Wer lernen will muss hören: Podcasts als Wissensvermittler, Konsumgüter und Unterhaltungsmedium

Ich putze das Bad und lausche Tommi Schmitt und Felix Lobrecht, die von ihrem Alltag im Corona-Lockdown erzählen. Während ich mit dem Auto fahre, höre ich Candice King und Kayla Ewell dabei zu, wie sie sich mit einer Expertin über die richtige Ernährung in der Zeit nach der Geburt eines Kindes unterhalten. Mein Spaziergang wird von Jan Böhmermann und Olli Schultz begleitet, die über den österreichischen Bundeskanzler diskutieren.

Wie sich die meisten von euch bereits denken werden, habe ich keine Wanzen in den Wohnzimmern dieser Personen versteckt, oder deren Handys gehackt. Nein, ich gehöre zu einer immer größer werdenden Gruppe an Menschen, die aktuell laut einer Studie von Goldmedia ungefähr ein Achtel der deutschen Bevölkerung ausmacht – den Konsument:innen von Podcasts. Dass sich das Medium solch großer Beliebtheit erfreut, hat diverse Gründe.

Das wohl Verlockendste an Podcasts ist, dass man sie immer und überall hören kann.

Es ist ganz egal, ob man gerade mit der Bahn fährt, die Wohnung aufräumt oder sich allein in eine Bar setzt und ausnahmsweise einer anspruchsvollen Unterhaltung lauschen möchte – Podcasts sind stets zur Stelle. Die Themenfelder sind weit gestreut und bieten jedem Geschmack mindestens ein Format, welches die gewünschte Thematik aufgreift und diskutiert. Egal ob seichte Unterhaltung, politische Bildung, aktuelle Nachrichten oder Expert:innenwissen über Schach-Großmeister –

Wer lernen will muss hören!

Wer mehr Informationen innerhalb von noch kürzerer Zeit konsumieren möchte, kann die Abspielgeschwindigkeit auf eineinhalb-fache oder sogar zweifache Geschwindigkeit stellen. Podcasts sind die perfekten Begleiter im Alltag– für Jung & Alt, wissbegierig & zerstreuungswütig, zufrieden & genervt.

Podcasts beschränken sich jedoch nicht nur darauf, ihren Hörer:innen einen auditiven Genuss zu bereiten. Es ist in den letzten Jahren eine regelrechte Maschinerie rund um Podcasts entstanden. Manche Produzierenden verkaufen Merchandise. Andere bieten Podcast-Workshops für Interessierte an. Wieder andere weben Produktplatzierungen in ihre Folgen ein, um daraus Profit zu schlagen.

Auch dieses Medium ist nicht frei von kapitalistischen Interessen. Und da es allen Menschen frei überlassen ist, einen Podcast zu produzieren, nutzen viele diese Möglichkeit, um bekannt zu werden und Geld damit zu verdienen.

Was sagt all das über uns und unser Konsumverhalten aus? Bedienen Podcasts nicht genau das „Höher, Schneller, Weiter“-Prinzip, welchem unsere Gesellschaft so erbittert nachstrebt? Man muss sich nicht extra die Zeit nehmen, das Medium zu konsumieren. Man kann das tun, während man anderen Aufgaben nachgeht. Man muss einem Podcast nicht seine volle Aufmerksamkeit schenken. Wenn die Sprecher:innen die Unterhaltung nicht schnell genug führen, kann das Ganze mit einem Klick beschleunigt werden. Wenn einem die Nachrichten, von denen der/die eine Podcaster:in berichtet, nicht gefallen, wählt man ein anderes Format aus, das besser zur eigenen Meinung passt– Es gibt ja genügend Auswahl.

Und doch füllt der Podcast die Stille, wenn ich allein zu Hause bin. Er unterhält mich, wenn Lichtblicke im Unialltag selten geworden sind. Er bietet Menschen, die ansonsten nicht gehört werden, eine Plattform und gibt ihrer Stimme Raum, sich zu entfalten.

Das Medium Podcast ist vielfältig– Genau darauf sollte man sich konzentrieren.

Viele Podcasts bieten die Möglichkeit, Wissen über Themen zu erwerben, die ansonsten an den Rand der Gesellschaft gedrängt und überhört werden– Trauerbewältigung nach dem Suizid einer nahestehenden Person, Probleme mit der mentalen Gesundheit im Online-Studium, Weitermachen nach physischen oder psychischen Rückschlägen. Dieses Potenzial des Mediums sollte häufiger und vielfältig genutzt werden.

Über das Hören kann noch so viel mehr vermittelt werden als Wissen. Unterschiedliche Kulturen, Verständnis, Empathie, die Möglichkeit eines Perspektivenwechsels– All das können Podcasts hörbar machen. Um es mit anderen Worten zu sagen: Wer hören will, wird fühlen und lernen.

Die in der Einleitung erwähnten Podcasts tragen folgende Titel: Directionally Challenged by Candice King and Kayla Ewell, Gemischtes Hack mit Tommi Schmitt und Felix Lobrecht, Fest und Flauschig mit Jan Böhmermann und Olli Schultz. Besondere Podcast-Empfehlung: Story of my Limo mit unserer ehemaligen Chefredakteurin Charlotte Krause und Katharina Katalin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Posts
Lesen

YouTuberin “Typisch Sissi” aus Konstanz im Gespräch

Mit ihrem YouTube-Kanal „Typisch Sissi“ hat Sissi Kandziora aus Konstanz eine Reichweite von etwa 250.000 Menschen, auf Instagram folgen ihr über 30.000 Accounts. Seit bereits elf Jahren steht sie vor der Kamera und teilt ihr Leben mit der Öffentlichkeit. Sissis mediale Präsenz hat dabei im Laufe der Jahre und besonders seit 2015 einen thematischen Wandel durchlaufen. Seit wenigen Jahren zeigt sie sich nachhaltig und konsumkritisch. Das war nicht immer so. Sissi befasste sich in ihrer Anfangszeit mit Themen wie Beauty, Fashion und Lifestyle, machte Werbung für Produkte und zeigte stolz in ihren YouTube-Videos, was sie in den Geschäften erbeutet hat.
Helga Hildebrandt
Lesen

Nachdenken war Luxus: Wie meine Großmutter den Krieg erlebte

Meine Oma, Helga Hildebrandt, geboren am 3. März 1937 in Bielefeld, ist eine fantastische Geschichtenerzählerin. Als neugieriges Enkelkind war ich darauf erpicht, im Haus meiner Großeltern alle Ecken und Winkel zu durchstöbern. Dabei fielen mir immer wieder wunderschöne Fotos von ihr als Varieté-Künstlerin ins Auge, die bei ihr und meinem Opa bis heute in der Küche hängen. Auf den Bildern hat sie dunkles, lockiges Haar und glitzernde Kostüme mit weißen Rollschuhen an. Daher lag die Vermutung nah: