Refugee Law Clinic Konstanz – Vermittlung zwischen Recht und Realität

Migration, Flucht, Asyl – diese Themen sind heutzutage wohl jedem bekannt. Sie spiegeln politische, wirtschaftliche, sowie gesellschaftliche Umstände, Notlagen und Ungleichheiten wider. Die Mitglieder der Refugee Law Clinic Konstanz beraten Menschen, die auf der Suche nach Schutz, Wohnort und Arbeit nach Deutschland gekommen sind.

Campuls hat sich mit zwei Vorstandsmitgliedern der Refugee Law Clinic (RLC) Konstanz getroffen, um mehr über Ihren Verein, Ihre Arbeit und das Asylverfahren in Deutschland zu lernen. Luis Jakobi (Jurastudent im 8. Semester) und Lisa Marie Schultes (Jurastudentin im 10. Semester) sind seit circa zwei Jahren Mitglieder und tätig als Berater:in im Verein. Die RLC ist eine Hochschulgruppe der Universität Konstanz, sowie ein gemeinnütziger Verein, der 2016 gegründet wurde und ehrenamtliche Rechtsberatung in Konstanz anbietet.

Lisa Marie Schultes und Luis Jakobi während des Interviews.
Foto: Giorgio Krank

Campuls: Wie seid ihr zur Refugee Law Clinic gekommen?

Lisa: Bei mir speziell hat das den Grund, dass zu der Zeit relativ viel über Seenotrettung diskutiert wurde und ich fand das schon immer unerträglich und bis heute ist es so. Bei der RLC mitzumachen war ein Schritt, um mich aktiv für Flüchtlingsrechte einzusetzen.

Luis: Bei mir war es ähnlich. Ich wollte das erlangte Wissen aus dem Jurastudium zu einem relativ frühen Zeitpunkt schon sinnvoll einsetzen, um einen gewissen Praxisbezug herstellen zu können.

C: Wer kann bei der RLC mitmachen?

Lisa: Man kann jederzeit Mitglied werden. Ein gewisses Grundwissen im Verwaltungsrecht ist zwar nicht schlecht, aber in unserer AG wird einem eigentlich das Wissen vermittelt, das man für die Beratung benötigt.

Luis: Die Teilnahme bei uns ist nicht daran gebunden, dass man Jura studiert. Wir haben auch Leute aus anderen Fachbereichen, insbesondere Politik und Verwaltung, die bei uns beraten. Im Endeffekt brauch man keinen großen Überblick über Recht. Dieses eine spezifische Rechtsgebiet des Migrationsrechts ist zwar in sich sehr groß, aber auch wir als Jurist:innen beherrschen dieses nicht vollständig und müssen viel recherchieren.

C: Was sind eure Aufgaben bei der RLC?

Lisa: Einerseits gibt es, wie in jedem Verein, die organisatorische Vereinsarbeit. Wesentlich für die RLC ist vor allem die Beratungstätigkeit im Migrationsrecht. Dieses kann man ganz grob in Asylrecht und Aufenthaltsrecht unterteilen. Asylrecht ist den meisten wahrscheinlich ein Begriff. Das reicht von der Asylantragstellung über das Asylverfahren bis hin zur Gewährung eines Aufenthaltstitels oder der Ablehnung des Asylantrags. Das Aufenthaltsrecht wird dann relevant für den Erhalt eines Aufenthaltstitels nach Abschluss des Asylverfahrens oder auch für, beispielsweise Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten wollen und gar nicht erst das Asylverfahren durchlaufen müssen.

Luis: Wir bieten wöchentlich eine offene Beratungsstunde an. Jeden Samstag sind zwei bis drei Leute im Café Mondial und beraten. Ein bis zwei beraten und ein Dritter schreibt Protokoll oder unterstützt auch bei der Beratung. Wir haben auch immer wieder neue Mitglieder in der Beratung, die dabeisitzen und zuhören.

C: Wie hat sich der russische Angriffskrieg auf die Arbeit in der RLC ausgewirkt?

Lisa: Man merkt im Migrationsrecht ganz schnell, wenn irgendwo auf der Welt Probleme herrschen, so auch mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Die ukrainischen Staatsbürger:innen selbst haben uns in der RLC nicht so beschäftigt, weil sie hier durch eine Sonderregelung einen besonderen Aufenthaltstitel unkompliziert beantragen können. Was uns beschäftigt, sind die sonstigen Drittstaatler:innen, die aus der Ukraine kamen und dort einen Aufenthaltstitel haben. Zum Beispiel Menschen aus afrikanischen Ländern, die in der Ukraine waren, um zu studieren. Sie sind genauso betroffen von dem Angriffskrieg, aber in den meisten Fällen bekommen sie nicht diesen besonderen Aufenthaltstitel.

