es viel Schlimmeres.“
Diese Aussage trifft Betroffene besonders hart, denn hiermit werden ihre Erfahrungen kleingeredet. Sie redet die Erfahrungen der Menschen klein. Eine Frau erzählt, dass ein Mann ihr in der Schlange im Café um die Taille fasste, um sie zur Seite zu schieben – angeblich, um besser auf das Kuchenbuffet zu sehen. Sie fühlt sich dabei unwohl und findet es eine Frechheit, dass er der Meinung ist, sie einfach anfassen zu dürfen. Ihre Freundin meint daraufhin: „Also da gibt es wirklich Schlimmeres.“ und erzählt von einem Zeitungsartikel, in dem von der Vergewaltigung einer jungen Frau berichtet wird. Man kann der Freundin in dem Punkt zustimmen, dass das rein faktisch gesehen der schlimmere Tatbestand ist. Doch diese beiden Erlebnisse haben nichts miteinander zu tun und sind deswegen nicht miteinander vergleichbar.
Wenn mehrere Menschen auf die Erzählung der jungen Frau in dieser Weise reagieren, wird sie beginnen, zu hinterfragen, ob sie sich an solchen Ereignissen wirklich stören sollte, oder ob das einfach zu ihrem Leben gehört und sie das locker nehmen muss. Sie traut sich also nicht mehr, anderen zu erzählen, wenn sie sexistische Sprüche zu hören bekommt oder ohne Erlaubnis berührt wird – am Arm, der Taille, der Hüfte. Sie beginnt, es zu tolerieren, weil niemand sie versteht und ihre Erlebnisse kleingeredet werden. Das ist das Schlimmste, das geschehen kann. Denn wenn niemand mehr über Unangenehmes spricht, wird es von uns als Gesellschaft toleriert.
Wir müssen uns Zeit nehmen, um unsere Worte zu reflektieren!
Diese Aufschlüsselung sollte zeigen, wie viel Worte bewirken können. Worte haben eine unvorstellbare Macht. Diese Macht kann zum Guten genutzt werden, doch es geschieht leider häufig das Gegenteil. Wir müssen uns Zeit nehmen, um unsere Worte zu reflektieren. Zeit, um nachzudenken, was unsere Antwort auslösen kann, wenn die Freundin erzählt, dass ihr an der Straßenbahnhaltestellte jemand „Hey, du hübsches Püppchen! Lust auf einen Kaffee?“ nachgeschrien hat. Denn unsere Reaktion auf Berichte über Alltagssexismus sind wichtig. Sie entscheiden darüber, wie wir uns persönlich, aber auch als Gesellschaft, diesem Thema gegenüber positionieren. Deswegen: Zuerst nachdenken, dann sprechen. Das würde nicht nur manchem (Alltags-)Sexist_innen guttun, sondern auch Menschen, an die diese Geschichten über sexistische Diskriminierung herangetragen werden.