Schwarze Geiss und rote Bücher

Rechts neben der Treppe zu den Büro-Räumen, ganz hinten in der Buchhandlung „Schwarze Geiss“ fällt das Bild kaum auf. Andreas Rieck, der Teil des Kollektivs ist, welches das Geschäft am Obermarkt leitet, muss erst einige Dinge zur Seite schieben. Hinter dem Glas des Bilderrahmens legt er eine Tuschezeichnung frei. Darauf ein bärtiger Mann vor einer MengeBücher, die den gesamten Hintergrund ausfüllen, übereinander, nebeneinander, gestapelt und geschichtet. Es ist eines der wenigen Dinge, die auf den ersten Blick darauf hindeuten, in diesem Buchladen ist etwas anders.

Das Bild verströmt den Geist der linksalternativen und friedensbewegten Szene, die viele der heutigen Aktivistinnen und Aktivisten nur noch von alten Fotos kennen. Jene Welt der Gründung des Buchladens und moderner Aktivismus zerfließen im Schaufenster, wo die alten Ideale auf die aktuellen Themen treffen.

Immer wieder stellt Esther Andrusko, die hier arbeitet aber nicht selbst zu der Generation der Ursprünge der Schwarzen Geiss gehört, Bücher zusammen zu einem Thema, mehr oder weniger vertreten in den Schlagzeilen, aber doch aktuell. Vor der jüdischen Literatur war es das Thema Rassismus, das aus den Nachrichten in die Auslage geschwappt war. Das ist allerdings kein neues Thema in den Regalen. „Das ist mit dem Antifaschismus eng verknüpft. Ich konnte aus dem Vollen schöpfen, da wir schon vor George Floyd viel davon im Laden hatten“, erzählt Andrusko. Alle ein bis zwei Wochen sollen neue Bücher neue Kundinnen und Kunden in den Laden locken, weil es immer neue Themen gibt und die Bände sonst in der Sonne ausbleichen.

Die Kundschaft ist heute bunt gemischt:

„Es kommen auch viele ältere Leute, die eher konservativ sind, weil wir eben einen sehr persönlichen Service bieten. Wir kennen die Menschen und ihre Lesegewohnheiten. Das schätzen auch viele, die früher aus politischen Gründen nicht zu uns gekommen wären.“

Nur ein Raum, mit einer Sachbuch- und einer Belletrisik-Seite. Aber dafür mit ausgesuchtem Lesestoff, darauf wird in der Schwarzen Geiss größten Wert gelegt:

„Gute Bücher landen schon mal zufällig in der Bestsellerliste, aber wenn Verkaufszahlen das einzige Kriterium sind, geht das gegen jeden Instinkt,“

findet die Buchhändlerin. Sie bezeichnet alle am Laden Beteiligten als bibliophil und scheint zufrieden damit, wie sie diese Liebe hier ausleben können. Trotzdem wolle man sich nicht zu sehr auf die besonders gebildeten Schichten fokussieren:

„wir wollen nicht nur ein Laden für die Intellektuellen und Linken sein.“

Verbunden seien aber viele Kund_innen schon der Grünen oder Linken Partei. Oder Protestbewegungen wie den Demos gegen TTIP und „Fridays for Future“, für die sie auch Anlaufpunkt zum Bücherkauf seien. Während der großen Klima-Demos schloss der Buchladen zur Unterstützung seine Türen. Wenn aber Kund_innen die Regale durchstöbern, hat der Buchladen auch in Zeiten des Internethandels nichts von seinem Charme verloren, freut sich Andrusko:

„Man kann sich hier auch einfach eine Stunde aufhalten und sich umschauen.“

Neben dem Schmökern ist für sie das Zwischenmenschliche entscheidend:

„Das Internet bietet nur ein reduziertes Bild. Wenn man Menschen treffen und sich austauschen kann, kommt einfach mehr rüber. Ich denke, die Abbildung verschiedener Themen ist schon eine andere, wenn unser Team aus fünf Personen mit Verlagen und Autoren im Hintergrund die Entscheidungen getroffen hat, als wenn es Vorschläge von einem Algorithmus auf einer Plattform sind. Für dieses Entdecken stellen wir den Raum zur Verfügung, diesen Anspruch haben wir.“

Deshalb schwärmt sie auch von der Freiheit, auch Bücher, die sich schlecht verkaufen, über Jahre in die Regale stellen zu dürfen. Betriebswirtschaft hin oder her, weil ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen diese Bücher am Herzen liegen. Will man verstehen, wie wichtig diese fast schon trotzige Haltung gegenüber dem Buchmarkt für die Schwarze Geiss ist, muss man zurückschauen zu ihrer Gründung. Andreas Rieck kam nur wenig später zu der Gruppe, die Wert auf ihren Charakter als Kollektiv legt und um dessen wechselnde Besetzung der Laden bis heute organisiert ist. Außerdem war er der erste Auszubildende der Schwarzen Geiss.

