Auf einer dunklen Fläche liegt ein in Zeitung eingewickelter, nicht erkennbarer Gegenstand. Blut sickert aus der Umhüllung. Neben dem Gegenstand befindet sich ein Fisch mit ausdrucksloser Miene. Er liegt auf einer Halterung und scheint bewegungsunfähig zu sein. Auf der linken Seite sind technische Apparate zu sehen, die einem frühen Computer ähneln und durch zahlreiche Kabel mit einer Art Schaltkasten verbunden sind. Neben den Apparaten stehen ausgeschaltete Lampen. Ein Zweig rankt sich über den Gegenständen, der am Ende rote Blüten hat. Im Hintergrund ist der dämmernde Himmel zu sehen, außerdem eine gigantische Fruchtblase, in der drei Kreuze schemenhaft aufragen.
Die Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz zeigt derzeit die Werke einer besonders fantasievollen Künstlerin: Cornelia Simon-Bach, Jahrgang 1941, hat zunächst im Stil der Naiven Kunst gemalt, bei der betont einfache und unbekümmerte Motive im Vordergrund stehen. Später ist sie zur surrealistischen und fantastischen Kunst übergegangen. Simon-Bach hat 1961 ein Studium der Bühnenbildnerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien begonnen und sich im Jahr darauf an der neu gegründeten Bodensee-Kunstschule eingeschrieben. Beide Studiengänge hat sie nicht beendet, das Zeichnen hat sie sich als Autodidaktin selbst beigebracht. Für die Werke der Künstlerin, die 2018 verstorben ist, ist das Verschwimmen zwischen der Realität und dem Traumhaften bezeichnend. Sowohl Tag- als auch Nachtträume dienen der Künstlerin als Inspiration. Dass sie ihre Träume aufgeschrieben hat, geht aus ihren Tagebüchern hervor. „Vieles aus ihren Werken kann auf ihre eigene Lebensgeschichte bezogen werden“, erklärt Galerieleiterin Dr. Barbara Stark.
Nur wenig Zeit für die Vorbereitung der Ausstellung
„Die Zeit für die Vorbereitung war recht knapp. Wir mussten schauen, wann die Ausstellung überhaupt noch ins Programm passt. Nach einem knappen Jahr Vorbereitungszeit konnten wir sie dann umsetzen“, berichtet Dr. Barbara Stark. Ein Freund der verstorbenen Künstlerin, Ernst Steiner, hat die Ausstellung angeregt. Nach dem ersten Kontakt habe sie den Nachlass gesichtet und Gespräche mit verschiedenen Bekannten der Künstlerin geführt, erzählt Stark: „Ich war sowas von begeistert.“ Mithilfe der Tagebücher habe sie sich sukzessive die Schaffensphasen der Künstlerin erschließen können und mögliche Inspirationen aus deren Lebensgeschichte für ihre Werke ergründet. Die Wessenberg-Galerie stellt in der Regel keine Werke lebender Kunstschaffender aus und achtet auf einen regionalen Bezug. Cornelia Simon-Bach etwa stammt selbst aus Konstanz. Sie wuchs dort auf und kehrte auch später immer wieder in die Stadt zurück.
Persönliche Erlebnisse werden zu feministischer Kunst
In einer besonders bewegenden Bilderreihe greift die Künstlerin sehr persönliche Erfahrungen auf: Cornelia Simon-Bach hat im Jahr 1964 geheiratet. Ihr lang gehegter Kinderwunsch ist jedoch Zeit ihres Lebens unerfüllt geblieben. Sie hat mehrere Fehlgeburten erlitten. Daraufhin hat sie begonnen, die schmerzliche Erfahrung in ihren Werken zu verarbeiten. Ihre Kinderlosigkeit hat die Künstlerin sehr mitgenommen, was zu einer Entfremdung zwischen ihr und ihrem Mann und schließlich nach rund 20 Jahren Ehe zur Scheidung geführt hat.
Diese Phase in Simon-Bachs Leben fällt mit der feministischen Bewegung Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre zusammen. Dabei entwickelt sich eine Tradition der feministischen Kunst, bei der die Künstlerinnen die Frauen vor allem körperlich darstellen. „Schließlich nehmen Frauen ihre Umwelt viel mehr über ihren Körper wahr“, erklärt Dr. Barbara Stark. Auch Simon-Bach greift diese Tradition auf. Sie stellt sich selbst in ihren feministischen Bildern dar, was jedoch beispielhaft für alle Frauen und die Weiblichkeit ist.
In diesen Bildern geht es oftmals um Verletzung und Heilung, Identitätsfindung, Zerstörung und Gefangensein, aber auch Hoffnung und Befreiung schlagen sich in ihnen nieder. Oft fließen morbide Elemente in die Bilder ein. So ist etwa auf einem Bild ein weiblicher Körper zu sehen, der von einem Künstler an die Wand gemalt wird. Gleichzeitig pickt eine Taube an der Stelle, wo die Gebärmutter liegt. Dort ist eine blutrote Wunde zu sehen. Auf anderen Bildern sind Frauenfiguren in Bandagen zu sehen. Sie sind gefesselt, aber auch hier finden sich Zeichen der Befreiung, denn an einer Stelle löst sich die Bandage bereits und aus dem Fenster schaut ein Engel herein, der über die Frau zu wachen scheint.
