Trans*Selbsthilfegruppe

Über das biologische Geschlecht hinaus: Die Trans*Selbsthilfegruppe Radolfzell

„Ich fühle mich nicht als Frau, ich bin eine Frau wurde aber lange aufgrund meines Körpers nicht als solche anerkannt. Ich habe jahrelang allen vorgelogen, ein Junge zu sein. Darunter leide ich heute noch. Es ist eine Befreiung endlich die sein zu können, die ich bin und mich nicht mehr permanent zu verstellen“, erzählt eine etwa 1,60 Meter große, dunkelblonde Transfrau lächelnd, mit einer E-Zigarette im Mundwinkel.

Die Atmosphäre in der Ideenwerkstatt in Radolfzell ist gemütlich und einladend. 36 Leute sind hier am Freitagabend des 11. Mai zum Treffen der Trans*Selbsthilfegruppe versammelt. Der Raum ist hell und bunt. Korbstühle stehen neben Ledersofas, Bücherregale geschmückt mit bunten Papageienfiguren füllen den Raum ebenso wie Whitebords und Grünpflanzen. Christin Löhner ist selbst Transfrau und hat die Selbsthilfegruppe (SHG) 2016 gegründet. Sie geht nacheinander auf alle Neuankömmlinge zu, begrüßt herzlich bekannte Gesichter und heißt noch Unbekannte willkommen. Gegründet hat Christin Löhner die Gruppe, weil sie selbst sehr gute Erfahrungen in einer Selbsthilfegruppe gemacht hat und feststellte, dass es hier in der Region an solchen Angeboten mangelt.

So schuf sie einen Raum, dessen Ziel es ist, die Persönlichkeit im Umgang mit der sozialen Umwelt zu stärken. Und dieser Raum wird gern angenommen. Der Einzugsbereich der Gruppe am Freitagabend ist groß. Aus der ganzen Bodenseeregion sind Leute da, aus Rottweil, sogar aus Österreich sind Menschen angereist. Was ausgestrahlt wird, ist Offenheit. Zum offenen Treffen der Gruppe wurde in Zeitungen eingeladen und Pressemitteilungen veröffentlicht. Heidi Wechinger, eine Krankenschwester aus Radolfzell, ist dieser Einladung gefolgt. „Die meisten Menschen wissen nicht viel über das Thema Trans* (gesprochen: Trans Sternchen). Ich wollte mich mal informieren“, erklärt sie ihren Grund hier zu sein.

Christin Löhner, Gründerin der Selbsthilfegruppe

Fehlinformationen fangen bei diesem Thema oft schon bei der Bezeichnung an. „Viele glauben Transsexualität sei so etwas wie Homosexualität. Der Begriff ist irreführend, denn Transsexualität hat nichts mit sexueller Orientierung oder sexuellen Vorlieben zu tun“, erklärt Christin Löhner, die stets fröhlich lächelt. Der Begriff „Transsexualität“ geht zurück auf Magnus Hirschfeld, einen deutschen Arzt und Sexualforscher, der ihn 1923 erstmals prägte. Die Schreibweise, die auch von der Antidiskriminierungsstelle empfohlen wird, ist Trans*. Diese stellt einen Versuch eines nicht wertenden oder kategorisierenden Überbegriffs dar. Das Sternchen soll Freiräume jenseits des binären Geschlechtersystems bieten. Gleichzeitig scheinen Menschen zu glauben, dass Transsexualität eine Entscheidung sei. In dem Youtube-Video 2 Hot Transsexuals finally give some answers begegnen zwei Transfrauen sarkastisch solchen Annahmen und ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen: „Ich musste als Sohn der Familie immer den Rasen mähen und meine Schwestern durften drinnen Bonbons essen. Das war der Moment, in dem ich wusste: Das will ich auch“, erzählt eine der Transfrauen mit ernstem Gesicht. Doch geht es bei der Thematik um etwas ganz Anderes als Süßigkeiten oder Hausarbeit.

Wer weiß, wer er_sie ist, möchte nicht aussehen, wie eine_r andere_r. Dr. med Cvetan Taskov, ein Facharzt für plastische Chirurgie aus München-Erdingen, beschäftigt sich seit 16 Jahren mit dem Thema Transsexualismus und hält den Menschen, die sich in der Ideenwerkstatt getroffen haben ein Referat über geschlechtsangleichende Operationen.

„Mit dem Gesicht begegnen wir Menschen, daher spielt die Gesichts-OP eine große Rolle“, erzählt Dr. Taskov. Wie sich Menschen gegenseitig wahrnehmen und lesen, beschreibt der Begriff Passing: „Ein Phänomen, dass Mitglieder einer gesellschaftlichen Minderheit aufgrund fehlender oder nur unmerklich ausgeprägter äußerlicher Kennzeichen nicht als solches erkannt und damit wie ein Mitglied der Mehrheit anerkannt werden.“ Äußere Merkmale spielen in unserer Gesellschaft bei der Personenwahrnehmung eine Rolle. „Ich bin in der Zeit zwischen 2000 und 2004 als ich meine Angleichung gemacht habe und auch danach noch komplett untergetaucht. Die Menschen stellen Fragen“, erzählt eine Transfrau, „die einen in eine Rechtfertigungsposition bringen. Das ist nicht leicht.“ Die Erfahrung, sich nach einer Gesichts-OP zum ersten Mal im Spiegel zu sehen, vergleichen einige der Anwesenden mit dem Gefühl, nachdem man sich die Haare von blond zu schwarz oder andersrum gefärbt hat. „Es ist eine drastische Veränderung aber im positiven Sinn.“

Männliche und weibliche Gesichtsform vergleicht Dr. Taskov mit Luftballon und Quadrat.

