Vier Kugelschreiber und ein Todesfall

Eine „Konstanzer Antwort auf Agatha Christie und sämtliche Pixar-Musicals der letzten drei Jahrzehnte” – so bezeichnen Fiona Schilling und Sophia Niehl ihr Stück „Vier Kugelschreiber und ein Todesfall”, das letzte Woche seine Premiere feierte. Wir waren vor Ort und berichten sowohl über das Stück, als auch über die Zukunft des Unitheaters, dass durch die Renovierung des A-Gebäudes vor einer ungewissen Existenz steht. Ein Artikel von Paul Stephan.

An einem Mittwochabend, an dem es ganz besonders neblig ist, verteilt eine Fahrstuhlwärterin im Publikum Kugelschreiber. Es ist die Premiere des neuen Stückes „Vier Kugelschreiber und ein Todesfall” des Unitheaters Konstanz, welches eine szenische Lesung mit Live-Musik ist. Geschrieben wurde das Stück von zwei Studentinnen, die sich mit der Vereinbarkeit der modernen Arbeitswelt und den Märchen der Gebrüder Grimm auseinandergesetzt haben.

Um was geht es?

Handlungsort ist das Gebäude eines Verlages, das sich vor allem aus drei Etagen zusammensetzt. Im Keller, da lebt die Chefin. Auf der mittleren Etage ist das Büro der Mitarbeitenden. Unter dem Dach eine Schreibwerkstatt der Autoren, die zwei Brüder sind. Eine besondere Bedeutung erhält dabei der Fahrstuhl, dessen Aufzugsführerin die Rolle der Erzählerin einnimmt. Noch bevor das Stück beginnt, verteilt jene Aufzugsführerin (gespielt von Ida Pfeifferle) in der Menge Kugelschreiber, so wie sie jedem Mitfahrenden versucht, Kugelschreiber zu verkaufen.

Foto: Giorgio Krank

Zu Beginn des Stückes stellt die Erzählerin verschiedene Figuren vor. So lernt man Sara (gespielt von Alicia Franc de Pommereau) kennen, die im Verlag alles organisiert, sowie den Lektor Hugo (gespielt von Magnus Lederer), der davon träumt, selbst einmal etwas zu veröffentlichen. Auf eine weitere Lektoratsstelle bewerben sich zwei junge Menschen: Rahel (gespielt von Antonia Kern) und Will (gespielt von Simon Otterbach). Schnell wird klar, dass es sich hier um zwei sehr unterschiedliche Charaktere handelt. Rahel liebt Bücher und sehnt sich nach der Sicherheit eines festen Arbeitsverhältnisses. Will ist ehrgeizig und sieht sich eigentlich auf der Stelle von Sarah. Die Chefin (gespielt von Marlene Marek) ruft einen ultimativen Konkurrenzkampf aus: Beide dürfen für eine Probezeit von drei Monaten im Verlag arbeiten, erst danach entscheidet sie sich, wer den Job bekommt. Auch die Stelle von Hugo, der wohl nicht immer ganz zuverlässig gewesen ist, scheint unsicher.

Schnell fällt auch ein ausgefallener Wortwitz im Stück auf. So singt Rahel zu Beginn in einem Solo: „Jetzt bin ich hier, hier im Verlag, und es scheint – ich bin etwas verlegen.” Ihr gefällt das geschäftige Treiben. „Viel brauch ich nicht”, singt sie, „ich wär’ nur gern richtig.” Später antwortet der Chor: „Stell keine Fragen, dann muss keiner lügen.”

Dass der Verlag tatsächlich ein Ort voller Intrigen ist, stellt sich bald heraus. Schon am Bühnenbild ist abzulesen, dass es sich um einen kalten Ort handelt. Während die Erzählerin, sofern sie nicht gerade selbst Lift fährt, in einem gemütlichen Sessel sitzen darf, umgeben von allerlei Gegenständen wie einem Teddybären, einem alten Telefon, einer Stehlampe und einem Helm, wird im Verlag selbst auf jegliches Bühnenbild verzichtet. In krasser Weise wird die Kälte dieses Ortes durch den Kontrast zum Erzählerinnensessel verdeutlicht.

Die Intrigen beginnen auf harmlose Art und Weise. Hugo lässt sich überreden, den Bewerber:innen einen Einblick in das Manuskript zu gewähren, an dem er gerade schreibt. Während Rahel begeistert ist, redet Will das Manuskript schlecht, weist auf Kleinigkeiten wie ein falsch gesetztes Komma hin, zerknüllt es schließlich. Parallel zu diesem Auftritt von Will, gerät Hugo ins Träumen, von seinem Durchbruch als Autor. „Dann könnte ich in Frieden sterben”, sagt er mit dem Ausblick, dass sein Manuskript erfolgreich veröffentlicht werden würde.

