„Wir kreiden an!“ – Catcalls of Konstanz

Wenn auf Konstanzer Straßen mit Kreide geschrieben wird, geht es nicht etwa um bunte Kinderbilder, sondern um sexuelle Belästigung. Mit der weltweiten Initiative „Chalk Back“ macht auch die Ortsgruppe „Catcalls of Konstanz“ sexuelle Belästigung sichtbar.

Ankreiden, was falsch läuft und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die weltweite „Chalk Back“ Kampagne erhebt ihre Stimme gegen sexuelle Belästigung. Die in New York gegründete Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf die alltäglichen Erfahrungen von Personen, die von Catcalling betroffen sind, aufmerksam zu machen und diese an den Orten des Geschehens sichtbar zu machen.


Catcalling, das unerwünschte Pfeifen, Rufen oder Belästigen auf der Straße ist leider immer noch ein weitverbreitetes Phänomen. Die Kampagne bietet einen Raum, in dem Betroffene ihre Geschichten anonym per Instagram-Direct-Message teilen können, sodass diese dann öffentlich an den Orten des Geschehens im wahrsten Sinne des Wortes angekreidet werden. So wird Solidarität gezeigt und auf das Ausmaß dieses Problems aufmerksam gemacht. Mit starken Worten und inspirierenden Aktionen fordert die Kampagne Respekt, Gleichberechtigung und Sicherheit für alle im öffentlichen Raum ein. Sie inspiriert und ermutigt Menschen weltweit, sich gegen Catcalling einzusetzen und gemeinsam für eine Gesellschaft einzustehen, in alle Personen frei von Belästigung und Übergriffen leben können.

Die Konstanzer Ortsgruppe

Die Konstanzer Ortsgruppe wurde im Dezember 2020 gegründet und ist seit Oktober 2022 nach einer Pause wieder aktiv. Das Kernteam in Konstanz besteht derzeit aus fünf Studentinnen: Silva Schilling, Deborah Wiegand, Stella Sundheimer, Jenny Wunschik und Pia Sedlmeier. Außerdem gibt es noch wechselnde Freiwillige. Sie sind zwar die Personen hinter den Ankreidungen, doch wer ankreidet, ist nicht wichtig. Darin sind sich alle einig: „Diese Ungerechtigkeiten müssen öffentlich gemacht werden.“ So steht Catcalls of Konstanz auch mit anderen Städten in Verbindung wie Mainz oder Freiburg. Der Austausch über Social Media wie das gegenseitige Kommentieren oder Reposten von Beiträgen, gehört genauso dazu wie das Planen von gemeinsamen Events und das gemeinsame Ankreiden. In Deutschland ist „Chalk back“ seit dem Sommer 2021 ein eingetragener Verein, sodass es seitdem auch Mitgliederversammlungen gibt. Der Verein finanziert sich durch Spendengelder, die dann direkt in die Ortsgruppen fließen können für Banner, Sticker und Kreide.


Obwohl die Initiative weltweit greift, hat Catcalls of Konstanz wenig Kontakt in andere Länder. Da es jedoch bei den einzelnen Ortsgruppen ohnehin hauptsächlich um die eigenen Straßenaktionen geht, ist der fehlende Kontakt kein Mangel, erklärt die Ortsgruppe. Schließlich hat das Team genug damit zu tun, alle eingehenden Nachrichten anzukreiden. Die Anzahl der Nachrichten ist sehr unterschiedlich, erklärt Silva. „Das ist auch Algorithmus bedingt. Daher kann man nicht sagen, eine Nachricht pro Tag. Es ist auch Jahreszeiten abhängig, weil leider manche Leute denken, ein Outfit lädt zu Sprüchen ein.“ Dabei sind es nicht nur Frauen, die von Catcalls berichten. Auch non-binäre Menschen schreiben Nachrichten und einmal hat Catcalls of Konstanz auch Homophobie angekreidet. Die schlimmste Nachricht in Konstanz ist bisher ein eindeutiger Missbrauchsfall gewesen. So kreide die Ortsgruppe alle Fälle von Diskriminierung und übergriffigen Verhalten an, auch wenn der Ursprung Catcalling gewesen sei.

Gemeinsam kreiden „Catcalls of Konstanz“ Catcalling und Sexismus an. Foto: Marie-Louis Kindsvater

Wie das Umfeld auf das Ankreiden reagiert

Die Reaktionen, die sie dabei auf der Straße erfahren, sind sehr unterschiedlich. Die Gruppe weist aber auch darauf hin, dass man sich bewusst sein müsse, dass man in dem Moment, in dem man als „Catcalls of Konstanz“ auf die Straße geht, selbst Anfeindungen ausgesetzt sein könne. „Es passiert einfach, dass blöde Kommentare kommen, die nicht verstehen, worum es uns geht und uns dann beleidigen oder auch ironischerweise catcallen“, berichtet Stella. Durch die Kreide ziehen sie auch Kinder an, denen sie Sexismus dann kindgerecht erklären müssen. Meistens wird im Vorbeigehen aber eher über die Personen, die ankreiden und das, was auf dem Boden geschrieben wird, als mit der Ortsgruppe direkt gesprochen. Ihre Arbeit sehen sie mit gemischten Gefühlen, erzählt Jenny. „Wir wollen Nachrichten bekommen und ankreiden können. Jede Nachricht ist allerdings auch immer wie ein Schlag ins Gesicht: Was ist mit der Welt los? Es ist weniger, was in den Nachrichten drin steht, das einen berührt, als dass überhaupt etwas passiert ist.“ Als Aktivist:innen habe die Ortsgruppe natürlich noch einmal einen anderen Blick auf Situationen des Catcallings. Sie würden sich Handlungsmacht durch das Ankreiden im Namen aller Betroffenen zurückholen.

