Zuvor konnten Ärzt:innen mit Geldstrafen belegt werden, nur weil sie Abtreibungen als Leistung auf ihrer Webseite auflisteten. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nie eine leichte oder leichtfertige Entscheidung. Trotzdem wurde Frauen lange der Zugang zu Informationen von den eigentlichen Experten, den Ärzt:innen, verwehrt. Damit ist jetzt Schluss. Und trotzdem wird im Paragrafen §218 eine Abtreibung in Deutschland immer noch als eine Straftat deklariert, im gleichen Kapitel mit Mord und Totschlag. Nur unter bestimmten Bedingungen bleibt ein Schwangerschaftsabbruch straffrei: im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung, aus medizinischen Gründen oder nach einer verpflichtenden Beratung innerhalb der ersten 12 Wochen nach der Empfängnis. Die so genannte Beratungsregelung besagt, dass sich Frauen mindestens drei Tage vor einer Abtreibung bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen und einen entsprechenden Nachweis darüber vorlegen müssen.
Diese verunsichernde Rechtslage trägt dazu bei, dass immer weniger Ärzt:innen eine Abtreibung vornehmen. Laut dem statistischen Bundesamt ist die Anzahl der durchführenden Ärzt:innen in Deutschland zwischen 2003 und 2021 um 40 Prozent gesunken. Zudem findet in unserer Gesellschaft immer noch eine Stigmatisierung dieser Ärzt:innen sowie der abtreibenden Frauen statt. In Anbetracht dieser Entwicklung ist es umso wichtiger über das Thema zu sprechen und darüber informiert zu sein.
Die Beratungssituation in Konstanz nach Paragraf §219a
In der Stadt Konstanz gib es zwei Angebote für ein Beratungsgespräch: „pro familia“ (Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung), ein bundesweiter Verein, der sich für sexuelle und reproduktive Rechte einsetzt und die „Diakonie“, ein Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche. Pro familia leistet in Konstanz den Großteil der Schwangerschaftskonfliktberatungen.
Entsprechend der eigenständig erhobenen Zahlen von pro familia Konstanz, wurden im vergangenen Jahr (2021) 210 Beratungen mit 225 Personen nach Paragraf §219a durchgeführt. Die Personenanzahl ist etwas höher als die der Beratungsgespräche, da manche noch eine:n Partner:in, Familienmitglied oder Freund:in mitbringen und diese dann ebenfalls in der Statistik erfasst werden. Der Großteil der Frauen, die eine Beratung wahrnehmen, ist zwischen 18 und 40 Jahre alt. Das Einzugsgebiet der Beratungsstelle umfasst den Stadtkreis und das nächste Umland. Die nächsten pro familia-Beratungsstellen befinden sich in Singen und Ravensburg. Die Beratung ist kostenlos und an keine Bedingungen geknüpft.
Doris Wilke ist Sozialpädagogin, seit 30 Jahren bei pro familia tätig und leitet seit 2017 die Stelle in Konstanz. Sie beschreibt, wie eine Beratung nach Paragraf §219a bei pro familia abläuft. Nach der ersten Kontaktaufnahme werde ein einstündiger Termin vereinbart, wobei hier kein Name genannt werden müsse, um den Klient:innen Anonymität zu gewährleisten. „Unsere Beratung ist immer an der Lebenswirklichkeit der Frauen ausgerichtet. Das heißt, zuerst klären wir die Frage: Wo steht die Frau und was braucht sie“, beschreibt Frau Wilke. Um dies zu erfassen, werde beispielsweise gefragt, ob die Entscheidung für eine Abtreibung schon gefallen ist, wie die erste Reaktion auf das Testergebnis war oder auch wie der/die Partner:in auf die Nachricht der Schwangerschaft reagierte. Wilke führt weiter aus: „Von da aus gehen wir vor und schauen, an welchen Stellen sie Unterstützung und Informationen braucht.“
