„Das kann mir nicht passieren“ Eine schauspiel-tänzerische Hommage an den Feminismus gegen sexuelle Gewalt

Alle theaterliebenden Menschen dürfen jetzt ihre Lauscher weit aufmachen. In den kommenden Juni- und Juli-Wochen wird das Theaterprogramm in Konstanz um gleich drei Hochschul-Produktionen reicher. Sowohl die Theatergruppe der Universität Konstanz als auch die der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) bereiten sich in diesem Moment auf ihre anstehenden Premieren vor. Darunter auch zwei junge Frauen, Lela Mader und Charlotte Lott, die gemeinsam die Uraufführung ihres selbstverfassten feministischen Tanztheaterstücks „Das kann mir nicht passieren“ planen. Campuls durfte sie bei einer Probe besuchen – was die beiden über ihr Stück bereits verraten haben, erfahrt ihr, wenn ihr weiterlest.

„…und er hört nicht auf zu diskutiere‘n als ob er mein Nein nicht gehört hat…“

Textausschnitt aus dem Song „3 Sekunden“ von CÉLINE und Paula Hartmann

„Uns war klar, wir wollen ein Stück mit feministischen Untertönen“

Die beiden Freundinnen Lela (25, Psychologiestudentin im zweiten Semester) und Charlotte (25, M.Sc. Psychologie und angehende Tanzpädagogin) stehen mit einem Kaffee in der Hand vor dem Gebäude des Jugendzentrums Konstanz. Hier finden über das gesamte Wochenende die Proben für das Tanztheaterstück „Das kann mir nicht passieren“ statt. Kennengelernt haben die beiden sich „bei einer Kippe vor der Bib“, verrät Lela lachend. Zum ersten Mal begegnet seien sie sie jedoch in der Uni-Theatergruppe bei der Produktion des letzten Theaterstücks „Der Pirat oder Edle im Exil“. Lela, die schon fünf Jahre als Theaterpädagogin mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet hat, hatte anschließend große Lust, das auch mit Studierenden im Rahmen des Unitheaters auszuprobieren. Da sie aber doch „ein bisschen Muff“ hatte, es allein zu machen, habe sie Charlotte alias „Charly“ mit ins Boot geholt. Charly leitet unter anderem seit 2021 das Tanzensemble im Unitheater und hat als Choreografin und Regisseurin bereits eigene Tanzproduktionen im Rahmen des Unitheaters verwirklicht.

Zum Regie-Team gehören unter Leitung von Lela Mader und Charlotte Lott ebenso Alicia Rank, Noela Wasler, Gunda Wöhrle und (nicht abgebildet) Carolin Schmidhäuser & Klara Salve. Foto: Ronja Räuber.

Beiden sei schnell klar gewesen, dass sie ein Stück inszenieren möchten, das feministische Untertöne beinhaltet. Nachdem sie sich gegen die Neuadaption bereits bestehender Literatur entschieden hatten, seien sie darauf gekommen, selbst ein Theaterstück zu schreiben. Inhaltlich haben sie sich hierfür insbesondere mit den Thematiken persönliche Grenzüberschreitungen und „Consent“ auseinandergesetzt. Dabei versteht man unter „Consent“, das gegenseitige verbale beziehungsweise nonverbale Zustimmen oder Einvernehmen jeglicher sexuellen Handlung. Damit haben sie sowohl relevante Themen unter Studierenden als auch den gesellschaftlich-politischen Diskurs z.B. der „MeToo“ Bewegung mitaufgegriffen.

Der FLINTA*-Besetzung

Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre-, Trans- und Agender-Personen, während das Sternchen auf weitere Variationen in der Geschlechtervielfalt hinweist.

Das Queer Lexikon

Im Saal des Jugendzentrums warten die fünf Regieassistentinnen Klara Salve, Noela Walser, Gunda Wöhrle, Alicia Rank und Carolin Schmidhäuser, die das Team vervollständigen. Aufgrund ihrer Vorerfahrungen ist Charly in der Produktion insbesondere für die Choreografie der Tanzbewegungen zuständig, während für Lela die Leitung der Schauspielszenen im Fokus steht. Durch ein offenes Casting, zu dem alle Interessierten eingeladen waren, konnte sich die Rollenbesetzung für die Schauspiel- und Tanzbesetzung zusammenfinden. Tatsächlich haben die beiden eine reinen FLINTA*- Besetzung zusammengestellt. Caoimhe Woods übernimmt die Rolle der Hauptprotagonistin Emma. Um sie herum die Schauspielerinnen Ronja Wilken, Lucie Wiese, Anouk Rebstock, Nina Dötsch und Viktoria Semke, die Personen in Emmas Umfeld darstellen. Lediglich die Technik wird maskulin – von Jakob Heim – vertreten. Denn obwohl die Thematik alle Geschlechter gleichermaßen etwas anginge und ursprünglich auch zwei maskuline Rollen hätten vertreten sein sollen, habe es besetzungstechnisch leider nicht geklappt, auch Männer zu inkludieren.