Luis: Für diese Menschen, die Drittstaatler:innen, gibt es kaum eine Möglichkeit einen Aufenthaltstitel zu erlangen, weil sie nicht unter diese Sonderregelung fallen. Außer es ist gänzlich unzumutbar, in ihr Heimatland zurückzugehen. Das ist aber in den allermeisten Fällen nicht gegeben. Die Betroffenen haben zwar die Möglichkeit, hier in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, aber der hat sehr geringe Erfolgsaussichten, sodass sie ihr Studium abbrechen und in ihr Heimatland zurückkehren müssen.

C: Wie äußerten sich Mandant:innen, besonders andere Asylsuchende, bezüglich dieser Sonderregelung?

Lisa: Häufig wird die Unterscheidung von Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern im Vergleich zu Ukrainer:innen kritisiert und hinterfragt. Ich finde, es ist auch schwer zu erklären, warum jetzt die Staatsbürgerschaft so entscheidend für die Aufenthaltserlaubnis ist.

Die Massenzustrom-Richtlinie ist ein Instrument zur Bewältigung großer Flüchtlingsströme. Woran diese Sonderregelung geknüpft ist, ob an die Staatsbürgerschaft oder an eine Aufenthaltsgenehmigung, das ist immer noch die Entscheidung der Regierung. Es war nicht die einzige Möglichkeit, sie mit der ukrainischen Staatsbürgerschaft zu verbinden. Sie hätte auch erweitert werden können.

C: Eure Arbeit bei der RLC hat euch also auch auf Unstimmigkeiten im derzeitigen Migrationsrecht aufmerksam gemacht?

Luis: Das Asyl- und Aufenthaltsrecht ist im stetigen Fluss. Da gibt es sehr viele Veränderungen. Die RLC ist allerdings nicht besonders politisch. Wir versuchen grundsätzlich eine rechtlich neutrale Beratung anzubieten, wobei natürlich mit dem Themenbezug immer eine gewisse politische Einstellung schon mitschwingt.

Lisa: Im Zuge der letzten Änderungen im Migrationsrecht gab es von den RLC‘s eine Stellungnahme zu den vorgelegten Konzepten. Man versucht, die Probleme in der Praxis dann auch der Politik aufzuzeigen.

“Das Migrationsrecht ist eigentlich immer noch ein Abwehrrecht, womit versucht wird, möglichst wenig Migration in Deutschland zuzulassen.”

Lisa Marie Schultes

Vielleicht ist das einfach auch nicht mehr sachgemäß, wenn man ständig von Fachkräftemangel berichtet, aber dann, als Beispiel, im Aufenthaltsrecht sehr hohe Hürden anlegt.

Luis Jakobi ist eines der Vorstandsmitglieder der RLC.
Foto: Giorgio Krank.

C: Eure Funktion als Beratungsstelle ist nun das sich ständig wandelnde Rechtsgebiet verständlich zu erklären. Wieso und wann kommen Betroffene zu euch?

Luis: Es kann sehr unterschiedlich sein. Der Großteil, der zu uns kommt, ist mit dem Asylverfahren schon durch. Suchen Betroffene uns bereits während ihres Asylverfahrens auf, geht es vorwiegend um Fragen nach der Anhörung. Im Asylverfahren muss man einmal zum Bundesamt für eine Anhörung mit einem:r Mitarbeiter:in. Dabei muss man Fragen zu seiner Fluchtgeschichte und zur persönlichen Motivation der Flucht schildern. Das ist ein zentraler Punkt des Asylverfahrens, denn auf Basis dieses Interviews wird ein Großteil der Entscheidungen gefällt. Das ist natürlich ein stressiger, emotionaler und herausfordernder Moment für die Betroffenen.

Während des Asylverfahrens ist es häufig so, dass die Leute einfach wissen wollen, was jetzt gerade der Stand ist, weil sie vielleicht schon seit zwei Monaten nichts mehr vom Bundesamt gehört haben. Wir können dann natürlich Anfragen an das Bundesamt stellen.