„Wut treibt uns in unserem Aktivismus dran. Emotional involviert zu sein, ist deshalb auch wichtig.“

Deborah Wiegand, Mitgleid „Catcalls of Konstanz“

Catcalls passieren überall

Wo sie diese eigene Handlungsmacht dann vor Ort einsetzen, sagt jedoch nur bedingt etwas über die Sicherheit in den verschiedenen Konstanzer Stadtteilen aus. Oft kreiden sie an der Marktstätte an, was vermutlich auch mit der Frequenz an Leuten zu tun hat, die dort vorbeilaufen. Auch am Seerhein, gerade am Herosé-Park oder in der Nähe der Clubs ist die Ortsgruppe oft unterwegs. „Generell dort, wo sich viele Leute aufhalten. Aber die Nachrichten über Catcalling mit der Sicherheit der Stadtteile gleichzusetzen ist schwierig“, erklärt Silva. Das liege auch daran, dass die Dunkelziffer bei Catcalling besonders hoch sei. Viele Menschen würden Catcalling einfach hinnehmen und würden es nicht unbedingt als eine unsichere Situation einstufen. Deshalb sei es umso wichtiger, dass es zu einer ähnlichen Gesetzeslage wie in Frankreich, Belgien oder Portugal kommt, bei denen verbale sexistische Äußerungen, obszöne Gesten oder Hinterherpfeifen illegal seien. „Das hätte eine Signalwirkung. Aber es ist auch eine Frage nach der Handhabung bei solchen Fällen. Denn die catcallende Person ist durch Anonymität und die Flüchtigkeit der Momente geschützt und die Polizei reagiert leider immer noch nicht sensibel genug“, erklärt Silva. Catcalling passiere meist in stark frequentierten Bereichen und trotzdem habe es selten Konsequenzen, deshalb müssten vor allem auch Umstehende besser darauf reagieren.

„Es gibt keine Lösung, die nicht mit einem krassen Denkwechsel verbunden wäre. Man muss einfach davon wegkommen, dass Catcalls nett gemeint sind.“

Silva Schilling, Mitgleid „Catcalls of Konstanz“

Der Unterschied von Konstanz zu Großstädten ist dennoch sichtbar. Irgendwann höre man laut Stella auf, in Städten wie Köln zu zählen, wie oft man gecatcalled wird. Die von Täter:innen gesehene Angriffsfläche sei in Großstädten leider deutlich größer, was auch mit einem bereits am Nachmittag stattfindenden Alkoholkonsum und dem Sinken der Hemmschwelle in Verbindung stehe. Außerdem sei die Hemmschwelle im ländlichen Raum, solche Strukturen sichtbar zu machen, deutlich höher. Deborah ergänzt: „Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass wir noch viel mehr Nachrichten bekommen müssten, aber viele trauen sich nicht, denn im Schnitt gibt es als totale Zahl weniger Menschen auf dem Land, die Catcalling als solches einordnen.“

Wie Institutionen mit Catcalling und sexueller Belästigung umgehen

Die Ortsgruppe hat erschreckenderweise immer wieder festgestellt, dass die meisten Leute in ihrer Jugend öfter belästigt wurden als heute. Solche Nachrichten würden deutlich machen, dass viel mehr gegen verbale sexuelle Belästigung unternommen werden müsse. Doch nicht nur auf der Straße ist Sexismus ein Problem. „Wir wissen auch, dass es täglich viele Machtmissbräuche an der Uni gibt. Wir brauchen Strukturen, die das verhindern und sanktionieren. Aus unserer Perspektive bedeutet das aber primär, wir müssen das erst einmal sichtbar machen“, berichtet die Ortsgruppe. Anlaufstellen gebe es zwar bereits, aber oft stellen diese noch immer keinen „Safe Space“ dar, denn Beratungsstellen hätten keine Handlungsmacht, weshalb es selten für Täter:innen Konsequenzen gebe. „Da sind einfach immer viele Hierarchien im Spiel, dass manchen nahe gelegt wird, sich keine Handlungsmacht zu holen.“ Mit Handlungsmacht meinen sie in dem Fall, dass sich Opfer an weitere Anlaufstellen wenden oder die Täter:innen konfrontieren.

Dennoch seien verschiedene Konzepte in den unterschiedlichsten Lebensbereichen wichtig: Kampagnen in Bars und Clubs, die noch immer viel zu langsam anrollen, wie beispielsweise „Nachtsam“. „So etwas ist wichtig und in Konstanz längst überfällig. Solche Konzepte stoßen Themen an, aber sie sind immer noch zu kurz gegriffen. Stella kritisiert: „Durch das einmalige Ausstellen des Zertifikats nach dem Seminar nimmt „Nachtsam“ die Teilnehmenden möglicherweise in Zukunft aus der Verantwortung, da es als abgehakt angesehen werden könnte. Es ist eben ein Prozess, der immer weitergeht, mit immer neuem Hinterfragen. Gerade das so sichtbar zu machen, wäre wichtig.“ Trotzdem habe die Ortsgruppe das Gefühl, dass sich langsam etwas tue. Der Druck wird größer, sodass sich betroffene Orte damit auseinandersetzen müssen.

Auch wenn sie zuvor von Wut gesprochen haben, gehe es nicht darum, die Wut loszuwerden, denn „Cat Calls of Konstanz“ kreiden an, um Opfern eine Stimme zu geben und strukturelle Probleme sichtbar zu machen.

Seid ihr auch von Catcalling in Konstanz betroffen und möchtet, dass die tat angekreidet wird? Dann schreibt der Ortsgruppe auf Instagram:

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