Eine Gruppe von Studierenden hatte den Wunsch, einen Info-Laden zu gründen. Kostenlose Information aus dem Milieu der Neuen Sozialen Bewegungen für alle, so das erste Ziel. Nur Geld war keines da, berichtet Rieck: „Die waren ja alle auf BAföG.“ Zur Finanzierung wurde aus kostenloser Information ein Buchladen, informativ als Charaktereigenschaft und ein Geschäft, um eben überhaupt zu existieren. Eine Quelle für all die Literatur, die über andere Buchhändler_innen nicht zu bekommen war, weil die Verlage zu klein oder die Händler politisch zu abgeneigt waren. In den Trümmern, die ein explodierter Boiler aus einer Wäscherei hinterlassen hatte, ging es am 17. März 1977 los. Gestikulierend beschreibt Rieck, wie Öl für den Ofen aus dem Keller geholt werden musste, über Trittsteine balancierend, weil der Boden von einer undichten Güllegrube geflutet worden war. Die Angst der ersten Stunde war trotzdem der eigene Erfolg. Was, wenn es plötzlich Gewinne gibt, werden sie dann selbst teil des Kapitalismus?

„Es gab aber weniger das Problem, Gewinne zu akkumulieren, als die Pleite auszutricksen,“

lacht Rieck heute. Verkauft wurde aus Idealismus während der großzügigen freien Zeit, die die lockeren Studienbedingungen zuließen. Kleine Kredite und Bücherkonten machten die Einrichtung eines Geschäftes überhaupt möglich. Als der Laden sich dann aber doch etablierte, kamen mit dem Geld die ersten Konflikte und für Rieck und die anderen Beteiligten begannen die intensive Beschäftigung mit dem System, das sie eigentlich ablehnten. Der Geschäftsaufbau ist komplex und erfordert neben einer GmbH weitere Gesellschaften und Treuhandverträgen. Alles mit einem Ziel: „Unser Kriterium ist die Kapitalneutralisation.“ Profit soll nicht die Möglichkeit bekommen, zum lautesten Teilhaber zu werden, der das Geschäft dominiert.

Wenn Andreas Rieck darüber ins Erzählen kommt, verwendet er Begriffe wie „Win-Win-Situation“, ein erster Hinweis, dass es hier nicht nur um die Ablehnung eines Systems geht, sondern um dessen Ausnutzung auf dem Weg zu einem Laden mit anderen Zielen. Oder er betont die professionelle Leistungsfähigkeit des Ladens, denn natürlich steht die Schwarze Geiss auch ohne Profitstreben im Wettbewerb zu all den anderen, die sich derzeit auf dem Markt befinden. Die Erfolge, die Rieck aufzählt, sind dabei durchaus sehenswert: Der Buchladen bekam einen Online-Shop, ein halbes Jahr bevor Amazon gegründet wurde. Und als der Riese die Lieferzeiten für Bücher immer weiter verlängerte, konnte die Schwarze Geiss ihren Umsatz verzwölffachen. Moderne Softwaresysteme für die fortschreitende Digitalisierung, die andere für zehntausende Euro erwerben mussten, die sie kaum hätten aufbringen können, bastelten sie es in der Schwarzen Geiss einfach selbst.

Auf die Gründungswerte berufe man sich aber weiter, beteuert Rieck, „sonst hätte das alles auch keinen Sinn.“ Nur sei die Belegschaft statischer geworden, der früher übliche Wechsel fehle, da sie sich heute nicht mehr so sehr aus der Universität und ihren Konstanzer_innen auf Zeit rekrutiere. Umgekehrt, es gäbe sogar viele Studierende, die die Schwarze Geiss gar nicht mehr kennen, bedauert Rieck. Und so erklärt es sich wohl auch, warum Rieck den Laden, nur wenige Sätze nachdem er die Erfolge aufgezählt hat, halb im Spaß als „Linken Dinosaurier“, der gerade noch übriggeblieben ist, bezeichnet.

„Die Grundlagen des politischen Diskurses haben sich in ein anderes Medium verlagert,“

sagt er. Den Laden gebe es eben schon lange. Wie viel Zukunft ihm noch bleibe, sei dennoch unklar. Rieck sieht das durchaus radikal:

„So ein Buchladen ist eigentlich überflüssig geworden. Wenn Du heute jung und hungrig bist, machst du keinen Buchladen mehr auf. Die Zeit ist eben weitergegangen.“

In den Anfangszeiten habe er das anders erlebt:

„Ich bin richtig enttäuscht, dass ich keine Drohbriefe mehr bekomme,“

lacht er. Fast beiläufig erzählt er von den Anschlägen auf den Laden, von Farbschmierereien oder der Sorge vor einem Brandanschlag. Auch von Seiten der Staatsmacht erhielt die Schwarze Geiss durchaus Aufmerksamkeit. Irgendwann verbreitete sich die Information, dort werde eine verbotene Zeitschrift geführt, die RAF-nahe „radikal“: „Deswegen hatten wir zwei oder drei Hausdurchsuchungen“ und der zuständige Kommissar sei irgendwann persönlich bekannt gewesen.

Aber ganz so abgeschrieben möchte Rieck den Buchhandel dann doch nicht dastehen lassen. Genau wie bei seiner Kollegin Esther Andrusko ist die Beziehung zum Medium Buch von einer tiefen Zuneigung geprägt. Der Puls der Zeit mag nicht mehr aus Druckerschwärze bestehen, aber wertlos ist das Medium für ihn deshalb noch lange nicht.

„Gedrucktes Papier ist nicht flüchtig. In der Universitätsbibliothek geht der Bestand zurück bis ins 15. Jahrhundert,“

schwärmt er.

„Hätten die Nazis eine Digitalkultur gehabt, wären heute keine Daten mehr vorhanden. Eine schwarz auf weiß gedruckte Information hängt immer noch mit Personen zusammen, die den Mut haben, für etwas zu stehen.“

Für diese Mutigen will die Schwarze Geiss weiter da sein.

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