Es sind viele Details, die bei der Geschlechtsangleichung eine Rolle spielen. Bei Gesichtern reichen die Unterschiede von dem M-förmigen Haaransatz des Mannes über das kleine Stückchen Vorderzähne, das man bei Frauen im Gegensatz zu Männern im entspannten Lippenzustand sehen kann, bis zum bei Männern massiveren und breiteren Kinn. „Außerdem ist ein weibliches Gesicht eher oval und ein männliches quadratisch“, erklärt Taskov und lässt einen roten Luftballon und ein Quadrat über den Gesichtern von Brad Pitt und Olivia Wilde in seiner PowerPoint-Präsentation einblenden. Alle lachen.

Essentiell für eine erfolgreiche Operation sei das Verständnis vom Aufbau des menschlichen Körpers und den Unterschieden zwischen den biologischen Geschlechtern, nicht nur im Gesicht. Um eine authentische Phalloplastik (ein künstlicher Penis) zu erhalten, die nicht an eine „Wurst“ erinnert, sei es wichtig, den Aufbau eines Penis zu kennen, so Taskov. Was kann, darf oder soll man nachbauen? Woher die Haut nehmen für die Transplantation? Taskov hat viele der Eingriffe standardisiert und modifiziert. Er scheint sehr um seine Klient_innen bemüht. Immer wieder betont Taskov: „Am Ende kommt es darauf an, was mein Patient oder meine Patientin möchte. Von manchen Dingen rate ich ab, aber der Wunsch der Person steht im Vordergrund.“ Die Frage, wie man mit möglichst wenigen Narben zu einem möglichst realistischen Ergebnis kommen kann, spielt während seines Vortrags stets eine Rolle, nicht nur bei der Phalloplastik, sondern auch bei Brustvergrößerung oder -verkleinerung. Doch die anatomischen Angleichungen genügen noch nicht. Auch Veränderungen in Mimik, Gestik, Stimme und Verhalten gehören zum Übergang dazu.

„Die Angleichung war eine Erleichterung für mich – wenn man sein eigenes Selbstbewusstsein steigert, begegnet man Menschen auch dementsprechend anders. Überall die Frau oder der Mann sein zu können, die oder der man ist und auch als solche_r wahrgenommen zu werden, steigert das Selbstbewusstsein.“

Dr. Cvetan Taskov

Doch der Weg dorthin wird durch strukturelle Hürden und Diskriminierung an vielen Stellen erschwert. Heute ist Transsexualität im ICD-10, in dem statistische, internationale Krankheitsklassifikationen niedergeschrieben sind, noch immer als eine „Geschlechtsidentitätsstörung“ klassifiziert und unter dem Code F64.0 zu finden. Eine solche Störung würde vorliegen, wenn sich ein Mensch „konstant und dauerhaft psychisch vollständig mit dem Gegengeschlecht identifiziert“. Erst in der Neufassung ICD-11, die 2018 verabschiedet werden soll, wird das nicht mehr so sein. „Ich habe damals noch ein Gutachten bekommen, in dem steht, dass ich „ballaballa“ bin“, erzählt eine der Transfrauen, die ihre Geschlechtsangleichung Anfang der 2000er gemacht hat. Die Klassifikation als psychische Störung bringt mit sich, dass eine Änderung des Namens, des Personenstands oder des Geschlechts eine Begutachtung durch Sachverständige, also Psychotherapeuten, voraussetzt.

Dieses Diagnoseverfahren kann langwierig sein. Von der Krankenkasse übernommen werden die Kosten für eine angleichende Operation, die im fünfstelligen Bereich liegen, wenn der Leidensdruck, der durch die Transsexualität entsteht, so groß ist, dass dadurch ein Krankheitswert entsteht. Dies jedoch unter der Voraussetzung, dass der Leidensdruck nicht durch Therapie gelindert werden kann. Rechtlich sind diese Fragen im Transsexuellengesetz (TSG) geregelt, das in Deutschland seit 1981 gilt.

Es kursieren viele Halbwahrheiten zum Thema Transsexualismus doch die wenigsten bemühen sich diese aus dem Weg zu räumen. Die Geschichten, die erzählt werden, schockieren. Es geht um gängige Klischees gegenüber Trans*Personen und Situationen, die viele kennen. „Und dann werde ich ständig gefragt, ob meine Oberweite echt ist oder Silikon“, erzählt kopfschüttelnd eine Trans-Frau. „Ja!“ nickt bestätigend eine andere. „Manchmal bekomme ich Angst, dass mir die Leute gleich zwischen die Beine fassen, wenn sie wissen wollen, ob ich eigentlich einen Penis habe.“ „Nach Operationen, die man gemacht hat, wird auch gern gefragt“, erzählt eine Dritte. Sobald Menschen Trans*Personen gegenüberstehen scheinen jegliche gesellschaftliche Spielregeln, Respekt und Privatsphäre betreffend, außer Kraft gesetzt. Sich als Trans* zu erkennen zu geben scheint gleichgesetzt zu sein mit einem Freibrief an das Gegenüber, jegliche intime und persönliche Fragen zu stellen und unterdrückten Hemmungen bei der Frage nach Genitalien Sex oder sexuellen Vorlieben.

Was wünscht ihr euch als Veränderung in der Gesellschaft? Akzeptanz, ist die Antwort.

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