Ein Handabdruck, der nicht mehr verschwindet

Im Fokus des Stücks steht die Protagonistin Emma, deren Leben nach einem sexuellen Übergriff in ein Davor und Danach geteilt wird. Dabei wird inhaltlich vor allem das Danach thematisiert: was der Vorfall in Emma auslöst, was es in ihrer Freundesgruppe bewirkt, und auch welche Folgen es haben kann, wenn man zur Polizei oder einer Beratungsstelle geht. Zusätzlich kommt es im Handlungsverlauf auch immer wieder zu Neuverhandlungen der Erlebnisse in Emmas innerer Gefühlswelt. So auch in der Tanzszene „You are not alone“. Neben Emma erscheint hier auch eine im Handlungsverlauf wiederkehrende Gruppe an Personen, die die „Handabdrucktragenden“ genannt werden. Doch wen oder was verkörpern die „Handabdrucktragenden“? Repräsentieren sie innere Anteile von Emma? „Ja, vielleicht auch.“, verrät Lela. Vielmehr würden sie jedoch alle anderen Menschen repräsentieren, die einen „Handabdruck“ tragen, also auch Opfer von sexueller Übergriffigkeit geworden sind. In einer weiteren Szene, die einen inneren Monolog Emmas thematisiert, spricht Caoimhe: „… Wieso musstest du ein Teil von mir werden, den ich jetzt nie wieder loswerde“. Hierbei wird deutlich, welche symbolische Bedeutung der Handabdruck innerhalb des Stücks – aber auch in der Realität – darstellt.

Wo fängt Grenzüberschreitung überhaupt an?

Eine weitere Szene handelt von Emma und ihren Freundinnen, die sich untereinander zum Tischtennisspielen treffen. Emma wirkt dieses Mal jedoch etwas unbeteiligt, während es bei den Freundinnen zu einer hitzigen Diskussion kommt. Die Regisseurinnen erklären hierzu, dass die Gestaltung des Stücks auf Umfragen basiere, die Charly zur Thematik persönlicher Grenzüberschreitung und „consent“ bei ihren Freund:innen, Bekannten und auch fremden Personen auf der Straße gesammelt habe. Denn hier scheiden sich die Geister – auch politisch. Erst seit 1997 ist in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Zusätzlich wurde seit 2016 der Grundsatz „Nein heißt Nein“ in das deutsche Sexualstrafrecht mit aufgenommen, sodass jede sexuelle Handlung gegen den „erkennbaren Willen“ eines Dritten unter Strafe fällt.

Wichtig war den Regisseurinnen auch, dass die sexuelle Übergriffigkeit, die Emma erlebt habe, nicht explizit dargestellt werde, denn sie würden kein „Schocktheater“ aufführen wollen. Sowohl der Übergriff als auch die Auseinandersetzung mit dem Thema wird vor allem abstrakt tänzerisch dargestellt. Dabei soll insbesondere zum Ausdruck kommen, welchen Einfluss ein Vorfall wie dieser auf das Leben eines Menschen haben kann. Dazu gehört auch, wie die eigene Identität als Folge des Erlebens sexueller Gewalt zusammenbrechen kann. Es sei in der Realität eben nicht so, dass man sich dann ein paar Tage Zeit zum Reflektieren nehme, mit Freund:innen darüber spreche und dann wieder alles in Ordnung sei. Der Vorfall werde Teil der eigenen Geschichte. Das bedeute aber auch, dass ein Prozess der Heilung stattfinden könne. Das möchten Lela und Charly durch die Geschichte der Protagonistin Emma aufzeigen, bei der durch viel Unterstützung von außen dieser durchaus lange Prozess beginnen kann.

Die Dialoge und Choreografien des Tanztheaterstücks sind sehr berührend und emotional inszeniert. Gerade im Hintergrund eigener Erlebnisse und Erfahrungen wird das Dargebotene sicherlich viele Zuschauer:innen bewegen. Die beiden Autorinnen weisen darauf hin, dass sie auch eine „Content-Warnung“ ausgeschrieben haben. Außerdem würden sie zu den Auftritten die Türen des Saals geöffnet lassen, sodass jede:r auch die Möglichkeit habe, rauszugehen, falls es zu viel werden sollte. Dennoch steht die Relevanz der Thematik außer Frage. Denn wie Lela und Charly abschließend nochmals zusammenfassen: „Weil es einfach etwas ist, das jeder Mensch, insbesondere jede Frau, entweder am eigenen Körper oder bei jemanden im engsten Kreise bereits miterlebt hat.“

Alle wichtigen Infos zum Schluss…

Stattfinden wird das Uni-Theaterstück „Das kann mir nicht passieren“ am 16., 17., 19., 21. und 22. Juni 2024 ab 20 Uhr im Wolkensteinsaal, ein Veranstaltungsraum über der Stadtbibliothek Konstanz, der zum Kulturamt Konstanz gehört. Tickets über den Vorverkauf erhaltet ihr im Bücherschiff, an der Universität Konstanz, am Kulturkiosk und bei Verfügbarkeit an der Abendkasse. Weitere Infos zum Stück findet ihr auf Instagram unter „@daskannmirnichtpassieren“.

Weitere Informationen zu Spielzeiten der Theaterstücke der Hochschulgruppen erhaltet ihr auf den Websites der Hochschulgruppen des Unitheaters und des Hochschultheaters.

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