“Häufig muss man irgendwie vermitteln, dass es auch gut sein kann, wenn man noch nichts gehört hat oder einfach Geduld haben muss.”

Luis Jakobi

C: Wie lange dauert ein Asylverfahren ungefähr?

Lisa: Die durchschnittliche Dauer von Antragsstellung bis Entscheidung liegt aktuell bei siebeneinhalb Monaten. Ich habe inzwischen alles erlebt, von zwei Wochen bis zwei Jahren. Im Optimalfall sollte es nur wenige Wochen dauern, da die ungewisse Situation, für Antragsteller:innen nicht angenehm ist. Im Zuge der Fluchtbewegung 2015/2016 hat sich die Dauer verlängert. Inzwischen ist der Trend wieder ein wenig zurückgegangen.

C: Aus welchen Gründen suchen Betroffene die RLC auf? Bei welchen Angelegenheiten ist eure Unterstützung besonders gefragt?

Lisa: Übersetzung macht auf jeden Fall einen Teil der Beratung aus, das heißt Betroffene haben beispielsweise Schwierigkeiten ihre Formulare, Anträge oder Briefe aufgrund von Sprachbarrieren zu verstehen. Was immer mehr zunimmt, sind Fragen nach Einbürgerung oder Niederlassungserlaubnis. Außerdem unterstützen wir auch bei Fragen bezüglich Familiennachzug oder verschiedenen Aufenthaltstiteln.

Luis: Viele Leute, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die eine Duldung bekommen haben, kommen zu uns. Bei einer Duldung ist man grundsätzlich verpflichtet auszureisen, allerdings besteht irgendein Grund, weshalb die Abschiebung gegenwärtig ausgesetzt wird. Diese Duldung ist immer eine etwas ausweglose Situation. Wir beraten dann, welche Möglichkeiten für den Einzelnen in Frage kommen: Zum Beispiel die Beantragung einer Duldung oder eines Aufenthaltstitels zu Ausbildungs- oder Studienzwecken.

C: Was sind die häufigsten Probleme und Schwierigkeiten, denen Betroffene im Verlauf des Asylverfahrens begegnen?

Luis: Besonders schwierig ist die Ausweglosigkeit in der Situation der Duldung. Betroffene in dieser Situation wollen sich aus Angst vor Abschiebung nicht bei den Behörden ausweisen, was dazu führen kann, dass Ihnen die Bezüge auf Sachmittel gekürzt werden und sie kein eigenständiges Geld mehr erhalten, sondern nur noch Gutscheine, beispielsweise für Lebensmittel. Diese Menschen befinden sich in einem starken inneren Zwist, da sie sich zur Bewältigung dieser Situation ausweisen müssten, dies allerdings aus Angst vor der eigenen Abschiebung nicht tun.

Lisa Marie Schultes gehört zum Vorstand der RLC.
Foto: Giorgio Krank.

C: Welche Themen haben erfahrungsgemäß einen besonders hohen Aufklärungsbedarf?

Lisa: In der Beratung merke ich, dass häufig der Überblick über die vielen verschiedenen Aufenthaltstitel fehlt und nicht verständlich ist, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Aufenthaltstitel erteilt werden oder nicht.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man von außen keinen Einblick in dieses Bürokratiemonster hat. Wir wissen nicht, wie das Bundesamt für Migration in Berlin arbeitet. Es herrscht eine gewisse Intransparenz, die es uns schwer macht, den Betroffenen Unterschiede in den Abläufen der Asylverfahren zu erklären.

C: Wie hat sich euer Verständnis von Recht und von der Rechtswissenschaft verändert oder erweitert, seitdem ihr bei der RLC arbeitet?

Lisa: Es gibt einen starken Unterschied zwischen dem Studium und unserer Tätigkeit bei der RLC. Als ich das erste Mal beraten habe, war das für mich ein ziemlicher Wandel von diesem theoretischen Wissen im Studium hin zu: Wie gehe ich tatsächlich mit Mandant:innen um? Was ist das Problem? Wie kann man den Mandant:innen die rechtliche Antwort erklären?

Luis: Da kann ich nur zustimmen. Die tatsächliche Rechtsanwendung ist die Hälfte unserer Arbeit, wenn es hochkommt. Es geht vielmehr um die Vermittlung von Recht. Auch muss man erstmal den Sachverhalt erfassen. Das bedeutet unter anderem, sich mit den komplexen individuellen Hintergrundgeschichten der Mandant:innen auseinanderzusetzen.

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