Solche Hilfsmittel können je nach Bedürfnissen der Frau Informationen zu finanziellen Unterstützungs- oder zu Begleitungsmöglichkeiten nach der Geburt umfassen, aber auch Fakten über Methoden und durchführenden Praxen für einen Schwangerschaftsabbruch beinhalten. In einem letzten Schritt werde der Blick in die Zukunft gerichtet und Fragen gestellt wie: Angenommen Sie tragen die Schwangerschaft aus, was würde Ihnen da Schwierigkeiten machen? Wenn Sie einen Abbruch vornehmen, wovor haben Sie Sorge? „Die meisten sind schon relativ entschieden, wenn sie hierherkommen. Natürlich gibt es auch welche, die sich noch unsicher sind. Diese nehmen dann oft noch weitere Folgesitzungen wahr“, erklärt Frau Wilke. Allgemein können die Frauen sich jederzeit wieder an pro familia wenden, egal ob vor oder nach dem Eingriff, betont sie. „Manche kommen auch wieder und haben sich für eine Austragung entschieden und fragen uns dann nach Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung. Nach dem Abbruch nehmen das Angebot nicht so viele in Anspruch. Ich glaube, dass die meisten Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden mit ihrem Entschluss dann auch gut klarkommen. Viele sagen, dass es schmerzhaft war und sie auch traurig waren, es aber die richtige Entscheidung ist und war. Ich erlebe es selten, dass Frauen ihre Entscheidung bereuen.“
Als häufigste Gründe für eine Abtreibung nennt Frau Wilke den Wunsch eine Ausbildung zu beginnen oder abzuschließen, aber auch die (nicht vorhandene) Beziehung zu den jeweiligen Partner:innen, da diese nicht tragfähig ist, noch zu kurz andauert oder mit zu viel Streit verbunden ist. Manchmal, insbesondere bei den Mitte-20-Jährigen, liege der Grund in dem Wunsch nach Unabhängigkeit. Genauso würden in bestimmten Fällen psychische Erkrankungen eine Rolle spielen, da Frauen erst ihr eigenes Leben ordnen möchten, bevor sie Verantwortung für ein anderes Leben übernehmen. Die finanzielle Ausstattung der Frauen sei weniger entscheidend für Ihre Entscheidung, beschreibt Wilke, da der Deutsche Sozialstaat durch beispielsweise Eltern- und Kindergeld relativ viele Leistungen bereithält und so immer eine Lösung gefunden werden könne. „Auch diese Aufklärung über Unterstützungsmöglichkeiten kann Teil des Beratungsgesprächs sein“, ergänzt sie.
Die Leistungen der pro familia-Einrichtung in Konstanz werden überwiegend durch das Regierungspräsidium Freiburg finanziert. Laut Frau Wilke könnte das geforderte Arbeitspensum allein mit der staatlichen Finanzierung nicht geleistet werden. Denn die Beratung nach Paragraf §219a ist nur ein Teil des Angebots. Pro familia berät auch allgemein zu den Themen Schwangerschaft, Paarbeziehung und Sexualität, und betreibt sexuelle Aufklärung an Schulen. „Das heißt, wir finanzieren aus eigenen Mitteln noch zusätzliche Stellen“, erklärt Wilke. Diese beziehe der Verein durch kommunale Zuschüsse, Spenden, Mitgliedsbeiträge und Bußgeldzuweisungen.
Die Ausgangslage für eine Abtreibung im Landkreis Konstanz
Es gibt in Konstanz aktuell eine Stelle, bei der Abtreibungen durchgeführt werden. Bis vor kurzem waren es noch zwei, aber die entsprechende Person ist zuletzt in Rente gegangen. Frau Wilke darf im Rahmen des Interviews die Adresse der konkreten Stelle nicht nennen, da diese nur im Beratungsgespräch herausgegeben werden darf. Auch im Internet finden sich keine Informationen dazu. Frau Wilke erklärt dies folgendermaßen: „Mit Abschaffung von Paragraf §219a dürfen Ärzt:innen zwar auf ihrer Homepage informieren, es tun aber trotzdem nicht viele. Es ist gut, dass es inzwischen möglich ist, dass die Leistung einer Abtreibung neben den ganzen pränatal diagnostischen Leistungen genannt werden darf.
Trotzdem zögern immer noch viele Ärzt:innen, weil sie Konflikte mit Abtreibungsgegner:innen befürchten. Diese kampieren oft vor Beratungsstellen oder Praxen mit Bildern von zerstückelten Embryos in der Hand, die weit älter als zwölf Wochen sind, und sprechen die Frauen an.“ Zuletzt gab es ein Urteil, wonach solche Proteste nicht mehr direkt vor den Beratungsstellen stattfinden dürfen. Trotzdem gibt es laut Frau Wilke von Seiten der Ärzt:innen immer noch Befürchtungen. Die pro familia-Beratungsstelle in Konstanz habe damit jedoch aktuell keine Probleme. Der letzte Vorfall liege etwa 15 Jahre zurück, wobei damals Worte wie „Mörder“ an die Wand gesprayt wurden.
