Eine Zeitung wird in den Händen gehalten

Grenzen zwischen Werbung und Journalismus: Was darf Wahlwerbung in unseren Medien?

Ein Kommentar zur AfD-Beilage im Südkurier

Ob bunte Wahlplakate, Flyer, Stifte oder Buttons – es gibt so viele verschiedene Arten von Wahlkampfwerbung. Im März lief man die Promenade an der Seestraße entlang und jeder Laternenmast war mit Plakaten zugepflastert, egal ob Grüne, CDU, Linke, SPD oder Die Partei. Wahlwerbung, die man nicht auf den ersten Blick erkennt, ist die, die im Radio läuft oder auch mal im Fernsehen. Im Radio kommt eine Ansage nach einem Werbeslogan mit sehr monotoner Stimme – ein bisschen so wie die „Risiken und Nebenwirkungen“-Ansage im Fernsehen: „Bei dem vorangegangenen Beitrag handelte es sich um Wahlwerbung. Die Verantwortung für den Inhalt liegt ausschließlich bei den Parteien.“ Wahlwerbung, die etwas unscheinbarer ist, ist zum Beispiel Werbung in den Printmedien.

Aber wie ist das eigentlich? Ist die Presse dazu verpflichtet, Werbung zu kennzeichnen oder gilt das „nur“ für öffentlich-rechtliche Medien? Im Grundgesetz steht:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

GGB Art. 5

Wie sieht das Ganze im Wahlkampf aus? Parteien wirken an der sogenannten „politischen Willensbildung des Volkes“ mit (GGB Art. 21.1) und das umfasst auch Medien. Öffentlich-rechtliche Sender im Rundfunk und Fernsehen legen dabei ihren Fokus auf „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit ihrer Angebote.“ Sie sind durch Rundfunkstaatsverträge und Landesgesetze dazu gesetzlich verpflichtet. Daher hört man auch diese automatische Ansage im Radio nach einer Wahlwerbung. Bei der Presse sieht das aber anders aus: diese ist nicht gesetzlich an Unparteilichkeit gebunden. Aber auch im Pressekodex ist die Kennzeichnung von Wahlwerbung definiert:

„Verleger und Redakteure […] achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen.“

Pressekodex Ziffer 7

Ein paar Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat der Südkurier in Konstanz eine Ausgabe veröffentlicht, der eine Wahlwerbung der AfD beigelegt war. Diese „Werbung“ wurde aber von der Leserschaft – mich eingeschlossen – nicht als gekennzeichnete Wahlwerbung angesehen. Die Beilage unterschied sich vom äußeren Erscheinen mitnichten von der normalen redaktionellen Ausgabe. Sie war so konzipiert, dass sie als Zusatzteil des Südkuriers verstanden werden konnte. Das sorgte tatsächlich nicht nur regional, sondern sogar bundesweit für Aufsehen und vor allem für Kritik und Unverständnis – und das völlig zu Recht.

Der Tenor: die Werbung war nicht ausreichend als Wahlwerbung gekennzeichnet worden. Alle, die diese Ausgabe vor sich hatten, konnten klar die Flyer des FDP-Kandidaten und der SPD-Kandidatin, die ebenfalls beigelegt waren, als Wahlwerbung erkennen. Zum einen waren sie als solche gekennzeichnet und zum anderen war das Material deutlich von dem einer Zeitung zu unterscheiden. Die „Werbung“ der AfD aber nicht.

Eine wenig überzeugende Stellungnahme des Südkuriers folgt

Verwundernd ist dabei nicht nur die realisierte Veröffentlichung auf diese Art und Weise. Manch eine/-r hat sich auch gefragt, ob niemandem vorher aufgefallen ist, wie ähnlich die AfD-Wahlwerbung der eigentlichen Zeitung sieht. Aber auch die Stellungnahme des Südkuriers klang wenig überzeugend. Die Redaktion und der Chefredakteur haben sich ebenfalls nicht öffentlich von dieser Aktion distanziert. Ein Shitstorm in den sozialen Medien und sogar prominente Äußerungen, wie von Jan Böhmermann waren daher nicht sehr überraschend. Böhmermann kritisierte, dass „die rechtsextreme Fake-News-Beilage des Südkuriers […] wie ein redaktionelles Extrablatt [gestaltet ist]. Print ist nicht tot, sondern einfach nur bewusstlos.” Mittlerweile hat man jedoch das Gefühl, dass der Südkurier doch etwas aus dieser Sache gelernt hat:

„Die kritisierte Beilage war zeitungsähnlich gestaltet und konnte trotz deutlicher Kennzeichnung als Wahlwerbung für einen Teil des SÜDKURIER gehalten werden. Darüber darf und muss diskutiert werden. Das haben wir verlagsintern ausführlich getan und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir unseren Umgang mit Wahlwerbung neu bewerten werden. […] Wir haben bereits entschieden, dass wir zukünftig jegliche Form presseähnlicher Parteiwerbung wie Zeitungsbeilagen und PR-Anzeigen nicht mehr zulassen. Das wirksamste Mittel der Unterscheidbarkeit von Redaktion und Werbung ist, dass das Trennungsgebot ohne jeglichen Zweifel bleibt.“

Südkurier, 27. Februar 2021

Bleibt am Ende des Tages aber doch die Frage: sollte es eine einheitliche Regelung zur Kennzeichnung von Wahlwerbung geben? Neben öffentlich-rechtlichen Medien und Rundfunk hat auch die Presse den Auftrag, objektiv zu berichten und damit geht auch eine Unparteilichkeit einher. Gesetzlich gibt es keine Verpflichtungen. Dennoch finde ich, dass der Pressekodex als moralisch und ethisch vertretbares Leitprinzip an oberster Stelle stehen sollte – vor wirtschaftlichen und privaten Interessen. Dabei kommt weder die Meinungsvielfalt noch eine fehlende Ausgewogenheit zu kurz.

Auch in den Printmedien hat man die Möglichkeit, unparteiisch und verantwortungsvoll Wahlwerbung zu veröffentlichen, die deutlich sichtbar ist

Und manchmal hilft auch einfach konstruktiv und kritisch zu reflektieren, ob man es nicht doch besser machen kann – moralisch und journalistisch. Die beigelegten Flyer von FDP, Grüne oder SPD waren schließlich ziemlich einfach als solche zu erkennen.

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