„Cornelia Simon-Bach war keine große Christin“, erzählt Dr. Barbara Stark. Dennoch fließen christliche Symbole in ihre Werke mit ein. Besonders die Erlösung und die Wiedergeburt scheinen die Künstlerin zu interessieren. Dabei bedient sie sich christlicher, aber auch spiritueller Motive. In einem weiteren Bild stellt die Künstlerin sich selbst dar. Sie ist zweimal zu sehen, einmal mit einem verletzten und einmal mit einem geheilten Gesicht. Vor den beiden Frauen ist jeweils ein Arm mit einem blutigen Stumpf zu sehen. Jeder dieser Arme hält ein Auge in der Hand, das je eine der Frauenfiguren von außen betrachtet.
„Das Auge steht bei Simon-Bach für Erkenntnis“, beschreibt Dr. Barbara Stark. In diesem Bild diene das Auge der weiblichen Identitätsfindung, wie im Katalog zur Ausstellung zu lesen ist. „Man kann in diesem Werk den Wandel von der Verletzung zur Heilung erkennen“, beschreibt Stark. „Zwar schließt sich Simon-Bach der Tradition der feministischen Künstlerinnen an, sie selbst kann jedoch nicht als Feministin bezeichnet werden“, findet Dr. Barbara stark. „Sie wurde von ihrem Umfeld immer als sehr still beschrieben, in ihrer Ehe waren die Rollen ganz klar verteilt. Ihr Mann war immer der, der viel geredet hat, während sie ruhig daneben saß. Auch konnte sie sich gar nicht vermarkten.“
Symbole der Fruchtbarkeit spielen in Simon-Bachs Werken eine wichtige Rolle. So malt sie eierstockähnliche Formen und Figuren, die an eine Vagina erinnern. Auch Bienen, die für Wiedergeburt stehen, sind oft in ihren Bildern zu sehen. Das Schwein und der Fisch stehen in einigen Religionen für Fruchtbarkeit. Die beiden Symbole finden sich ebenfalls im Werk der Künstlerin. Dabei verweist das Symbol der Fruchtbarkeit auf ihr eigenes Leiden und ihre Kinderlosigkeit. Der Kreislauf des Lebens, Vergänglichkeit und Wiedergeburt sind wichtige Elemente in Simon-Bachs Werk. „Ihr Blick auf die Natur hat sich geändert, als ihr eigener Körper ihr in diesem Bereich eine Lektion erteilt hat“, erklärt Dr. Barbara Stark. 1984 malt die Künstlerin ihr letztes Bild aus der surrealistischen und fantastischen Kunst. Danach wendet sie sich dem Abstrakten zu. Aber auch in ihrem Spätwerk können noch die Grundmotive Verletzung und Heilung herausgelesen werden.
Die Schwierigkeit der Deutung
Simon-Bach hat sich nie über ihre Werke geäußert, in der Ausstellung werden dennoch Deutungsversuche aufgezeigt. Bei der Deutung der Werke hilft etwa die Bibliothek der Künstlerin. An den Büchern, die sie gelesen hat, können beispielsweise ihr musisches und lyrisches Interesse abgelesen werden. Durch die Kunstschaffenden, die ihr als Vorbild dienen, kann ihr Werk in eine künstlerische Tradition gestellt werden. So orientiert sie sich etwa an altmeisterlichen Maltechniken und an den altniederländischen Künstler:innen, wie zum Beispiel Hieronymus Bosch. Eine Deutung und das Beziehen der Kunst auf die Lebensgeschichte der Künstlerin ist möglich. „Dabei muss man jedoch immer schauen, dass man nicht über das Ziel hinausschießt“, merkt Dr. Barbara Stark an. So bleiben auch zahlreiche Elemente in Simon-Bachs Bildern rätselhaft.
Die Ausstellung kann noch bis zum 08. Januar 2023 besichtigt werden. „Sie läuft gut“, erzählt die Galerieleiterin. Besucher würden außergewöhnlich lange bleiben, deutlich länger als bei anderen Ausstellungen. „Oft bleiben Gruppen vor den Bildern stehen und sprechen über sie“, bemerkt Stark. Durch Kunst könnten Erkenntnisse über sich selbst und über die Welt gewonnen werden.
„Ich kenne keinen, mit dem ich Cornelia Simon-Bachs Werk vergleichen könnte“, schließt Dr. Barbara Stark. Mit den Bildern der Künstlerin liegt zweifellos ein außergewöhnliches und tiefgehendes künstlerisches Werk vor. Ein Besuch ist in jedem Fall lohnenswert.