Welche Methoden der Abtreibung gibt es und welche davon werden in Konstanz durchgeführt?
Allgemein gibt es in Deutschland zwei Methoden für eine Abtreibung: Den chirurgischen Abbruch mittels Absaugung oder Ausschabung und den medikamentösen Abbruch durch die Einnahme von Medikamenten. Ein medikamentöser Eingriff kann bis zur 9. Woche nach der letzten Blutung (bzw. 7. Woche nach der Empfängnis) und ein chirurgischer bis zur 14. Woche nach der letzten Blutung (bzw. 12. Woche nach der Empfängnis) durchgeführt werden. Eine genaue Beschreibung der Methoden findet sich beispielsweise auf der Seite von pro familia Deutschland (siehe https://www.profamilia.de/themen/schwangerschaftsabbruch). Diese Methoden werden im Rahmen des Beratungsgesprächs vorgestellt sowie eine Liste mit möglichen Adressen im Kreis (Bodenseekreis, Stadt und Landkreis) ausgehändigt. Frau Wilke erklärt, dass die Konstanzer Stelle chirurgische Abtreibungen durchführt. Für einen medikamentösen Abbruch gebe es aber verschiedene Möglichkeiten im Landkreis.
Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit zuhause einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. So bietet zum Beispiel das Familienplanungszentrum „Balance“ in Berlin Videoberatungen und telefonische Begleitung während und nach der Medikamenteneinnahme an. Der Verein „Doctors for Choice Germany“ unterstützt und begleitet das Projekt (siehe www.schwangerschaftsabbruch-zuhause.de). Frau Wilke meint, dass dieses Konzept bei ihr in der Beratung wenig thematisiert oder nachgefragt werde, da die meisten sich die Sicherheit einer Praxis mit medizinischem Personal wünschen.
Die Kosten eines Abbruchs können je nach Einkommen der Frau variieren, ab einer bestimmten Grenze kann eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden. Das Land erstattet später die Kosten, die insgesamt bei etwa 500 Euro liegen.
Aber nochmal zurück zur Abschaffung des Paragrafen §219a. Hat das etwas an der Situation hier in Konstanz verändert?
Frau Wilke sieht das eindeutig: „Es gehört zu dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen, sich selbständig Informationen verschaffen zu können. Ärzt:innen betreiben keine Werbung, wenn sie diese Informationen bereitstellen. Es darf keiner bestraft werden, nur weil er/sie sich über das Angebot informiert.“ Seit der Abschaffung des Paragraphen wurde eine Vorlage mit Informationen vom Landesverband pro familia an die Ärzt:innen hier im Landkreis weitergeleitet, um ihnen die Veröffentlichung von Informationen auf den Webseiten zu erleichtern. Wahrgenommen habe dieses Angebot bis jetzt noch keine:r. Jedoch findet laut Frau Wilke ein guter Austausch zwischen den durchführenden Ärzt:innen und der Beratungsstelle statt.
Trotzdem sieht die Leiterin von pro familia Konstanz, sowie der gesamte Verein, die Abschaffung von Paragraf §219a nur als einen ersten kleinen Schritt an: „Auch der Paragraf §218, der Abtreibungen als Straftat festlegt, muss aus dem Gesetzbuch raus. Der Schwangerschaftsabbruch hat nichts in der gleichen Rubrik mit Mord und Totschlag zu suchen. Der Vorgang ist für die Frauen schon schwer genug und muss nicht noch durch eine solche strafrechtliche Regelung belastet werden. Was für mich da dazugehört, ist die Verankerung und Finanzierung eines sehr guten Beratungsangebots durch den Staat. Jede Frau muss die Möglichkeit haben, sich in dieser Entscheidungssituation fundiert und gut beraten zu lassen. Zudem ist auch eine verstärkte Prävention in Form von sexueller Bildung wichtig. Oft liegt es an Nichtwissen, dass es zu einer Schwangerschaft kommt.“
Natürlich ist es erleichternd, dass es bei uns in Deutschland mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch schrittweise vorangeht. Trotzdem ist es wichtig, die bestehende strafrechtliche Regelung zu hinterfragen. Viele Abgeordnete der Grünen und Sozialdemokraten aus der Ampel-Koalition sehen die Entkriminalisierung von Abtreibungen als den zwingenden nächsten Schritt an. Auch die LINKE-Partei setzt sich für die Streichung des umstrittenen Paragrafen §218 ein. Es bleibt spannend, wie sich diese Debatte in Deutschland weiterentwickelt.