Der da beginnende Konflikt erfährt neue Schärfe, als Will das Manuskript von Hugo heimlich in eine Kiste mit Einsendung legt, die Hugo der Chefin übergeben soll. Gedemütigt vor der Chefin, die den Eindruck bekommt, Hugo wolle seinen eigenen Text veröffentlichen, kommt es zur Konfrontation zwischen Will und Hugo. Hugo realisiert, wie es zu der Situation gekommen war. Gekrönt wird diese Auseinandersetzung durch ein Gegeneinanderansingen der beiden, mit dem überaus poetischen Refrain von Hugo: „Will, du Pisser!”

Auf der anderen Seite erfährt man, dass Sarah Angst davor hat, dass Will ihre Stelle bekommen könnte. Nachdem sie sich an einem Apfel verschluckt und zu ersticken droht, ist es aber gerade Will, der sie retten kann. Hier scheint sich die Dynamik im Umgang zwischen Sarah und Will zu verändern. So fragt er sie: „Hätte ich dich überhaupt gerettet, wenn ich so scharf auf deine Stelle gewesen wäre?” Er geht davon aus, dass sie ihn in Wahrheit liebt, was sie entschieden zurückweist. Um sich bei der Bewerbung bessere Chancen zu verschaffen, besucht Will die Chefin, die sich sehr lobend über Sarah äußert, was diese aber nicht weiß. Stattdessen quält sie der Gedanke: „Du verlierst auch deinen Job, […] arbeiten tut er ja wirklich gut.”

Foto: Giorgio Krank

Unabhängig voneinander schütten Sarah Parfüm im Wert von 298 Euro, Hugo Putzmittel in den Kaffee von Will, beide mit der Absicht, ihn für einige Tage arbeitsunfähig zu machen, damit Rahel und nicht er die Stelle bekommt. Will schüttet so viel Zucker in seinen Kaffee, dass er Parfüm und Putzmittel nicht bemerkt und stirbt schließlich.

Was ich wollte,
Was ich suchte,
Was ich dachte,
Das ich bräuchte,
Soviel, und am Ende ist:
Nichts.

Will, im finalen Gesang

Begleitet wird die szenische Lesung durch den parallel verlaufenden Prozess des Märchenschreibens der Autorenbrüder, die durch ihre Vornamen Willhelm (gespielt von Matti Keller) und Jakob (gespielt von Stefan Gritsch) schnell mit den Brüdern Grimm in Verbindung gebracht werden. Das Märchen handelt von einem Wolf, der naive Geißlein betrügt, aber auch voller Gefühle ist. Dass der Wolf betrügt, fällt den Autoren ein, als Will mit seinen Intrigen beginnt. Kurz vor Wills Tod erfahren sie, dass es Wille der Chefin ist, dass der Wolf im Märchen sterben muss, was Jakob dazu bringt, bitterlich zu weinen. So gelingt eine sichtbare Analogie zwischen dem Wolf im Märchen und Will im Verlag.

Das Stück endet, wie es begonnen hat. Rahel lehnt es ab, die Stelle anzutreten, auf die sie sich beworben hat, sodass es am Ende des Stücks zu einem erneuten Bewerbungsgespräch kommt. Nachdem das Licht erloschen ist, hört man die Erzählerin fragen: „Kugelschreiber gefällig?” – und man hat den Eindruck, es könne nun noch einmal genau das Gleiche passieren, wie zuvor.

Foto: Giorgio Krank

Eine bemerkenswerte Leistung

Herauszuheben an dem Stück ist seine Entstehung, denn sowohl Text als auch Musik wurde von Studentinnen der Universität Konstanz geschrieben. „Es ist total schön, das jetzt auf der Bühne zu sehen”, sagt Fiona Schilling, die Autorin des Stückes, „weil es hat schon lange gedauert.”

Die Idee des Stückes entstand 2021 mitten in der Coronazeit. Zusammen mit Sophia Niehl, die die Musik für „Vier Kugelschreiber und ein Todesfall” geschrieben hat, sammelten sie über Zoom verschiedene Ideen. „Wir wollten etwas machen, was Atmosphäre hat, was Spaß macht”, sagt Fiona Schilling, „wir wollten uns ausprobieren.”

Durch die Musikalität von Sophia Niehl, die auch schon in der Unitheater-Produktion von “Oh, what a lovely war!” die musikalische Leitung innehatte, kam die Idee auf, ein Musical zu inszenieren. „Ich wusste die ungefähre Storyline, da habe ich dann die Lieder geschrieben”, sagt sie.

Die Figur der Erzählerin entwickelte sich erst im Laufe der Produktion, da das Stück ursprünglich als Film angelegt war. In diesem Fall war geplant, eine Erzählstimme aus dem Hintergrund sprechen zu lassen. Die Liftführerin hätte gar keine entscheidende Rolle gespielt. Erst beim Überarbeiten des Stückes bekam sie die Aufgabe, durch das Stück zu führen.

Das Thema des Märchens war eine spontane Idee, die sich dann gehalten hat. „Ich weiß nicht, ob man es gemerkt hat”, erzählt Fiona Schilling, „aber alle Figuren sind in Wahrheit Märchenfiguren. Sarah verschluckt sich an einem Apfel, wie Schneewittchen. Sie ist ja auch am längsten im Verlag, so wie Schneewittchen das älteste Märchen ist.”

Ihre Idee war es, die Märchenthemen in die moderne Welt umzusetzen. „Ich fand das auch cool für die Musik”, verrät Sophia Niehl, „weil dann kann man ein Zwischending versuchen, aus altertümlicher Märchenmusik und neueren Sachen zu machen.” Die Namen der Figuren orientieren sich laut Fiona Schilling an den zugrunde liegenden Märchenfiguren, wobei der Anfangsbuchstabe ausschlaggebend ist. Das „W“ in „Will“ steht demnach für den Wolf, das „S“ in Sarah für Schneewittchen.

Ausblick

Mit „Vier Kugelschreiber und ein Todesfall“ endet auch die Epoche der Studiobühne auf A5, welche durch die Renovierungsarbeiten im A-Gebäude nicht mehr nutzbar sein wird. „Das Unitheater hört nicht auf, es zieht nur um”, sagt Fiona Schilling im Hinblick auf die Renovierungsarbeiten im Gebäude A. „Für uns war es etwas, was wir immer im Hinterkopf hatten, dass das das letzte Stück auf der alten Bühne war”, ergänzt Sophia Niehl.

Die Umbauarbeiten beginnen im April. Nach Fertigstellung wird es eine neue Bühne geben. In der Zwischenzeit wird das Unitheater ins Jugendzentrum Konstanz und in den Kulturladen Konstanz (Kula) ausweichen.

„Umziehen ist untertrieben: Das Unitheater zieht aus. Wir haben noch keine Spiel- und Lagerungsstätte; wir haben nichts.”

Julian Lukacs

Bei Manchen im Unitheater stößt dieses erzwungene Ausweichen auf großen Unmut. „Das Jugendzentrum Konstanz unterstützt uns”, erzählt Julian Lukacs, der schon seit neun Semestern beim Unitheater aktiv ist, „aber die können auch nicht alles abfedern.” Letztes Semester wäre die Bühne oft recht voll gewesen. Wie das in Zukunft gehen solle, sei unklar. „Wie wir das schaffen, weiß ich nicht”, sagt er, „die große Frage ist, ob das UTK [Unitheater Konstanz] es schafft.”

Von der Universität würde er sich mehr Unterstützung hoffen, insbesondere um die Requisiten zu lagern. „Das Unitheater muss sich überlegen, was es dann noch sein möchte”, fährt Julian Lukacs kritisch fort, „es ist dann kein Unitheater mehr, sondern nur noch ein Studierendentheater, wenn wir nicht mehr an der Universität spielen können. Das ist schade, weil die Universität dadurch eine Institution verliert.”

Gleichzeitig sieht Julian Lukacs den Wechsel aber auch als Chance. „Wir haben die Gelegenheit, in die Stadt zu kommen, mehr Präsenz dort zu zeigen.” Ähnlich äußert sich Ida Pfefferle, die die Erzählerin spielt. „Ich glaube, es wird aus Orga-Perspektive sehr anstrengend”, sagt sie, „aber es ist auch eine Chance, dass wir ein anderes Publikum ansprechen können.”

Das Experiment des Unitheaters, die vertraute Bühne auf A5 zu verlassen, beginnt bereits diese Woche. Noch am 28.Februar und 1.März um jeweils 19:30 Uhr, wird im Kula Konstanz die Theaterreportage „Freigänger” zu sehen sein, die sich mit dem Alltag im Gefängnis(sleben) auseinandersetzt. Der Eintritt kostet 8 Euro, Ermäßigte 6 Euro. Tickets gibt es im Unifoyer, im Bücherschiff und beim Kula selbst.

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